K. Ostler

Die Mensch-Erklärungsformel (Teil 4)


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das risikoreichste Abenteuer, die mächtigste Frau bzw. der mächtigste Mann, die größte Legende, an allem müssen ein Wertmaßstab und eine Einwertung angelegt werden.

      Den diesbezüglichen menschlichen Ideen - und man kann durchaus von spezieller Hybris und Paranoia sprechen, besonders sobald die damit verbundenen sozialen, gesellschaftlichen und umweltgemäßen Konsequenzen dieser Grundhaltung mit einbezogen werden - sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt.

      Diese Ausrichtung ist auf „Mehr-Wert“, auf Zuwachs bzw. Steigerung von Wert angelegt und eine wesentliche Ursache für die Fokussierung der Menschen auf Wachstum.

      Über wachstumsgetriebene Ersatzhandlungen – wohlgemerkt äußeres Wachstum im Sinne von immer mehr an Erfolg, Status, Aufmerksamkeit, Reichtum, Güteransammlung, etc., alle Aspekte der modernen Lebensverhältnisse – versucht der Mensch unbewusst die Befriedigung seiner ursprünglichen Bedürfnisse zu erreichen, die in der Kindheit frustriert wurden, deshalb ein Leben lang im psychischen Untergrund gegenwärtig sind und auf Satisfaktion drängen.

      Wie schon im Kapitel „Definition Identität“ aufgeführt, liegt die ausschlaggebende Motivation der Wachstumsorientierung in der nachlassenden Befriedigungswirkung der Ersatzhandlungen (Defizit an Wert), die, um einen einigermaßen ausreichenden Befriedigungswert zu erlangen, in ihrem Ausmaß und Gehalt ständig bestätigt und gesteigert werden müssen.

      Interne, psychische Verlangen werden mit externen Ersatzhandlungen erfüllt, wobei die psychischen Urbedürfnisse seit Jahrtausenden nahezu unverändert sind, die Art der Ersatzhandlungen sich aber den modernen Lebensverhältnissen angepasst hat und dies nach wie vor der Fall ist (laufender Prozess).

      Oberflächlich betrachtet wird in diesem Zusammenhang dann von der vorhandenen Anlage des Menschen gesprochen (Stichwort: Natur bzw. Naturell), sich stets nach Anerkennung zu bemühen, immer höher hinaus, immer mehr und immer gewinnen zu wollen oder von dem Streben nach dem Besseren, dem Größeren und dem Außergewöhnlichen, dessen Antrieb in der Natur des Menschen liegt.

      Dieser Verweis auf die vermeintliche wesensgemäße Disposition für die genannten Verhaltensweisen kommt einem Freibrief gleich, da der Mensch sich durch diese Argumentationslinie von einem kritischen Hinterfragen seines Handelns entbindet und eine einfache Rechtfertigung nach der Devise „zutiefst menschlich“ präsentieren kann (Motto: „Der Mensch kann sich nicht grundlegend ändern, er ist so, wie er ist.“).

      Anders formuliert: Der Mensch bemüht sich – unbewusst – seine psychischen Notwendigkeiten über materiellen Konsum und weitere gehalt- und substanzlose Verhaltensweisen zufriedenzustellen und bildet auf diese Weise lediglich eine auf Schein und Fassade basierende, in ihrer Befindlichkeit instabile, Pseudo-Identität.

      Die Ausrichtung auf die Erzielung von „Mehr-Wert“ zeigt sich hauptsächlich in der Profilierung, dem Abgrenzen und dem Hervorheben der eigenen Person im Vergleich zur Umwelt, wobei diese Ausrichtung nicht nur auf einzelne Menschen zutrifft, jedoch ebenfalls Gruppen und ganze Nationen mit einbezieht und Nährboden für die Diskreditierung anderer Menschen ist.

      Das bedeutendste und offensichtlichste Mittel im täglichen Leben zur Dokumentation einer Wertbeimessung ist das Geld. Geld ist in der heutigen Zeit allerdings nicht bloß ein bestimmender wirtschaftlicher Faktor und Zahlungsmittel (mit materiellem Wert), hingegen gleichwohl Synonym für Anerkennung, Akzeptanz, Annahme, Liebe, etc. (mit immateriellem Wert).

      Wenn ein Mensch mehr Geld verdient, dann kann er sich nicht nur mehr oder teurere Güter leisten (die meistens wiederum mit einer angemessenen Wertigkeit/Status versehen sind), sondern desto mehr fühlt er sich – unbewusst - anerkannt und bestätigt. Diese Systematik unterliegt auch der Maxime „je mehr, desto besser“ und erklärt, warum manche Menschen – salopp ausgedrückt - den Hals nicht voll bekommen können bzw. unersättlich sind, weil die im Hintergrund bestehende Kausalität berücksichtigt werden muss.

       Eine Nebenbemerkung: Die Vorstellung vom modernen Menschen ist eine weitgehende Illusion, obwohl der Geist zwar in der Regel modernen Ansprüchen genügt, aber die Seele im Kern altmodisch ist. Unter altmodisch darf in diesem Kontext nicht veraltet, rückständig und überholt verstanden werden, indessen bezieht sich der Begriff des Altmodischen auf Attribute wie echt, originär, ursächlich und der Natur entsprechend.

      Der moderne Geist, der verantwortlich für die Entstehung moderner Ersatzhandlungen ist, überfordert den Menschen und seine Psyche zunehmend, am besten zu sehen am wahnwitzigen Globalisierungstempo mit seinen Veränderungs-, Rationalisierungs-, Optimierungs- und Innovationsauswüchsen.

      02-Definition, Bedeutung und Funktionsweise Selbstwert, Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstbestätigung

       VorabDie genaue Begriffserklärung und -abgrenzung ist aufgrund thematischer und sinngemäßer Überlappungen und des umgangssprachlichen Gebrauchs dieser Wörter ein schwieriges Unterfangen. Auch wenn die Unterschiede auf den ersten Blick nicht sehr groß sein mögen, so handelt es sich bei den Definitionen um keine spitzfinderische Wortklauberei, vielmehr im Gesamtzusammenhang um wichtige Bedeutungsdifferenzierungen.

      Selbstwert und Selbstwertgefühl

      Der Selbstwert stellt die Beschaffenheit der psychischen Konstitution in qualitativer und quantitativer Hinsicht dar. Er ist eine Größe, die nicht von Geburt an besteht, sondern bis auf einen gewissen anlagebedingten Grundsockel ein Entwicklungsprodukt des menschlichen Auf- und Heranwachsens ist.

      Im Selbstwert sind die frühkindlichen und kindlichen Erfahrungen, Bedürfniserfüllungen und Frustrationen als substanzieller Bodensatz im Sinne einer Basis, die den statischen, festen Bereich des Selbstwerts ergibt, gebündelt und strukturiert. Diese - abstrakt formuliert - unterste Schicht beinhaltet die primäre bzw. erstrangige psychische Substanz, die hinsichtlich der Konsistenz und Qualität am stärksten und besten und folglich am wichtigsten ist.

      Hinzu addiert sich die im Laufe der Zeit (spätere Kindheit, Jugend, frühe Phase des Erwachsenseins) dank der individuellen Lebenssituation (angesammelte Erfolgserlebnisse, Bestätigungen {nicht zu verwechseln mit Selbstbestätigungen} und Enttäuschungen, auch vermittelt von den weiteren Identitätsstiftern) gebildete nachrangige, sekundäre psychische Substanz, die auf der vorhandenen Basis aufbaut und als zweite Schicht zu bezeichnen ist. Dieser Bereich ist ein dynamischer, sich verändernder.

      Als Maßstab für die positive oder negative Bewertung der angesprochenen Erlebnisse und die anschließende Transformation in psychische Substanz oder gleichfalls in ein psychisches Defizit dient die Vorgabe des menschlichen Bauplans (konkrete fundamentale Erwartungen im Sinne der notwendigen Grundbedürfnisse und -bedingungen) unter Einbeziehung der Urangst.

      Das Zeitfenster der Frühkindheit und Kindheit ist deshalb eine so elementare Periode für die Entfaltung eines Selbstwertfundaments, da die selbstwertgemäße Konsistenz wegen der altersgemäßen, unbewusst gefühlten Minderwertigkeit im Bezug zu Erwachsenen (Stichwort: totale Abhängigkeit) und der nicht verfügbaren Abwehrmöglichkeiten überdies nicht gefestigt – bildlich gesehen noch flüssig - ist. Das sich aufbauende identitätsgemäße Gleichgewicht ist in dieser Zeit sehr labil und fragil.

      Das Kind reagiert daher äußerst sensibel auf entsprechende, oft unüberlegte Äußerungen und Handlungen der erwachsenen Bezugspersonen und fühlt sich schnell entwertet. Bisher erreichte Selbstwertsubstanz durch positive Bedürfniserfüllungen kann somit in Kürze wieder zunichtegemacht werden.

      Vergleichbar mit einem Baufundament, bei dem der Beton (= erstrangige psychische Substanz) noch nicht ausgehärtet ist und infolgedessen bei Betreten mehr oder minder starke bzw. tiefe Abdrücke (= Entwertung) entstehen, die die Qualität des Fundaments nachhaltig (lebenslang) negativ beeinträchtigen.

      Der Selbstwert ist die persönliche, den psychischen Bereich betreffende Bilanz (Aktiva und Passiva) eines Menschen, die zwar weder bewusst wahrnehmbar noch genau messbar, aber dennoch real ist und sich im Grad der Stärke, (Tat) Kraft, Lebensenergie, Stabilität und Ausgewogenheit zeigt und manifestiert.

      Der