Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Bd. 2


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An der Fenz hin, manchmal noch durch niedriges Gestrüpp und Unkraut, das den Boden dicht bedeckte, oder auch über niedergebrochene Stämme und Äste hin, lief und kletterte sie, von den weiten Kleidern oft gehalten, in immer wachsender Ungeduld, und erreichte endlich den kleinen, freien, von zahmen Vieh zertretenen und etwas schmutzigen Platz unmittelbar vor der Hütte, die in die Fenz hineingebaut lag. Hier sah sie auch das erste lebende Wesen – denn bis jetzt hatte ihr nur der blaue Rauch die Nähe von Menschen verraten – eine Frau in einem ordinären weiß-baumwollenen Rock – der selbstgewebte Stoff der Backwoodsfrauen – die vor der Tür der Hütte stand und das zu Mittag wahrscheinlich gebrauchte Geschirr in einem hölzernen Troge reinigte. Gott sei Dank, da war jemand, den sie erst fragen konnte, ehe sie das Haus betrat, und mit auf dem weichen Boden geräuschlosen Schritten zu ihr herangehend, sagte sie, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, mit lauter Stimme, aber in englischer Sprache:

       «Guten Tag, Madame44, könnt Ihr mir sagen, ob die Gräfin – ob Mrs. Olnitzka zu Hause ist?»

       Die Frau drehte sich nach ihr um und sah ihr starr und regungslos in die Augen, erwiderte aber kein Wort – sie mußte die Anrede nicht verstanden haben.

       «Entschuldigt mich, liebe Frau», sagte die Fremde, den Blick dabei unruhig nach der Tür der Hütte werfend, als ob sie von dort in jeder Sekunde die Gestalt der Schwester zu sehen erwarte, «ich bin fremd hier – eben erst angekommen, und suche die Dame, der dies Haus gehört.»

       Die Frau hob langsam die Hände auf – ihr Blick, erst erstaunt und erschreckt, wurde immer stierer und wilder, und während das Geschirr ihren Fingern entfiel, streckte sie plötzlich wie abwehrend die Arme von sich, und den bleichen Lippen entrang sich das Wort: «Amalie!»

       «Heiliger – allmächtiger Gott!» schrie Amalie, in diesem Augenblick von jähem Schreck getroffen, während sie ihre Stirn mit beiden Händen hielt und die vor ihr stehende Frau anstarrte, als ob ein Geist vor ihr dem Boden entstiegen wäre. «Sidonie!» und die Arme nach ihr ausstreckend, umfing sie wie krampfhaft die bleiche, zitternde, schmächtige Gestalt.

       «Meine Sidonie! – Mein liebes, liebes Herz!» flüsterte sie dabei, in ängstlich liebkosender Hast ihr die blassen, eingefallenen Wangen streichelnd und in vergehendem Schmerz die abgehärmten, an sie geschmiegten Glieder fühlend. «Mein armes, verlassenes Kind!» Aber sie vermochte nicht mehr zu sagen, und auch die Schwester hing lautlos – schluchzend in ihren Armen.

       Aber Sidonie faßte sich zuerst wieder, und gewaltsam die Bewegung bezwingend, der sie sich im ersten Augenblick wohl unwillkürlich, selbst unbewußt hingegeben, strich sie die Haare aus der marmorweißen und fast ebenso kalten Stirn, und die Schwester leise auf Armeslänge von sich pressend, schaute sie ihr voll und zärtlich in die tränengefüllten Augen, und sagte mit leiser und so unendlich weicher Stimme:

       «Amalie – oh, wie Dein lieber Anblick meinen Augen so wohl tut! Aber wo kommst Du her – Mädchen? Um Gotteswillen, was hat Dich aus Deutschland herüber in den Wald gebracht? Du – Du bist doch nicht… »

       «Herübergekommen, um Dich zu sehen und zu küssen!» rief die Schwester, sie von neuem an sich ziehend. «Du böse, böse Frau schreibst ja doch nicht mehr, und da wir nicht länger ohne Nachricht von Dir leben konnten, gab der Vater endlich meinen dringenden Bitten nach und ließ mich ziehen, um Dich selber aufzusuchen. – Aber Sidonie – um Gotteswillen, Du bist krank – Du siehst bleich und elend aus, und strengst Dich dabei noch übermäßig an mit unnützer Arbeit. Was lässest Du die Magd das nicht besorgen?»

       «Die Magd?» sagte die Frau verlegen, wehmütig lächelnd.

       «Nun ja, Herz, oder einen Deiner Leute. – Lieber Himmel, ich habe Dich ja gar nicht wiedererkannt, als ich Dich traf, so blaß, so abgemagert siehst Du aus – daß wir Dich doch nie von uns fortgelassen hätten ! Aber wo ist Dein Mann? Wo Dein Kind? Und hier – hier drinnen in dem kleinen Häuschen wohnst Du wirklich Sommer und Winter?»

       «Olnitzki ist hinauf auf die Jagd gegangen, aber ich erwarte ihn heute zurück, und mein armer kleiner Oskar schläft – er war recht schwer, recht schwer krank, das Kind.»

       «Ich hörte es schon am Weg», sagte Amalie, «aber Du erwartest Deinen Mann h e u t e von der Jagd zurück? – Bleibt er denn auch über Nacht aus?»

       «Selten, aber doch wohl manches Mal.»

       «Und läßt Dich mit den Leuten hier ganz allein?»

       «Mit den Leuten, Amalie?» sagte die Schwester leise und mit einem halb verlegenen, halb schmerzlichen Lächeln zu ihr aufschauend. «Wir leben hier einfacher, als Ihr daheim zu glauben scheint. Der Wald erzeugt wenig Bedürfnisse, und den wenigen zu begegnen, sind wir selbst genug. Wir halten keine Leute.»

       «Keine Leute für das Feld?» rief Amalie erstaunt. «Und Dein Mann bestellt das alles allein?»

       «In der Arbeitszeit nimmt er sich manchmal einen Mann herüber, um ihm zu helfen», sagte die Frau, «aber komm, Sidonie, komm in das Haus; die Herbstsonne sengt Dir noch die Haut, und Du wirst müde von der Reise sein. Auch mußt Du mir erzählen, wie und mit wem Du hierher gekommen, mitten auf Oakland Grove allein und ordentlich aus dem Boden heraufgewachsen. Wie ich Dich so da vor mir stehen sah, glaubt’ ich wahrhaftig erst, ich sähe Deinen Geist. – Aber Du wirst Dir Dein Kleid hier bei uns verderben.»

       «Warum verderben?» lachte Amalie unter zurückgehaltenen Tränen vor, als sie die dünne, fast durchsichtige Hand der Schwester faßte und ihren Arm um ihre Schulter legte, um sie zum Haus zu führen. «Und wenn es wäre, ist es ja doch für die Reise bestimmt.»

       Sie hatten sich indes der Tür genähert, und Sidonie streckte den Arm aus, um sie zu öffnen – aber der Arm zitterte, zögerte, und der Schwester Hand ergreifend und sie plötzlich fest, fast krampfhaft in die ihre pressend, sagte sie mit wie von innerer Bewegung erstickter, hastiger Stimme:

       «Amalie – meine Heimat ist nicht das, was Du, trotz des ärmlichen Aussehens, zu erwarten scheinst – wir leben einfach, fast ärmlich, wie der geringste Waldbewohner im weiten Reich – Du wirst – Du wirst Dich nicht wohl hier bei uns fühlen – k a n n s t es nicht, denn der Abstand aus dem Leben, das Du gerade frisch verlassen, ist zu groß – zu – furchtbar – für Dich heißt das – für den nicht daran Gewöhnten, während wir es nicht besser wissen, nicht besser – verlangen. »

       «Sidonie, um des Heilands Willen, was ist hier vorgegangen?» rief Amalie in Todesangst. «Was verheimlichst Du mir? Was soll die Vorbereitung jetzt bedeuten?»

       «Nichts, Amalie», sagte die Frau jetzt schon gefaßter, «als Dich eben, wie Du es nennst, vorbereiten auf ein wildes, ungewohntes, und, wie Du es ja in Deinen Briefen mir so oft beneidet, ein – romantisches Leben. Schreck’ aber nicht davor zurück – unter der rauhen Außenschale birgt es doch noch oft den süßen Kern, und Hunderte von Familien leben hier im Wald gerad’ wie wir – und glücklich – und zufrieden.»

       «Aber Du?»

       «Ich gehöre zu ihnen», sagte die Frau leise, «bin eine von denselben, und – wenn mir mein Kind erhalten wird – verlange ich nicht mehr.»

       Ihre Sprache war fast zu einem Flüstern herabgesunken, aber ein schwacher Schrei im Inneren machte ihrem Zögern rasch ein Ende. Das kranke Kind war erwacht, und die Mutter, der Schwester kaum noch gedenkend, stieß hastig die aus gespaltenen Brettern roh zusammengesetzte Tür auf, um zu dem Liebling zu eilen. Über dessen Lager gebeugt – und welch ärmliches Bettchen war es für den Grafensohn! – ließ sie die Schwester auf der Schwelle stehen, und Amaliens Blick überflog schaudernd das Innere der ärmlichen Hütte, die ihr, sie mochte sich dagegen stemmen wie sie wollte, gerade mit den Resten mancher Überbleibsel aus früherer, besserer Zeit nur noch trostloser, leerer, verlassener vorkam, als das ärmlichste Blockhaus, das sie bis jetzt im Wald gesehen.

       Die Wände waren kahl und überall von den unverstopften Spalten der übereinander gelegten und nur oberflächlich zusammengefügten Stämme durchbrochen. Nur wo die beiden schmalen, kaum mit dem notdürftigsten Bettzeug belegten Betten standen, hatte vielleicht