Lina-Marie Lang

Feinde der Ashari


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so stark nach Luft, dass sie nicht antworten konnte.

      „Du musst ja extrem gerannt sein. Also auf diese eine Minute wäre es nun auch wieder nicht angekommen", sagte Nadira, die jetzt ein schlechtes Gewissen hatte, weil Aurel wegen ihr so gerannt war.

      „Doch", keuchte Aurel, aber mehr bekam sie noch nicht heraus.

      „Doch? Wieso?" Langsam dämmerte es Nadira, dass mehr dahintersteckte, als nur die Verspätung. Aber Aurel brauchte noch eine Minute, bis sie wieder genug Luft bekam, um reden zu können.

      „Ich hab gerade was Schlimmes mitbekommen." Aurel schnappte immer noch nach Luft. „Brancus, er hat auch noch keinen Hüter."

      Brancus? Was konnte er schon wieder im Schilde führen? Und wieso sollte es wichtig sein, dass er noch keinen Hüter hatte?

      „Er will … er will auch Darec. Und er ist schon im Haus der Wache."

      Jetzt blieb Nadira die Luft weg.

      ***

      Darecs Blick glitt über die anderen Mitglieder der kleinen Gruppe, mit denen er die Fahrt bestritten hatte. Die Fahrt war der Abschluss einer langen Ausbildung zum Wächter, und es war zugleich eine Prüfung. Die Ausbildung sollte sie auf ihr Leben als Wächter vorbeireiten, auf ein Leben als Beschützer der Bürger von Alluria und auch darauf, dass sie vielleicht eines Tages als Hüter auserwählt wurden. Dann wurden sie vom Beschützer der Bürger zum Beschützer eines Dynari. Es war eine der größten Ehren, die einem im Alluria zuteilwerden konnten, aber gleichzeitig war es auch ein gefährliches Leben. Jedenfalls potenziell gefährlich. Viele Dynari verließen ihre Heimatstadt kaum. Innerhalb der Städte bestand wenig Gefahr für die Dynari. Sie wurden oft fett und träge, und die Hüter dieser Dynari ebenfalls.

      Die Ausbildung sollte die zukünftigen Wächter auf die möglichen Gefahren vorbereiten. Die Fahrt war eine Prüfung, in der festgestellt wurde, ob diese Vorbereitung erfolgreich gewesen war. Gleichzeitig war es aber auch ein Teil der Vorbereitung, denn auf dieser Fahrt lernten die Männer oft mehr, als in der Ausbildung selbst. Das wichtigste Element der Fahrt war, dass niemand wusste, was passieren würde, auch die Ausbilder nicht. Und genau darauf sollten Wächter vorbereitet sein, auf das Unvorhersehbare.

      Darecs Gruppe hatte es geschafft. Sie hatten die Fahrt hinter sich gebracht und es überlebt. Alle. Es hatte Zeiten gegeben, in denen nicht klar gewesen war, ob sie es schaffen würden. Sie hatten Entbehrungen und Schmerzen erlitten, aber sie hatten auch spannende Abenteuer erlebt, fremde Länder gesehen und so manche exotische Vergnügen genossen.

      Darec war, wie auch die anderen aus der Gruppe, froh wieder zu Hause zu sein. Aber wo war Nadira? Wieso hatte er sie noch nicht gesehen? Er musste sich eingestehen, dass er noch gar keine Zeit gehabt hatte, jemand zu treffen. Endlich wieder im Haus der Wache angekommen, hatten sie kurze Zeit gehabt um zu baden und etwas zu essen. Dann hatte Hauptmann Selius sie zu sich bestellt und einen Bericht verlangt. Das hatte bis spät in die Nacht gedauert. Danach waren sie alle erschöpft in ihre Betten gefallen. Trotzdem war Darec enttäuscht, Nadira noch nicht gesehen zu haben. Er hatte erwartet, dass sie ihn begrüßen würde, wenn er wieder in Seraint war.

      Heute Morgen hatten Darec und seine Gefährten lange geschlafen. Als sie endlich aufgestanden waren und gefrühstückt hatten, begangen auch schon die Vorbereitungen auf die Zeremonie. Sie wurden gebadet (von Dienerinnen), sie wurden frisiert und ihre Uniformen gesteckt. Hier und da musste noch etwas nachgebessert werden. Jetzt saßen sie in einem kleinen Warteraum und warteten, dass die Zeremonie begann.

      „Hey, Darec", rief einer der anderen. „Weißt du noch die Kleine in Cassant?" Er lachte anzüglich und die anderen stimmten in sein Lachen ein. Darec nickte. Er konnte sich noch gut daran erinnern. Die Kleine hatte einfach nicht die Finger von ihm lassen können. Darec hatte sich geschmeichelt gefühlt, aber er hatte kein wirkliches Interesse an ihr gehabt. Sie an ihm auch nicht, wie sich später herausgestellt hatte. Sie hatte ihm nur den Geldbeutel abgenommen. Die Jungs hatten sich köstlich amüsiert, Darec allerdings weniger.

      Die Türe schwang auf und Hauptmann Selius kam herein. Er sah sie alle der Reihe nach an. „Seid ihr soweit Männer?"

      „Jawohl", riefen sie alle wie aus einem Mund.

      „Dann wollen wir es mal hinter uns bringen." Es war bekannt, dass Hauptmann Selius kein Freund von Zeremonien war. Er war ein Mann der Tat, und keiner der großen Reden. Außerdem mochte er die steifen Rituale nicht. Aber es gehörte nun mal zu seiner Pflicht als Hauptmann. Er war froh, wenn er alles hinter sich hatte. Für Darec und die anderen war die Zeremonie hingegen eine große Ehre.

      ***

      Darec betrat den Saal als Dritter. Der Saal im Haus der Wache hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem großen Saal im Haus der Dynari. Aber der Saal der Dynari war viel größer und punktvoller eingerichtet. Der Saal im Haus der Wache war eher zweckmäßig. Es gab eine Art Bühne, von dort aus konnte der Hauptmann seine Ansprache halten, und das tat er auch. Er lobte den Mut der Wache und stellte fest, dass diese Männer denselben Mut gezeigt hatten. Darec und die anderen hatte sich in einer Reihe aufgestellt. Sie standen auf der Bühne und vor ihnen ging der Hauptmann auf und ab und hielt seine Rede. Im Saal waren war die Wache von Seraint versammelt.

      Natürlich waren nicht alle Angehörigen der Wache hier. Viele hatten Dienst und waren auf ihren Posten. Außerdem wäre der Saal nicht groß genug gewesen, um alle Leute aufzunehmen. Aber da die Wache ihre Posten niemals unbesetzt lies, kam es sowieso nie dazu, dass sich alle gleichzeitig an einem Ort versammelten.

      Hauptmann Selius sprach jetzt über die große und edle Tradition der Wache, über das Große das sie vollbrachten, über den Dienst am Land und den Leuten. Aber Darec höre nur mit einem Ohr zu. Er war nervös. In wenigen Momenten würde sich sein Traum erfüllen und er wurde zu einem vollwertigen Mitglied der Wache. Wenn Hauptmann Selius doch endlich mit seiner Rede fertig werden würde.

      ***

      Nadira hielt an ihrem Plan fest. Sie war fest entschlossen, Darec heute als ihren Hüter zu erwählen. Zusammen mit Aurel machte sie sich auf den Weg zum Haus der Wache. Sie benutzten nicht den Haupteingang, denn wie Nadira wusste, war Brancus bereits dort und Nadira hatte keine Lust auf eine Konfrontation mit ihm.

      Nadira stand vor einem Problem. Brancus war zuerst da gewesen, deshalb hatte er den Vortritt. Und sie durfte Darec nicht sehen, bevor er offiziell in die Wache aufgenommen worden war. Wenn sie aber wartete, würde Brancus ihn ihr quasi vor der Nase wegschnappen. Nadira traute ihm zu, dass er Darec auf eine Mission schickte, die dieser nicht überleben konnte, nur um ihr eins auszuwischen.

      Sie hatte noch keine Idee, wie sie das Problem lösen würde, aber Nadira war fest entschlossen zu gewinnen. Schon um Darec Willen.

      Sie waren jetzt im Haus der Wache angekommen und standen vor einem der Nebeneingänge in den Saal. Nadira hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte.

      „Dyna, kann ich Euch helfen?"

      Nadira zuckte erschrocken zusammen. Der Wächter hatte sich ihr so leise genähert, dass sie ihn nicht bemerkt hatte.

      „Verzeiht Dyna, ich wollte Euch nicht erschrecken."

      „Was machst du hier draußen?", fragte Nadira. „Solltest du nicht drin sein?"

      „Ich bin für die Wache eingeteilt, Dyna. Ich halte in den Gängen Wache."

      „Hat die Zeremonie schon angefangen?"

      „Das hat sie."

      „Wie lange wird sie dauern?"

      „Das kann ich nicht genau sagen, Dyna. Aber die Zeremonie dauert nicht sehr lange. Vielleicht noch ein paar Minuten."

      „Danke", sagte Nadira. Noch ein paar Minuten. Sie hatte nur noch ein paar Minuten um sich etwas einfallen zu lassen und sie hatte nach wie vor keine Idee.

      ***

      Hauptmann Selius war mit seiner Ansprache endlich fertig. Jetzt fing der spannende Teil der Zeremonie an. Er würde von jedem der Männer einen Schwur verlangen und ihnen dann das Abzeichen der Wache überreichen.