Gerstäcker Friedrich

Reisen Band 2


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und dort Familien, /107/ und zu Trauungen, Taufen und Begräbnissen schien es wünschenswert, geistlichen Beistand zu haben.

      Mein Marsch und die Art meiner Reise brachte mich, sehr zu meinem Vorteil, mit beiden Schichten der Gesellschaft am Murray in Verbindung, und zwar als Fußreisender oder sogenannter „bundleman“ am meisten mit den unteren Schichten; denn größtenteils, wo ich eine Station erreichte, um dort zu übernachten, schlief ich in der Hütte des Schäfers oder in der Küche, wurde aber stets reichlich mit Speise und Trank und warmer Schlafstelle versehen.

      Am Abend erreichte ich die etwa fünfundzwanzig Meilen entfernte Station des Mr. Smith, der an dem Nachmittag zurückkehrte, und übernachtete in der sogenannten „Hütte“ mit dem Schäfer und Stockkeeper. Das Gespräch drehte sich natürlich um die „natural curiosity“, wie sie es nannten, den „Prediger im Busch“, aber keineswegs mit der Ehrfurcht, die Mr. Smith oder der Prediger erwartet haben mochten.

      „Der ist wohl hergekommen, um uns unsere six pence abzuholen,“ meinte der Eine; „verdammt der Penny, den er aus dieser Tasche kriegt,“ erwiderte der Andere. Alles sprach sich gegen jede Predigt, wie überhaupt gegen jede geistliche Tröstung aus. Ich glaube auch, nach Allem was ich gehört habe, daß dies ziemlich die allgemeine Stimmung im Busch ist, und es gibt sicherlich auf der weiten Welt keinen undankbareren Ort für einen Geistlichen, als eben den Murray Scrub. Wohl nirgends in der weiten Welt lebt ein roheres, rauheres Volk, als gerade die Bewohner dieses Busches - die Ansiedler selber, oder vielmehr die Pächter der verschiedenen Stationen und „runs" natürlich ausgenommen, die sich aber auch von den „Leuten“ in streng aristokratischer Art vollkommen isoliert halten.

       Eine Tugend haben diese Leute aber, die Tugend der Gastfreundschaft, die bei dem Araber nicht gewissenhafter ausgeübt werden kann. Kommt ein Wandersmann in eine von ihren Hütten, ja sieht man nur einen von Weitem kommen, so setzt der „Hutkeepcr" (Hüttenbewohncr) schon den Quarttopf mit Tee ans Feuer und den Damper und das Fleisch auf den Tisch. Kommt er gegen Abend an, so ist es eine /108/ Sache, die sich von selbst versteht, daß er dort übernachtet, und in gar vielen Hütten bin ich auf das Herzlichste aufgefordert worden, auch den nächsten Tag noch zu bleiben und auszuruhen. Die wenigen Settler, die davon eine Ausnahme machen, sind am ganzen Murray bekannt, und es wird nur mit Verachtung von ihnen gesprochen.

      Sonst besteht diese Bevölkerung wenigstens zu drei Viertheilen aus früheren Deportirten, Leuten, die in ihrer Jugend schon hierher geschafft wurden und, selbst der Möglichkeit jeder Erziehung entnommen, wild und roh in einem eben so wilden Lande aufwuchsen. Jedes Wort fast, das sie aussprechen, bezeichnet das, und „a bloody fine day - a bloody bad road“ sind die steten, selbst im freundlichsten Sinne gebrauchten Ausdrücke. Dennoch halten sich diese Leute in einer Art gesetzlichem Zwang, von dem der eben so wilde, aber nicht so rohe Backwoodsman (Hinterwäldler) Amerikas nichts weiß. Es herrscht eine Art angeborener Scheu vor einem Gesetz, das in vielen Fällen nicht im Stande ist ihn zu schützen, das der Buschmann aber doch selten oder nie - wenn er es nicht als Verbrechen heimlich tut — übertritt. Ich meine hiermit das Lynchgesetz, das vielleicht in keinem Ort der Welt nötiger wäre manchmal anzuwenden, als gerade hier - nirgends aber auch, wenn nicht jene wohltätige Scheu vor dem Gesetze stattfände, in schlimmeren Händen sein könnte.

      Es fallen nämlich, selbst hier im Busch, sehr häufig Diebstähle vor. Diese aber sind um so gefährlicher, da die Schäfer und Stockkeeper ihre Hütten gar nicht einmal verschlossen halten können, und selbst die Hutkeeper, besonders da wo Hürden stehen, dieselben manchmal verlassen müssen. Nur zu häufig kommt es vor, daß herumstreichende Vagabonden, die überall die Gelegenheit wissen, Decken oder Provisionen - denn sonst ist in den Hütten selten etwas zu holen - mitnehmen, ja wohl auch die einzige Kiste aufbrechen, worin ein paar mühsam ersparte Schillinge zu finden sind; oder daß sie Pferde auffangen, um damit ihren Weg fortzusetzen, die sie dann, wenn sich Gelegenheit bietet, verkaufen oder vertauschen, oder auch wieder laufen lassen. /109/ Werden solche Schufte von den rechtmäßigen Eigentümern aus frischer Tat ertappt, so müßte immer erst ein Polizeibeamter vielleicht sechzig oder siebzig Meilen weit herbeigeholt werden, um sie zu verhaften. Ebenso geht es mit der Verfolgung; wollte man sich der Polizei dabei bedienen, so gewännen die Diebe gewöhnlich, ehe die Polizei herbeigeschafft werden könnte, einen solchen Vorsprung, daß an ein Nachsetzen gar nicht mehr gedacht werden könnte. Übernehmen aber die Leute selber die Verfolgung, so dürfen sie ihnen gesetzlich nichts weiter tun, als ihnen das geraubte Gut wieder abnehmen - und ich glaube selbst, das ist nicht einmal streng gesetzlich. Das diebische Gesindel, das sich hier herum aufhält, weiß das auch recht gut, und treibt sein schändliches Gewerbe ohne Scheu. Nur ein paar Mal aber den alten Lynch zwischen sie gebracht, was keine strengen Folgen von Seiten der Behörden haben könnte, und sie würden sich lange nicht mehr so sicher in der Ausübung ihrer Verbrechen fühlen. Man mag gegen das Lynchgesetz sagen was man will, ich bin doch in einzelnen Fällen dafür, und Alles, was ich darüber in Amerika gesehen und erfahren habe, ist mir hier im australischen Busch bestätigt worden.

      Diesen Tag hatte ich mehrere leere Schäferhütten getroffen. Es sollte vor Kurzem hier mehrfach Regen gefallen sein, und weiter nach Norden hinauf, im sogenannten Scrub oder den Malleybüschen, fing das Gras an aufzukeimen, weshalb die meisten Schafstationen jetzt weiter in's Land hinein verlegt wurden. Die Schafe sollen zu dieser Jahreszeit und mit dem so wasserhaltigen Futter des pigs face vielleicht nicht so viel Wasser gebrauchen, und den Schäfern wird es dann durch Karren für den eigenen Bedarf zugeführt.

      Heute traf ich auch zuerst den Malleybusch, von dem ich früher schon so viel gehört hatte, und der ein für viele australische Stämme so ungemein wichtiger Strauch ist.

       Der Malleybusch hat, wie fast jeder australische Baum, die langen, lanzettförmigen, oben und unten gleichen, und mit einer Art Terpentin gesättigten Gummiblätter; er wächst aber nur als Busch, und zwar sechs bis zwölf und zwanzig kleinere Stämme von einer Mittelwurzel schlank und blattlos /110/ in die Höhe zweigend, während die dichte Laubkrone ein breites, symmetrisch gleichförmiges Dach bildet. Das Grün dieser Blätter ist lebhaft und der Stiel derselben von einer rötlichen Farbe, so daß sie mit dem schlanken eigentümlichen Wuchs gar nicht üble Gruppen bilden. Zwischen ihnen kommt meistens die australische Fichte vor, ein wahrhaft schöner, wenn auch nicht hoch wachsender Baum, der mit seinem vortrefflich schattierten saftigen Grün und den feinen Nadeln aus das Freundlichste gegen die ihn umgebenden und oft überragenden Malleybüsche absticht. Das Holz dieser Fichten ist schlank, weiß und fest, und eignet sich vortrefflich zu Tischlerarbeiten, wie denn von den kleinen schlanken Stämmen fast sämtliche Hütten im Busch aufgebaut werden. Die Rinde ist von einem sehr hübschen Grau und lang und tief eingespalten, was bei dem tannenartigcn Wuchs des Baumes selber und unter dem tiefschattigen Laub vortrefflich absticht.

      Der Boden, wo diese Malleybüsche stehen, ist durchgängig roter Sand, und hier gedeiht besonders bei nur einigermaßen günstiger Witterung der wilde Hafer; an mancher Stelle sogar, wie mir versichert wurde, zu ganz vorzüglicher Güte. Jetzt freilich waren nur die allerersten Spuren davon in dünnen grünen Hälmchen sichtbar, und es bedurfte noch manchen guten Schauers, um sie auch in dieser so regenarmen Gegend voll und üppig herauszutreiben.

      Der Malley bildet an beiden Seiten des Murray, oft bis zum Fluß hinanreichend, ein, weiter zurück besonders, fast undurchdringliches Gebüsch, das dann auch mit dem dicken, in förmlichen Rabatten, Kränzen, Halbmonden und Schlangen wachsenden cactusähnlichen Porkupine oder Stachelschweingras feste Dickichte flicht, in denen nur das Känguru und der Kasuar (Emu) mit dem wilden Hund ihren Aufenthalt finden.

      Hier aber hausen auch viele Stamme der Schwarzen, die Malley-Blacks oder Worrigels, wie sie von den Stämmen am Murray genannt werden, und leben von Kängurus und Wallobys (einer kleineren Art Kängurus), Kängururatten, Wombats (einer Art Dachs) und Emus. Kein Tropfen Wasser fließt in ihrem Gebiet, und sic gewinnen dasselbe auf /111/ eine so sinnreiche als eigentümliche Art. Die Wurzel einer dieser Malleyarten ist nämlich überaus saftreich, und sie graben sie aus, brechen sie in Stücke und stecken sie in ein zu diesem Zweck gehaltenes Gefäß ans Baumrinde, wobei aus manchen der Wurzelstücke ein vollkommen klares, aus anderen ein etwas rötliches, aber stets rein und süß schmeckendes Wasser fließt. Waschen kommt bei ihnen natürlich nicht vor, und zu diesem Gebrauch vermissen sie also das Wasser nicht, zum Trinken