Monica Maria Mieck

Durch alle Nebel hindurch – Texte der Hoffnung


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es macht krank,

      Gefühle auf Dauer zu verdrängen.

      Hab Mut,

      zeig deine Tränen,

      deine Wut,

      deine Herzlichkeit.

      An meiner bangen Frage: „Was bekomme ich morgen vielleicht zu tragen?“ kann ich mein schwankendes Gottvertrauen erkennen.

       In Gottesferne

      O Gott,

      lock mich mit deiner unendlichen Güte

      und Verlässlichkeit

      aus meiner Unentschiedenheit,

      meinem unumgänglichen Zweifel,

      heraus aus meinem dunklen Versteck.

       Gebet

      An gewissen Tagen, mein Gott,

      fällt es mir schwer,

      deine Verborgenheit auszuhalten,

      und ich sehne mich

      in meiner Unvollkommenheit

      nach deiner heilenden Nähe.

      An manchen Tagen, mein Gott,

      ist mein Vertrauen schwach,

      und ich verstehe deine Führung nicht.

      An jedem Tag aber, mein Gott,

      bin ich deiner Liebe gewiss und füge mich

      in deinen unerforschlichen Willen.

      Immer mehr sehne ich mich danach,

      alle Ängste, jegliche Lasten

      abstreifen zu können,

      und immer mehr möchte ich hineinwachsen

      in des himmlischen Vaters Geborgenheit.

       Schwäche ist menschlich

      Stärke ist gesucht.

      Eine dynamische Persönlichkeit wird verlangt.

      Menschen mit Durchsetzungsvermögen

      und Führungsqualitäten sind angesehen.

      Belastbare, flexible Mitarbeiter

      haben noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

      Wehe dem, der schwach ist!

      Aber schwach sein ist Mensch sein

      in seiner reinsten Form.

      Vielen macht diese Schwäche Angst,

      und sie spielen Scheinstärke vor.

      Gott, hab Dank,

      dass du die Schwachen liebst,

      dass du mich auch so annimmst,

      wie ich tatsächlich bin,

      manchmal schwach und bedürftig.

      Danke, dass ich in deiner Geborgenheit

      schwach sein darf.

      Das Trauma meiner Kindheit – Flucht aus Köslin über Kolberg und die Ostsee

      Am 1. März 1945 hat mein Bruder Geburtstag und ist jetzt 9 Jahre alt. Wir sitzen mit unserer Mutter am Esstisch im Wohnzimmer. Plötzlich heulen die Sirenen und der schreckliche Panzeralarm verbreitet die höchste Gefahrmeldung über unserer Heimatstadt Köslin. Das Geburtstagskind stößt vehement unter lautem entsetzlichem Weinen den Satz hervor: „Mama, die Russen kommen!“ Dadurch springt die Angst auch in mich hinein. Ich bin erst sechseinhalb Jahre alt und weiß noch nicht, was ein Krieg bedeutet. Aber der bisweilen auch nächtliche Fliegeralarm gehört selbstverständlich zu unserem Leben. Im grauen Luftschutzkeller ist es sehr kalt. Ich friere sogar in meinem Wintermantel. Unsere Mutter liegt im Wochenbett. Am 18. Februar hat die Hebamme sie von einem gesunden Mädchen in unserer Wohnung entbunden. Jetzt bin ich nicht mehr das Nesthäkchen. Am 1. März sitzt unsere Mutter schon wieder an der Nähmaschine, und in Eile näht sie einen Brustbeutel aus weißem Stoff für die wichtigsten Papiere. Einen Tag später konsultiert sie unseren vertrauten Hausarzt, der sie mit folgenden Worten zur Tür begleitet: „Frau Mieck, es geht noch ein letzter Zug aus Köslin heraus, danach werden alle Brücken gesprengt. Die Russen sind schon im Gollenwald und haben eine totale Übersicht über die ganze Stadt. Gehen sie mit ihren fünf Kindern sofort auf die Flucht!“ – „Aber Herr Dr. Schweinitz, ich konnte doch nicht eher, weil ich im Wochenbett lag.“

      Mein aus brauner Presspappe gefertigter Tornister ist mit Strümpfen vollgepackt. Zwei Wintermäntel trage ich übereinander. So bin ich gut vor der bitteren Kälte, die Anfang März 1945 noch in Hinterpommern herrscht, geschützt. In meinem Puppenwagen, den ich erst 1944 zu Weihnachten geschenkt bekam, liegt mein erst 12 Tage altes Schwesterchen, und es schläft fast immer. Meine Mutter drückt mir noch eine Milchkanne in die Hand, deren Inhalt ich aber nicht mehr benennen kann. Der älteste Bruder kann schon zwei Koffer tragen. Er ist die Stütze der Mutter auf der langen dramatischen Flucht in den Westen. Die beiden anderen Brüder tragen auch kleinere Gepäckstücke, jeder nach seinen Kräften. Menschen in großer Ansammlung drängen auf den Bahnhofsvorplatz von Köslin. Ich habe bisher noch niemals so viele Menschen dicht beieinander stehen gesehen. Ein Güterzug nimmt unsere sechs jungen kostbaren Leben in seine fahrbare schützende Obhut auf. Wir sitzen dicht beieinander auf Stroh oder einem Gepäckstück. Es fällt kaum Tageslicht in den Viehwaggon. Meine Mutter wärmt über einer Kerze das Milchfläschchen für unseren kleinen Säugling. Der langsam sich fortbewegende Zug braucht für die nur etwa 40 Kilometer bis nach Kolberg einige Tage, weil die Einfahrten nach Kolberg, das bereits von den sowjetischen und polnischen Verbänden eingeschlossen ist, von mehreren Seiten her mit vielen Flüchtlingszügen verstopft sind. So bleibt der Zug manchmal plötzlich auf freier Strecke lange stehen. Und wir wissen nicht, wann er seine Fahrt fortsetzt. Ein alter Mann hebt mich aus der Enge der hockenden Menschen aus dem Dunkel des Zuges heraus. Draußen im Tageslicht im Freien erledige ich unter schrecklicher Angst, der Zug könnte ohne mich weiterfahren, mein menschliches Bedürfnis. Feindliche Flieger beherrschen den Luftraum.

      In dem unter Artilleriebeschuss liegenden Kolberg bekommen wir in einem großen dunklen Bunker Unterschlupf. Total übermüdete alte Männer, Frauen und Kinder sitzen gebeugt auf Stühlen, lassen zeitweise ihre Köpfe auf die Tische sinken. Auf manchen Tischen erhellt ein Hindenburglicht das angstvolle Dunkel. Ein fremder alter Mann rüttelt meine eingenickte Mutter am Arm mit den Worten: „Sind sie meine Frau?“ Später werden die Namen von zwei Kindern von einem Uniformierten aufgerufen. Ihre Mutter hat die Nerven verloren, sich die Pulsadern aufgeschnitten und ist in die eiskalte Ostsee gelaufen. Die mutterlosen Kinder werden aus dem Bunker herausgeholt. Und in meiner jungen Kinderseele spüre ich immer mehr Angst. Den dunklen kalten Bunker hinter uns lassend, sehen unsere Augen endlich wieder helles Tageslicht.

      Um den vorrückenden feindlichen Truppen zu entfliehen, gibt es nur noch den Wasserweg. Weil wir ein Neugeborenes mit uns tragen, werden wir bevorzugt auf einem Rheindampfer vom Kolberger Hafen aus mitgenommen. Der Kapitän überlässt unserer tapferen Mutter und uns fünf Kindern seine eigene Kajüte. Die große Bodenvase nimmt die Folgen unserer unübersehbaren Übelkeit klaglos auf. Nur meine kleine