Angelika Nickel

Todesnacht


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als ihresgleichen zu akzeptieren. Immerhin waren es Bürger aus dem Ort, von daher hatten sie auch ein Recht gehabt, geblieben zu sein.

      Wie auch heute Moira das Recht hatte, nach Marlow-River zurückgekehrt zu sein, um in ihrem Geburtsort zu sterben.

      …

      Unheil lag in der Luft, das spürte selbst das Mastvieh auf den Weiden.

      Vor fünf Jahren hatte es angefangen. Damals hätte es niemand auch nur für möglich gehalten, dass ein Kind für all das Treiben verantwortlich gewesen sein sollte.

      Daniel DeMott war ein hübscher kleiner Junge von fünf Jahren. Der Letztgeborene von Moiras Drillingen.

      Duke war der Erste, danach wurde Desmond und als letzter Daniel geboren. Drei Buben, die, je älter sie wurden, sich immer ähnlicher sahen. Nur äußerlich allerdings.

      Während Duke und Desmond liebenswerte kleine Jungen waren, war ausgerechnet das Kind, dem das Gesicht eines Engels geschenkt worden war, übertrieben böse. Nur brauchte es lange, bis die Einzelnen erkannten, wie böse das Kind war.

      Über etliche Monate hinweg hatten die Marlow-River-Bewohner überlegt, wer es war, der in den Nächten das Vieh abschlachtete, und wer für den Tod so vieler Hunde und Katzen verantwortlich war.

      Den Katzen waren die Schwänze in Brand gesteckt worden, während den Hunden die Beine abgehakt worden waren.

      Durch Zufall hatte einer der Bewohner eines Tages Daniel bei einem dieser geschundenen Tiere vorgefunden. Blutüberströmt war er gewesen, doch er hatte es abgestritten, dem Hund etwas angetan zu haben. Gefunden hätte er ihn, hatte der Fünfjährige damals behauptet. Und die Meisten hatten ihm geglaubt, da es zu unwahrscheinlich erschienen war, dass ein kleiner Junge, einem Tier etwas derart Schreckliches angetan haben sollte noch, dass man Daniel für fähig gehalten hätte, auch all das andere Getier geschunden und getötet zu haben.

      Dennoch, die ersten Zweifel waren geweckt worden, auch wenn es seine Mutter Moira nicht wahrhaben wollte, dass auch nur angenommen werden konnte, dass einer ihrer Drillinge, etwas derart Fürchterliches getan haben sollte.

      …

      Heute, dreißig Jahre danach, war die Erinnerung an die Geschehnisse von damals zurückgekehrt. Und mit der Erinnerung auch die Angst vor dem, was womöglich noch kommen sollte.

      Das Grauen davor, was sich aus dem Grab heraus schleichen und aufs Neue zu töten anfangen könnte.

      Die Meisten, die die Gräueltaten seinerzeit miterlebt hatten, fürchteten sich davor, dass mit Moira DeMotts Rückkehr, auch das Böse nach Marlow-River zurückgekehrt war, und der Tote seinem Grab entfliehen und erneut mit dem Morden beginnen würde.

      4 – Doc Winston

      Die, die betroffen gewesen waren, die durch Daniel einen Verlust zu verschmerzen gehabt hatten, mieden schon die Nähe von Moiras Farm.

      Über all die Jahre war selbst der Reverend nicht in der Lage gewesen, den betroffenen Familien beizubringen, dass es nichts gab, was es auf der Farm zu fürchten gab. Seit jedoch die DeMott wieder da war, wurden aus diesen Reihen Stimmen laut, die Frau aus Marlow-River zu vertreiben, und das noch, bevor das Grauen erwachte und aufs Neue zuschlug.

      »Wir müssen Sanders zwingen, dass er die Frau aus dem Dorf verjagt«, forderte eine ältere Frau, die beim Einkaufen auf einige Betroffene getroffen war.

      »Er wird sie niemals von hier fortjagen. Gerade er nicht«, sagte ein anderer und verzog angewidert den Mund.

      »Ich hab gesehen, wie er vorhin zu ihrer Farm abgebogen ist«, mischte sich nun auch noch die Verkäuferin des Ladens ein. »Aber wen wundert’s«, sagte sie weiter und schickte ihren Blick zu den Leuten hin.

      »Und was ist mit meinem Justin?«, klagte eine Frau Mitte fünfzig. »Bis heute ist er nicht gefunden worden.«

      »Den hat Satan mit in die Hölle genommen«, vermutete der Metzger des Ladens. »Wir wissen doch alle, schon seit damals, dass es keine weitere Hoffnung auf Justin gibt.«

      »Du hast leicht reden, Metzger. Dein Kind war es ja nicht«, jammerte die Frau, und zog ein Taschentuch aus ihrem Einkaufsbeutel, um die Tränen fortzuwischen. Sie hatte niemals den Verlust um ihren Sohn überwunden. Seit Jahren suchte sie den Jungen bei Nacht, in der Hoffnung, ihn doch noch eines Tages in die Arme schließen zu können.

      »Der Nächste bitte«, rief die Frau an der Kasse, der Gruppe zu.

      Die Mutter des niemals zurückgekehrten Justin, entfernte sich von den anderen und lief zur Kasse hin. »Alles fängt von vorne an«, flüsterte sie der Kassiererin zu. »Ich fühle es.«

      »Bitte Mrs Garcia, Sie machen den anderen Angst«, erwiderte die Frau an der Kasse, und merkte, wie auch ihr sich die Nackenhaare stellten.

      Ein junger Mann betrat den Laden und lief auf die Gruppe zu. Kurz davor blieb er stehen und nahm eine Konservendose aus dem Regal und tat, als würde er das Etikett eingehend studieren. Dabei hörte er der Menschenmenge interessiert zu. Nach einer Weile entschloss er sich und trat zu den Leuten hin. »Hallo. Ich bin Doc Winston. Konnte nicht umhin, Wortfetzen Ihres Gesprächs aufzuschnappen«, stellte er sich vor, und gleichzeitig fest.

      Verwundert musterten die Leute den Fremden. »Was wollen Sie von uns. Und was geht Sie unser Gespräch an«, fuhr die ältere Frau den jungen Mann an.

      »Britta«, sagte ein anderer und schickte einen entrüsteten Blick zu der älteren Frau hin, »du weißt doch noch nicht einmal, was der Mann von uns will.« Er streckte dem Fremden die Hand entgegen. »Sie dürfen das nicht falsch verstehen, was Britta gesagt hat. Die Menschen sind außer sich vor Sorge und Angst, zurzeit«, erklärte er. »Ich bin übrigens Graham Jenkins«, stellte er sich endlich dem jungen Mann vor.

      »Charles Winston. Doc Charles Winston. Habe meinen Doktor in Psychologie gemacht.«

      »Wie mir scheint, sind Sie dafür noch viel zu jung.« Britta Wait schaute den Mann misstrauisch an.

      Der Mann lachte. »Das meinen die Meisten. Doch ich habe einige Schuljahre übersprungen, von daher …« Er hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf sich, dabei wiederholte er »Wie gesagt, Doc Winston.«

      »Wir haben hier keine, die einen Seelenklempner brauchen«, brummte ein anderer Mann, der sich an der Gruppe vorbeizwängte.

      »Dafür einen Exorzisten«, raunte es von Britta.

      Der junge Mann hob die Braue. »Wie bitte? Das glaube ich nicht«, versuchte er, mehr aus den Leuten herauszubekommen. Er wollte Genaueres über die Gerüchte erfahren, die ihm über Marlow-River zu Ohren gekommen, und letztendlich der Grund dafür waren, dass es ihn an diesen Ort gezogen hatte.

      »Der Teufel kommt nach Marlow-River zurück.« Der ältere Mann strich sich übers Kinn.

      »Unsinn«, ereiferte Britta sich. »Der Teufel ist bereits wieder da. Seit Moira wieder zurück ist. Mit ihr ist der Satan zurückgekommen.«

      Winston betrachtete die Runde verwundert. Massenhysterie, schoss es ihm durch den Kopf. Wie er bereits auf Grund der Gerüchte, schon vermutet hatte. »Etwas Derartiges gibt es nicht. Der Teufel ist nicht real. Er ist das Gegenteil des Guten, mehr aber auch nicht«, versuchte er, den Leuten die Angst zu nehmen.

      »Woher wollen Sie das wissen? Wie lange sind Sie denn schon in Marlow-River«, widersprach Graham Jenkins.

      Doc lächelte. »Ich bin gerade erst angekommen. Muss mir auch noch ein Zimmer suchen. Dennoch, die Geschichte Ihres Dorfes interessiert mich aufs Äußerste. Ich würde zu gerne mehr darüber erfahren. Auch darüber, wodurch es zu diesem Massenglauben gekommen ist.«

      »Massenglauben, haben Sie es genannt.« Jenkins beugte sich zu ihm hinüber. »Junger Mann, Sie sollten vorsichtiger sein. Ihre Meinung nicht übereilt von sich geben. Wenn Sie möchten, bei mir im Haus ist ein Zimmer frei. Dort können Sie wohnen. Und ich