Ingo M. Schaefer

Die Tote im Heidbergbad


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stand auf einer Anhöhe, daneben die Umkleiden und Toiletten. Meterhohe Eschen verwehrten mir einen Überblick. Ich sah keine Fußspuren.

      Der Trubel stellte sich nach einer dreiviertel Stunde ein. Bereitschaftspolizisten sicherten den Zaun, vor dem bereits ein paar Rentner Abwechslung in ihren Trott brachten. Herein kamen nur die Leute, die nicht gaffen, sondern arbeiten wollten: Einsatzleitung, Rechtsmedizin, Fotograf, Spurensicherung oder einfach Spurg.

      Ich winkte den Chef der Fadenzähler herbei.

      Yannick Helmke baute sich vor mir auf. Groß, schlank und schlecht gelaunt.

      Der Laborchef. Wir kannten uns seit dreißig Jahren. Wir waren damals gemeinsam zur Schule gegangen. Während er mit Chemie- und anderen Baukästen regelmäßig sein Zimmer demoliert hatte, war ich mehr daran interessiert gewesen, Handball zu spielen und vor bestimmten Mädchen eine Show hinzulegen. Als seine und meine Schwester, die, wie Yannick und ich, gleich alt waren, mal von einer Jungenbande ausgeraubt worden waren, kamen wir zusammen und wurden ein unschlagbares Team. Dann trennten sich die Wege, bis wir uns in der Polizeikantine begegneten. Ich, ein junger unerfahrener Kriminalmeister, und er, Labortechniker auf Probe. Er war nun der Albus Dumbledore der Spurensicherung und wusste das.

      „Moin, Meister Helmke!“, rief ich. Yannicks Mundwinkel wurden unwiderstehlich Opfer der Schwerkraft. „Ich war gerade auf dem Weg zu FischJäger.“ Ich fasste die Begegnung mit der Ratte kurz zusammen, öffnete mein Taschentuch und zeigte ihm den Siegelring. Er schob Tuch und Ring in eine Plastikhülle und beschriftete sie nach meinen Angaben. Fundort: Gehweg Am Heidbergstift, Lesum, Bremen-Nord, 29.6.2009, Uhrzeit: 9:37, Herkunft: unbekannt, Fund: goldener Siegelring.

      Er drehte sich ohne bisher zu antworten zur Pathologin und deren Helfer, die den Leichnam vorsichtig herumdrehten und später den schlaffen Körper aus dem knietiefen Wasser hieven würden.

      „FischJäger? Gibt es den immer noch? Na, da wird gerade was anderes gefischt. Scheint nicht geräuchert zu sein.“ Es war seine Art mit Tragödien anderer umzugehen. Yannicks Mund bewegte sich kaum, dennoch war er gut zu hören. Er verabschiedete sich nicht, ging einfach zu einer Mitarbeiterin, die dabei war, den Boden abzusuchen. Jeden prüfen und alles zweimal, war seine Natur.

      Schon wollte ich zum Leichnam gehen, da sah ich meine Leute kommen.

      Sie gingen nebeneinander, als wollten sie sich gegenseitig schützen, als durfte niemand an ihnen vorbei gehen. Auf diesem weiten Gelände fand ich das deplaziert, dennoch war es allemal ein starker Auftritt gegenüber den anderen. Außen rechts ging Markus Stenhagen, mein Mann fürs Grobe, aber auch mein bester Verhörspezialist. Außen links tapste Chico Laurentis daher. Niemand konnte ihn abhängen. Er war die Klette. Warum sie außen gingen, konnte ich nicht sagen. Neben Stenhagen ging Rita Hornung und neben ihr federte Frederike Talmann heran. Sie fanden jeden dunklen Fleck eines Menschen heraus. Alle vier waren Wühlmäuse, Computerspezialisten und Psychologen in einem, die heutigen normalen Anforderungen an Kriminalbeamte.

      Ich berichtete ihnen ausführlich und schickte sie los. Rita und Markus sollten Klinken putzen und die Nachbarschaft befragen. Chico und Frederike sollten hier bleiben. Wir gingen zur Gerichtsmedizinerin, der sich Mr. Fährtenleser zugesellt hatte.

      3

      Dr. Sonja Marker war eine sehr gründliche Pathologin und hübsch dazu. Leider. Die Kollegen hörten ihr nie richtig zu, sondern glotzten mehr. Aber sie hatte gelernt, sich vernünftig auszudrücken, und das blieb dann hängen.

      Der Wasserleiche fehlten mal nicht die Augen, was wohl an mangelnden Räubern im Wasser lag. Mich wunderte, dass der Körper nicht von Vögeln zerstückelt war. Eine Frau, bestimmt mal hübsch, jung, wenn man Wasser, Schmutz und Verwesung wegdachte. Die Löcher im Oberkörper ließen mich nicht an der Todesursache zweifeln. Ich überließ Dr. Marker das Feld.

      „Der Tod liegt länger zurück, vielleicht zwei bis vier Monate. Mehrere Perforationen haben sie getroffen. Zwei davon das Herz. Die waren tödlich. Am Hinterkopf ist ein Bruch. Wie immer, genaueres kann ich erst nach gründlicher Untersuchung sagen. Haben Sie bitte die Güte, die Kleidung zu untersuchen.“ Sie lächelte Yannick an.

      Die Tote trug ein Sommerkleid mit Taschen, keine Strümpfe. Die Pumps trieben in der Nähe.

      Yannick kniete nieder, tastete die Taschen ab. Das war sein Job. Schon wollte er den Kopf schütteln, als er innehielt. Im Kleid war innen eine Falz eingenäht. Zu klein für eine Brieftasche war sie groß genug für eine Scheckkarte.

      „Maria Hogen, Burgdamm“, las mein Jugendfreund vor und hielt mir den Bildausweis hin.

      Ich zog mir Handschuhe über und nahm das Plastik entgegen. Das Bild zeigte eine hübsche Frau, die mit der Toten bedingt Ähnlichkeit hatte. Nach zwei Monaten Wasser ähnelte niemand mehr seinem Bewerbungsfoto. Welche Geheimnisse verbarg sie, die zu ihrem Tod geführt hatten?

      Während wir zusahen, wie Dr. Marker und ihr Mitarbeiter an dem Leichnam weitere Untersuchungen durchführten, nuschelte Helmke:

      „Ich sehe zehn Finger. Woher zum Teufel kommt dann der Ring?“

      Inzwischen war ich mir gar nicht mehr sicher, einen angenagten Finger gesehen zu haben. War er mehr Knochen als Fleisch gewesen? Ich zuckte die Achseln und blickte mich um. Das Gelände müsste gründlich nach der Tatwaffe abgesucht werden, wenn ich genug Leute gehabt hätte, wenn die Spurg genug Leute gehabt hätte.

      „Mach erst mal das Notwendigste und vergiss den Ring fürs erste“, wies ich ihn an.

      „Wo ein Finger ist, liegt mehr“, meinte Yannick, ging und suchte mit seinen Leuten die nähere Umgebung ab. Warum suchte sich der Mörder einen solchen Tatort aus?

      Ich ging ihm hinterher.

      „Sag mal, gibt es hier überhaupt Spuren, wenn das zwei bis vier Monate her ist?“

      Er schüttelte den Kopf. Wir standen am südlichen Ende des Beckens in Richtung ehemaliger Ausgang. Er deutete dorthin.

      „Von dort kann man nicht aufs Gelände gelangen. Nur wenn man weiß, dass hinter dem Bademeisterhaus ein Weg ist. Ist schwierig zu finden. Dann der Riss im Zaun. Da bleibt keine Spur über diesen Zeitraum erhalten.“

      Ich nickte. Vom Durchgang zwischen Bademeisterhaus und Umkleiden wusste man, wenn man hier aufgewachsen war und das Heidbergbad im Sommer genutzt hatte.

      „Jemand hat sie also hierher gelockt. Danke!“ Hier war für uns nichts mehr zu tun. Jede kleine Spur würde Yannick finden. Ich schickte Chico und Frederike ins Büro. Ich hatte Urlaub.

      „Ich bin gleich bei FischJäger“, rief ich freudig ins Telefon.

      „Hm, und? Frühstückszeit ist vorbei“, grummelte Marga.

      „Fisch ohne Brötchen?“

      „Bring Heringssalat mit, dann sind die Kartoffeln fertig“, sagte Marga, die Persephone des Herdes.

      4

      Chico rief mich an. Maria Hogen war verheiratet. Der Mann, Tobias Hogen, vermisste sie laut Polizei seit dem 1. Mai. Markus und Rita fanden ihn zu Hause nicht vor. Nachbarn erwähnten Herr Hogen würde morgen von einer Geschäftsreise wieder kommen. Eine Telefonnummer hatten die Nachbarn nicht. Perfekt. Der erste Tatverdächtige. Im Zweifel war es immer der Ehepartner, nicht wahr! Seit man jedenfalls den TV-Serien glaubte, und die Gärtner Artenschutz beantragen mussten.

      Ich fuhr direkt in die Gerichtsmedizin. Frederike stand pflichtbewusst mit käsigem Gesicht neben Dr. Marker. Ein Polizist muss bei jeder Obduktion dabei sein. Ich schickte sie nach Hause. Obduktionen standen nicht auf ihrer Like-Liste.

      Der gewaschene Leichnam lag auf dem Stahltisch zur Untersuchung bereit. Dr. Marker nickte mir nur kurz zu, während sie weiter ins hängende Mikrofon sprach.

      „...außer den Eintrittswunden und der Schädelfraktur mehrere äußere sichtbare Verletzungen.“ Sie kämmte vorsichtig das Haar, wobei kleine Partikel in eine Schale fielen. Selbst ich sah, dass die Fingernägel sauber waren. Dr. Marker schnitt die Nägel ab und sammelte sie in einer beschrifteten