Nadja Solenka

Die heilende Zeit


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oben zu errichten, was eigentlich den Bau der spektakulären Gebäude erklärt.“ Tanita erwiderte: „So in etwa habe ich das von meinen Eltern auch beschrieben bekommen.“

      Nachdem Georgios dann im weiteren Gesprächsverlauf aufgrund von Tanitas Argwohn versicherte, noch rechtzeitig auf Aghia Triada ankommen zu können: „Die Klosteranlage hat bis siebzehn Uhr geöffnet“, zog Tanita ihre Jacke aus. Georgios zuckte unmerklich zusammen. Und Tanita fuhr sich durch die verschwitzen Haare.

      Bei den Stufen hin zum Kloster vergegenwärtigte sie sich die vielen Stufen und dachte nur, sie würde es schon schaffen. Er hielt ihr sensitiv seine Hand hin, als es auf den Stiegen unwegsamer wurde. Tanita schlug sie aber aus, er sollte nichts falsches über sie und ihre Ängste denken. Nur um etwas interessantes zu sagen meinte sie, dass auf Triada im Jahr 1981 ein James Bond Film gedreht worden wäre: „In tödlicher Mission“. Georgios sagte dazu: “Ja, davon habe ich gehört.“

      Er half ihr dann doch, um Tanita weiter nach oben zu bringen, weil sie schlapp machte mit ihrer Höhenangst. So meinte er, um sie von ihrer Furcht abzulenken: „Die Treppe soll es erst seit 1925 geben.“ Sie nickte nervös, aber sie sagte dann, auch nur um etwas von sich zu geben: „Das Hinaufziehen der Mönche per Seilkraft gibt es übrigens heute noch.“ „Ja, das fand ich als Kind immer so spannend“, entgegnete er etwas belustigt.

      Als sie den schwierigen Aufstieg geschafft hatten, machten sie sich besinnlich daran, das Kloster der Dreifaltigkeit, das immer noch bewohnt war, zu besichtigen. Ein kühler, stiller Raum beruhigte Tanitas Sinne. Und als sie sich draußen an das Kreuz stellten, das direkt vor dem Abgrund fest gemacht worden war, und sie in das tiefe Tal schauten, schauderte es ihr unmerklich. Doch der warme Wind schmeichelte Tanitas Verliebtheit, während der Wanderung hatte sie sich immer mehr in Georgios warme Stimme und in seine Seele verguckt. Seine direkte Nähe ließ sie an die Reinkarnation glauben. Er sah sie konzentriert an, auch er fühlte sich im siebten Himmel der Verliebten, dann zog Georgios sie von dem Kreuz weg und sagte: „Lasse uns den Weg zurück ins Dorf finden.“

      Während des Rückwegs ins Dorf erzählten sie sich von ihren Empfindungen, die sie hatten, wenn sie das griechische Land bereisten. Sie sprachen miteinander als hätten sie sich schon immer gekannt.

      Wieder in Kalambaka angekommen, beschlossen sie die Eltern von Georgios aufzusuchen. Tanita war überrascht, wie das Leben auf einmal mit ihr spielte. Und er dachte, dass er zum ersten Mal eine Frau seinen Eltern vorstellen wollte.

      2. Kapitel

       Besuch bei Georgios Eltern

      Als sie im späteren gemeinsam durch die Stadt zogen, überlegte Tanita, warum sie mit einem Mal sah, dass die Ladenbesitzer kein Dasein fristeten. Sie lebten vielmehr für sich, als wäre der nächste Tag ihr letzter. Falls nicht ein Tourist z.B. eine Spiel-Kette kaufen würde, um den Gleichmut von Griechen in irgendeinem Cafe nachstellen würde, um sich glaubwürdig als kultureller Kenner der griechischen Innerlichkeit zu geben, könnten sie schon dicht machen. Schon der letzte Tourist, der bummeln würde ohne ein Souvenir für zu Hause zu erstehen, könnte schon ihr finanzieller Ruin sein, sinnierte Tanita im weiteren die finanzielle Komponente. Doch sie sagte es ihm nicht. Georgios sollte sie nicht für einen Blaustrumpf halten.

      Er wollte seinen Eltern noch ein Ofen-warmes Brot vorbei bringen. Und so zählte er sein Geld nach. Merkwürdig Georgios wirkte nicht gerade geizig, aber wie viele Griechen schien er nicht gerade mit Geld umgehen zu können. Sie als Halbgriechin fand es immer schon erfüllender inneres Geld in sich zu bergen, und das Geld, das man hat ruhig ausgeben zu wollen. Die Deutschen wollten ja eher etwas besonderes darstellen, was über das finanzielle hinausging. Deutschland hieß nicht umsonst das Land der Dichter und Denker.

      Als sie sich so schweigend auf die Ferienwohnung von Georgios Eltern zu bewegten, fragte er: „Warum so still und schweigend?“ „Ach ich dachte gerade über die Unterschiede zwischen deutschen und griechischen Menschen nach. So viel sie hier manchmal darstellen wollen, sie wirken irgendwie ziemlich gestresst und dann wieder so bedächtig, fast schizophren. „Und die Deutschen?“, fragte er nickend.

      So erzählte Tanita weiter, weil ihm ihre Art zu gefallen schien: „Die Deutschen sind eigentlich so offensichtlich geschäftstüchtig und interessanterweise strukturierter, als die Griechen, sogar auf den Dörfern, wo noch so viele Alten leben. Und sie lassen sich nicht so treiben, was ihnen nur nicht passt. Kein Grieche kann hingegen wirklich leben mit allem was ist, aber sie leben halt trotzdem, ja irgendwie schon. Sie schenken Liebe und Leben, sind sentimental, fast wie die Spanier und die Russen. Aber sie zerbrechen ungern am stetigen Streben, natürlich wie fast jeder. Und die Deutschen sind da kein bisschen anders. Aber im Heimatland meines Vaters arbeitet man zumindest daran, auch wenn sie dort allzu oft die anderen stehen lassen, mit dem was man selber darstellen will, vielleicht wie hier. Na, ja, aber keiner kann letztendlich damit wegkommen, wenn Gott etwas nicht passt.“

      Georgios schmunzelte etwas über diesen leisen Vortrag und dann meinte er: „Das klingt nach studierter Soziologie. Und stimmt das im Ganzen für dich?“ Tanita zog ihre Windjacke zu, die sie wieder angezogen hatte. Dann sagte sie: „Schon noch, auch wenn es private Einschätzungen sind, gespeist aus Beobachtungen.“ Georgios zog die Schultern hoch und sagte nichts mehr. Bei sich bleibend überlegte er, dass sie wohl nicht wusste, was sie ihm damit sagen konnte. Er hatte oft Brücken schlagen müssen hin zu seinem eigenen Leben. Wäre er nicht Physiker und vielmehr noch Mathematiker gewesen, hätte ihm die kopflastige Art der Deutschen und die leichtlebigen Züge seiner Eltern beinah in schizophrene Verhaltensweisen hineingetrieben. Georgios dachte auch an seine von seinem Helfer-Syndrom geprägte Kindheit und wie seine Geschwister mehr bei ihm groß wurden. Gott sei Dank hatte er was für sich gefunden, um auch noch wer zu sein. Er war zwar so erzogen, aber hätte er damals nicht eine gewisse Liebe zu einer Frau erfahren dürfen, er war damals gerade sechzehn Jahre alt gewesen, wäre er heute noch der Hausmann und der Erzieher für seine Mutter und die beiden Gören.

      Georgios überlegte, dass er schon früh den Haushalt mitgestalten musste, da war er erst sieben Jahre alt gewesen. Zu Hause blieb zunächst wegen der zu dieser Zeit beginnenden Berufstätigkeit seiner Mutter das meiste liegen. Aber wie es bei vielen griechischen Ehefrauen, die im Ausland arbeiteten der Fall war, ließ seine Mutter, die Paraskevie hieß, durch ihr Kind den Haushalt nach einigen Erklärungen mitgestalten. Doch Georgios fand das nicht komplett falsch, er kannte es ja nicht anders ...

      Tanita spürte die graue Stimmung ihrer Ferien-Bekanntschaft und fragte: „Warum bist du so still?“ Er antwortete: „Ach ich dachte auch so persönlich für mich über die Unterschiede der Nationen nach.“ „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“, fragte sie interessiert. „Also ich dachte auch darüber nach, dass ich allzu oft helfen musste bei der Haushaltsführung und dass Griechinnen nun mal so sind“, antwortete Georgios. „Ach, so“, meinte Tanita nur. Dann sagte sie, als sie nachdenklich ihr Haar aus der Stirn strich: „Das kenne ich auch, man wird schnell als Mensch ausgenutzt, wenn man es mitbringt nachgiebig zu sein, darf man traurig und glücklich zugleich sein. „Warum glücklich?“, er hob die Brottüte etwas an und verschloss sie dann mit der linken Hand. Es begann zu regnen und weiße Wolken senkten sich herab. Sie sahen aus wie Wattebäusche.

      Tanita, die eine Weile überlegt hatte, meinte: „Glücklich, weil man dann nicht so zerbrochen wird darauf, lieber ein Kind sein zu wollen.“ „Stimmt schon“, sagte Georgios etwas später. „Aber?“, fragte sie überrascht, dass er zustimmte, Tanita hatte ihn für einen typischen griechischen Sohn gehalten, der sich lieber aus dem Haushalt raus gehalten hätte. „Nun, ich denke gar nicht so viel mehr, nur was kann man machen, das ist eben die einzige Philosophie, die ich als Grieche Gott gegenüber nicht vollkommen falsch finde.“

      Tanita war zunächst ziemlich unverständlich mit dieser Antwort, hatte Griechenland doch wichtige Philosophen hervorgebracht, und dann fühlte sie, dass er sie wohl belustigen wollte, so nickte sie verlangsamt, zustimmend. Georgios fühlte schon noch ihre Skepsis und dann meinte er einfach: “Komm lasse uns nicht so einfach daher reden. Gleich sind wir bei meinen Eltern, die sind eher vom Gefühl für sich selbst her bestimmt. Und sie sind die ehrlichsten Griechen, die es gibt,