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3.
Zur Confirmation.
So nahte die Zeit, wo Valerie confirmirt werden und dann auch das Gemeinde-Armenhaus verlassen sollte, denn der Schulze hatte ihr schon einen Dienst bei einem Bauer ausgemacht, dessen Schwiegermutter an einer bösartigen Krankheit litt, und deren Pflege sie übernehmen konnte. Wozu brauchte auch die Gemeinde länger die Last zu tragen, wenn sich das Mädchen erst einmal selber mit ihrer Hände Arbeit ernähren konnte? Es war eigentlich eine Sache, die sich von selbst verstand.
Valerie war indessen vierzehn Jahr alt geworden - wenn sie sich auch kaum noch auf den Tag ihrer Geburt erinnerte, denn wer hatte sich, seit ihre Mutter gestorben, wohl noch um den gekümmert! Stark gewachsen mußte sie auch in der Zeit sein, denn ihre Kleider wollten ihr nirgends mehr passen und reichten ihr kaum mehr bis über die Kniee, und neue hatte sie ja nicht dazu bekommen. Aber wie bleich und mager sie aussah, und wie verwahrlost, wie schmutzig und abgerissen! Auch der freundliche, kindliche Zug von Anmuth war aus ihrem Antlitz gewichen, der es früher erhellte und die Grübchen in ihre runden Wangen rief. Finster und verdrossen sah sie aus, und wenn sie ja einmal draußen bei der Arbeit und ganz in Gedanken mit ihrer klaren Stimme sang, so waren es nur die wüsten, häßlichen Lieder, die sie von dem alten Bänkelsänger den ganzen Tag hören mußte, und die ihr deshalb in den Ohren klangen - und dazu die Vorbereitung zur Confirmation! Aber das störte sie nicht; welche Andacht konnte sie auch mit in die Kirche zu einem Gott bringen, von dem sie sich verlassen glauben mußte, während sie von den Menschen unter die Füße getreten wurde. Sie beobachtete - wie es Tausende ebenfalls thun - die anbefohlenen Formen und Formeln, und nahm das Ganze als eine eben nicht zu umgehende Ceremonie, die sie ja auch überstehen würde, so gut wie die Anderen. /19/ Eine Schwierigkeit hatte es dabei: ihre dürftige, abgerissene und schmutzige Kleidung. - So konnte sie nicht vor Gottes Altar treten, wie der Geistliche sagte, und der Schulze sollte Rath schaffen. Aber woher nehmen und nicht stehlen; denn neue Kleider aus dem Gemeindesäckel zu bezahlen, war noch nicht dagewesen und konnte auch von keiner Gemeinde verlangt werden.
Vielleicht gab es aber da eine Hülfe, denn der Schulze hatte bemerkt, daß Valerie an einer Schnur einen goldenen Schmuck um den Hals trug, und zwar ein kleines Kreuzchen und einen einfachen Ring. Das Kreuz hatte sie selbst einst von ihrer Mutter, die es bis dahin getragen, zum Weihnachten bekommen - der Ring war der Trauring der Verstorbenen, den sie ihr von der kalten Hand gezogen und als theures, einziges Vermächtniß aufbewahrte. Diese beiden Stücke sollte das Mädchen hergeben, um mit dem Erlös derselben die für sie nöthigen Kleidungsstücke zu beschaffen, und der Ortsschulze hielt das für so in der Ordnung, daß er es nicht einmal nöthig glaubte, selber ein Wort deshalb zu verlieren, sondern eine Magd in das Gemeindehaus sandte, um die „Goldsachen" nur einfach abzuholen. Valerie erfuhr aber kaum, was man von ihr verlange, als das sonst so scheue und schüchterne Mädchen auf das Bestimmteste erklärte, die Kleinodien nicht herzugeben, so lange sie selber lebe, und die Magd mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.
Jetzt aber wurde der Schulze böse. Das dumme, einfältige Ding widersetzte sich, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit helfen konnte, die bis dahin nur von der Gemeinde getragene Last zu erleichtern? Das war zu arg und verdiente strenge Ahndung, und seinen Hut aufsetzend und den Amtsstock nehmend, ging er selber mit großen Schritten nach dem Gemeindehaus hinüber.
Hatte er übrigens geglaubt, den fraglichen Gegenstand nur durch seine Erscheinung zu ordnen, so fand er sich da vollständig getäuscht, denn Valerie, wenn sie auch keinen Blutstropfen mehr im Gesicht hatte, erklärte ihm mit fester, entschlossener Stimme, das Kreuz und den. Ring gebe sie nicht her - das sei das Letzte, was sie von ihrer seligen Mutter /20/ habe, und das wolle sie behalten, und Gott würde eben so gnädig auf sie herabblicken, ob sie nun in ihren Fetzen zum Altar trete, oder in einem neuen weißen Kleide, mit dem sie doch nachher nicht wisse, was sie damit anfangen sollte, denn bei ihrer Arbeit könne sie es nicht tragen.
Der Schulze ärgerte sich vielleicht eben so viel über ihre Weigerung und Widersetzlichkeit als darüber, daß er ihr im Herzen Recht geben mußte - das Kleid wäre allerdings nur für den einen Tag gewesen, denn im Staate konnte die „Gemeinde-Waise" natürlich nicht herumgehen; aber was ging das ihn und das Dorf an! Sollten sie sich etwa von der Nachbarschaft nacherzählen lassen, daß sie ihre Kinder in Lumpen und Fetzen zum Abendmahl gehen ließen, und hatte überhaupt so ein Ding, das hier gar nicht hergehörte und nur aus Gnade und Barmherzigkeit erhalten wurde, einen eigenen Willen?
Der Schulze war gerade kein böser Mensch, aber leider voll von jenem Beamtendünkel, der nur zu Vielen in den Köpfen spukt. Wie er sich dabei vor seinen Vorgesetzten oder der obern Behörde in der Stadt bückte und nie gewagt hätte, eine Einrede laut werden zu lassen, ei, so verlangte er es auch von seinen Untergebenen, und wenn er einmal etwas angeordnet hatte, mußte es auch befolgt werden oder - er wäre ja nicht mehr Schulze im Dorf gewesen.
„Hör' einmal, Falleri," rief er deshalb und ging mit großen Schritten auf das scheu zu ihm aufblickende junge Mädchen ein, „ich will Dir etwas sagen - glaubst Du etwa, daß wir unsere Gemeinde-Armen mit goldenem Schmuck herumlaufen lassen, und dann trotzdem Alles aus unserem eigenen Beutel bezahlen? - Wenn Du ein klein wenig Ehrgefühl hättest, wärst Du schon lange von selber gekommen und hättest uns die Sachen für die Gemeindekasse eingeliefert, um wenigstens Alles zu thun, was in Deinen Kräften steht, die für Dich entstandenen Kosten nur einigermaßen wieder gut zu machen. Aber Gott bewahre, die Mamsell denkt gar nicht daran und will sich jetzt auch noch weigern, wo sie vom Gericht dazu aufgefordert wird. Her damit, Du unnützes Ding, oder ich lasse Dich wahrhaftig auf die Straße setzen!"
Er streckte dabei die breite Faust nach dem Kinde aus, /21/ das aber, todtenbleich, doch mit funkelnden Augen krampfhaft den letzten Schmuck seiner verstorbenen Mutter in der kleinen Hand faßte und nur bittend rief:
„Ach, lassen Sie mir das Kreuz und den Rmg, Herr Schulze - ich will ja gewiß arbeiten, daß mir das Blut unter die Nägel kommt, nur um Alles wieder abzuverdienen - aber nur das nicht - nur das nicht!"
„Hilft Dir nichts - her damit!" rief aber das Dorf-Oberhaupt, das sich jetzt seiner Würde etwas zu vergeben glaubte, wenn es von dem ausgesprochenen Willen abstand; „ich habe es einmal gesagt, und es muß geschehen - willst Du es hergeben, Du kleine Hexe?"
„Oh Du lieber Gott!" rief Valerie, indem sie die ihr heiligen Erinnerungszeichen mit ihren schwachen Kräften vertheidigte, - „ist denn gar kein Mensch auf der weiten Welt, der einem armen Kinde hilft!"
„Hallo!" rief da eine laute, trotzige Stimme von der Thür aus, „was geht da vor?"
Der Schulze ließ überrascht die Hand des Kindes los und drehte sich nach der Stimme um, erkannte aber nur den alten Bänkelsänger, der freilich mit einem, wahrscheinlich draußen aufgegriffenen Stück Buchen-Stangenholz auf ihn zuschritt und seiner ganzen Erscheinung nach fast so aussah, als ob er über den Schulzen herfallen möchte.
„Na?" rief dieser, ihn halb erschreckt, aber auch erstaunt ansehend, habt Ihr Euch etwa um das zu kümmern, was ich thue? Was wollt Ihr hier?"
„Ah, Sie sind's, Herr Schulze," sagte der Mann, ohne indessen den Knüppel, den er in der Hand trug, fortzulegen, „bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich gestört haben sollte, aber mir war's, als ob ich die Falleri schreien hörte, und wer der 'was thut, dem schlage ich den Schädel zu Brei zusammen."
„So, und was geht Euch die Falleri an, wenn ich fragen darf?"
„Was sie mich angeht?" lachte der Alte ingrimmig vor sich hin - „hat sie vielleicht jemand Andern, den sie 'was angeht, auf der Welt? Aber was giebt's denn, Falleri -/22/ Teufel noch einmal, Kind, wie blaß du aussiehst, bist du unartig gewesen?“
„Den Ring und das Kreuz meiner seligen Mutter will mir der Schulze wegnehmen, um mir ein Kleid davon zu kaufen,“ stöhnte das Kind.
„Ich, sieh ‘mal an,“ sagte der Bänkelsänger lachend, „was du dir für Sachen in den Kopf setzt, Schatz; der Schulze d i r die Goldsachen von deiner Mutter selig mit Gewalt wegnehmen wollen? Du bist wohl nicht recht klug im Kopfe. Das fällt ihm doch gar nicht ein.“
„Mit