Juliane Liebetreu

Bleeding Cherries


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freundlich zu deinen Gästen.

      Einen Augenblick standen wir uns schweigend gegenüber.

      „Das mit Ihrer Großmutter tut mir leid. Sie war eine gute Frau.“ Ich holte Luft und bemühte mich um ein zustimmendes Lächeln.

      „Ich weiß, Ihr seid verwirrt über mein Erscheinen und vermutlich auch über mein Erscheinungsbild. Aber ich habe Euch ein wichtiges Anliegen vorzutragen.“

      „Okay.“ Ich versuchte krampfhaft das Lachen zu unterdrücken, welches sich gerade versuchte den Weg ins Freie zu bahnen. Ich wusste nicht, wann und ob dieser Mann das letzte Mal in den Spiegel gesehen hat. Aber er sah nicht nur so aus, als hätte er einmal zu viel „Romeo und Julia“ gelesen, sondern er hörte sich auch so an.

      „Hat Eure werte Großmutter Euch in Eure Aufgabe eingeweiht?“ Verwundert sah ich den fremden Mann an.

      Aufgabe? Aufgabe? Die einzige Aufgabe, von der ich wusste, war nicht ernst zu nehmen. Mir blieb also nichts anderes übrig als den Kopf zu schütteln.

      „Wer sind sie eigentlich oder woher kennen sie meine Großmutter?“

      „Ich bin Graf Alexander und..“

      „Sie meinen wie Graf Dracula?“

      „Der Vergleich erscheint mir treffend, ob gleich wir nie Freunde waren. Ihr kennt den Grafen?“ Der Typ musste verrückt sein. Graf Dracula kennen?

      „Ich habe über ihn gelesen. Vampir, böse, tötet Menschen, eine Legende, mehr nicht.“

      „Nun gnädigste Dame. Ihr solltet Euer Weltbild überdenken, wenn Ihr die Aufgabe Eurer Großmutter zu Ende bringen möchtet.“

      Ich musste mich setzen. Ich ließ mich in unseren alten Ledersessel fallen und versuchte diesen Irrsinn zu verstehen. Vermutlich war das irgendein Typ aus dem Dorf, der an das Hexengerede glaubte und nun, da Großmutter gestorben war, beweisen wollte, dass sie wirklich eine Hexe gewesen sei. Aber Graf Dracula? Da musste er sich etwas Besseres einfallen lassen.

      „Gut, Graf Alexander. Ich weiß nicht, was sie hier wollen, wovon sie reden oder sonst was. Es ist mir auch egal, okay? Total egal. Meine Oma ist tot, meine Eltern sind tot und ich sitze hier alleine in diesem Haus rum. Die Leute im Dorf mögen mich nicht, ich sie auch nicht und ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“ Ich redete mich richtig in Fahrt. „Ich weiß nicht, wo ich hin soll und was aus meinem Leben wird. Ich bin siebzehn und genauso lange Single. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit siebzehn auf mich gestellt sein würde. Ich warte gerade darauf, dass das Jugendamt an meine Tür klopft, weil ich noch nicht volljährig bin. Aber die kommen aus der Stadt, da hab ich wohl noch ein paar Tage. Mein Leben ist beschissen, okay? Und wenn sie nur hier sind, um mich zu nerven oder auf den Arm zu nehmen. Da ist die Tür! Gehen sie!“

      Graf Alexander stand sichtlich geschockt da. Es hatte ihm wohl zum ersten Mal seine Sprache verschlagen. Er kam langsam auf mich zu und nahm meine Hand. Mir liefen mittlerweile die Tränen herunter, wie Wasserfälle.

      „Bitte weint nicht. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten. Es liegt mir fern Sie zu verletzten. Doch mit jeder Minute, die wir untätig unsere Zeit vergeuden, kann der Schwarze Lord mehr Macht gewinnen.“

      „Bitte was?“

      „Das Buch ihrer Großmutter, wo ist es?“

      Er wollte das Buch. Gut, sollte er es haben. Ich wollte nur noch meine Ruhe. Das war mir einfach zu viel des Guten. Ich ging an ihren Nachtschrank und holte das vergilbte Irgendwas heraus.

      „Ihr Grimoar. Wunderbar.“

      „Grimo-was?“

      „Grimoar. Das Zauberbuch ihrer Großmutter. Vor fünfzig Jahren schaffte sie es hiermit den Schwarzen Lord zu besiegen, besser zu verbannen. Den Schwarzen Lord zu besiegen ist sehr schwer. Die meisten Hexen in ihrer Familie schafften es nur ihn für fünfzig Jahre zu bannen. Doch es war wahrlich ein meisterhafter Anblick.“

      „Wie Anblick?“

      „Eure Großmutter damals im Kampf zu sehen war wunderbar. Sie war trotzig, selbstbewusst und kämpfte bis zum Letzten. Ich war wahrhaft beeindruckt. Ich hätte nicht erwartet, sie siegen zu sehen.“

      „Sie sind höchstens fünf Jahre älter als ich. Wie wollen sie sie da vor fünfzig Jahren haben kämpfen sehen?“

      „Rüstet Euch, Fräulein. Es wird ein langer anstrengender Weg. Doch ich kämpfe an Eurer Seite.“

      Ich weiß nicht, ob es aus Einsamkeit, Verzweiflung oder aus welchem Gefühl auch immer geschah. Doch allmählich begann ich dem Fremden fasziniert zu glauben.

      Er erzählte von meiner Oma in den besten Tönen, was für eine große Hexe sie gewesen war und das es nur den Frauen ihrer Linie möglich war, den Schwarzen Lord zu besiegen. Vermutlich war es einfach nur absurd, albern und kindisch. Doch tief in meinem Herzen wusste ich schon immer, dass Großmutter anders gewesen war.

      „Dieser Schwarze Lord, was hat er vor?“

      „Die Macht über alle Welten erlangen. Das müssen wir verhindern.“

      „Alle Welten?“

      „Eure Welt, meine Welt, die Welt der Kobolde, Werwölfe, Einhörner. Wir sollten

      beginnen, Fräulein. Im Buch steht der Zauber, den Eure Großmutter damals anwandte, um den Lord zu bannen.“

      Ich blätterte vorsichtig die schweren Seiten um und tatsächlich gab es einen solchen Eintrag:

      „Der Schwarze Lord – der ärgste Feind aller Welten – zu vernichten nicht möglich – Bannzauber – man nehme das Blut eines Vampirs; das Gold eines Koboldes; das Haar eines Werwolfes; die Knolle einer schwarzen Rose unter der Zucht eines Zwerges; den Huf eines Einhornes; das Blatt der Eiche, stehend unter dem Schutze der Waldelfen; man koche alles in einem Sud aus Kirschen und benetze damit die Klinge des goldenen Schwertes. Man spreche den Bann, wenn man dem Schwarzen Lord das Schwert ins Herz sticht und er verschwindet für fünfzig Jahre.“

      „Toll, und wo soll ich die Zutaten herbekommen?“

      Graf Alexander holte ein Messer aus der Tasche. Die Klinge blitzte gefährlich im Licht und meine Knie drohten nachzugeben. Sollte es das gewesen sein? Endete mein Leben hier und jetzt? Doch er schnitt sich nur selbst in die Hand.

      „Was? Verdammt! Was machen sie da?“

      „Nehmt mein Blut. Das Blut eines Vampirs.“

      Erschrocken sah ich ihn an und sprang rückwärts gegen das Bücherregal. Mal wieder bewahrheitete sich meine Tollpatschigkeit und ein Buch fiel mir auf den Kopf.

      „Autsch.“

      Der angebliche Vampir kam mit blutender Hand auf mich zu. Seine Hand kam näher und ich hielt die Luft an. Ich sah dieses verschmierte Ding, es war fast in meinem Gesicht. Ich konnte das Blut riechen, diesen leicht metallischen Gestank.

      Alexander griff zu.

      Einen Moment später hielt er eine Phiole in der Hand und ließ vorsichtig sein Blut hinein tropfen. Kurz danach verschloss sich seine Wunde, als wäre sie nie da gewesen. Er überreichte mir stolz die Phiole, als wäre nichts geschehen.

      „Und, holde Maid, darf ich mich über Eure Zusammenarbeit freuen?“

      Ich nickte ängstlich und versuchte all meine Gedanken zu verdrängen. Es war nicht real, nur ein Traum. Es gab keine Hexen, Vampire, Kobolde oder sonstige Dinge. Doch mir gefiel dieser Traum. Ich wollte nicht allein sein. Ich wollte mich ablenken von den Gedanken an meine tote Großmutter und in Träumen ist schließlich alles erlaubt. So begann ich das Nötigste einzupacken. Wahllos stopfte ich einige kleine Behältnisse in