Michael Schenk

Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes


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      Noch bot das Pferdevolk dem Gegner die Stirn, aber es war abzusehen,

      dass der Widerstand bald brechen würde. Erneut war es der König, der einen

      Ausweg fand, doch um das Überleben seines Volkes zu ermöglichen, mussten

      die Stadt Tarsilan und ihre Einwohner geopfert werden.

      »Sie müssten die Grenze in einem Zehntag erreichen«, murmelte Helrund

      und blickte nach Osten. »Dann sind sie der Gefahr entronnen.«

      »Sie werden auf neue Gefahren treffen«, stellte Palwin trocken fest.

      »Die Streitmacht ist stark. Zweitausend Lanzen der Wache des Königs und

      die Männer der Weiler, die ebenfalls zu kämpfen verstehen. Sie werden die

      Frauen und Kinder beschützen und für unser Volk eine neue Heimat finden.«

      Helrund lächelte. »Und sie sind schnell, denn sie haben all unsere Pferde bei

      sich.«

      »Die Herden und Wagen werden sie aufhalten.«

      Helrund nickte. »So wie unsere Lanzen und Schilde die Barbaren an

      Tarsilans Stadtmauer aufhalten werden.«

      Es war dem Pferdevolk nicht leichtgefallen, dem Befehl des Königs zu

      folgen und die alte Heimat mit ihren fruchtbaren Weiden und ausgedehnten

      Wäldern zu verlassen. Aber Sand und Barbaren rückten gleichermaßen vor,

      und das Ende der gedeihlichen Zeit war abzusehen. Nun würden die

      Angehörigen des Pferdevolkes im Osten eine neue Heimat suchen, während

      die Verteidiger Tarsilans den Feind aufhielten, um den Flüchtenden Zeit zu

      verschaffen.

      Unten, im Zentrum der Stadt, erklang ein Horn, dessen Signal von anderen

      Hörnern aufgenommen wurde. Es rief die Verteidiger zu den Waffen, doch

      wer eine solche trug, befand sich längst auf der Mauer.

      »Sie kommen«, knurrte Palwin. »Der Ring um die Stadt ist geschlossen,

      und nun greifen sie an. Wir werden nicht lange standhalten können.«

      Helrund löste seine Hand von der Schulter des Freundes und fasste Lanze

      und Schild fester. »Angst vor dem Ritt zu den Goldenen Wolken, alter

      Freund?«

      Was eine Beleidigung für einen wahren Pferdelord hätte sein können, löste

      bei Palwin nur ein leises Lachen aus. »Es wird ein wahrhaft ruhmreicher Ritt

      werden, alter Freund. Die Barbaren werden ihn noch lange in Erinnerung

      behalten.«

      »Das werden sie.« Hinter ihnen, an einem anderen Mauerabschnitt, ertönte

      bereits Kampflärm, und nun setzten sich auch die Barbaren am Waldrand

      ihnen gegenüber in Bewegung. Helrund spuckte aus und befeuchtete seine

      trockenen Lippen. »Wir müssen so viele wie möglich von ihnen töten. Jeder

      Stoß gibt unserem Volk ein wenig mehr Zeit, die neue Heimat zu finden.«

      Otan stieß einen warnenden Ruf aus, und die beiden Pferdelords hoben

      instinktiv ihre grünen Rundschilde. Mit leisem Pochen schlugen Stachelpfeile

      in das Holz. Währenddessen spannte Otan die Sehne seines Jagdbogens und

      begann seine Pfeile zu lösen. Doch es war ein einseitiges Duell zwischen den

      wenigen Jägern auf Tarsilans Mauer und den Barbaren, die sie berannten.

      Jeder Pfeil wurde von Hunderten scharfer Stacheln beantwortet, und Helrund

      und Palwin mühten sich redlich, den fluchenden Jäger zu decken, der damit

      beschäftigt war, seine Pfeile in schneller Folge auf den Feind zu schießen.

      Einige wenige Barbaren stürzten, aber die anderen drangen unaufhaltsam vor.

      Schließlich stieß Otan einen leisen Schrei aus und kippte hintenüber.

      Helrund sah noch einen Stachelpfeil aus dem Auge des Jägers ragen, bevor

      dieser haltlos von der Mauer stürzte. Er sah seinen Kampfgefährten Palwin

      grimmig an und lauschte dem Schaben und Kratzen unter ihnen an der Mauer.

      »Bald werden sie über die Brüstung kommen. Sie legen bereits die Leitern an.

      Dann werden wir dem Tod ins Auge sehen, alter Freund.«

      Palwin lächelte. »Und sie unserem Stahl, alter Freund. Mögen die

      Legenden noch lange unseren Ritt zu den Goldenen Wolken besingen.«

      Die beiden Pferdelords standen geduckt auf der Mauer, und als die ersten

      Barbaren zwischen den Zinnen erschienen, zuckten ihre Lanzen vor und

      stießen die Angreifer in den Tod. Die flinken Augen und geübten Reflexe der

      beiden Kämpfer führten ihre Handlungen. Sich gegenseitig mit den Schilden

      deckend, töteten sie jeden, der sich vor ihnen zeigte, und so gelangte keiner

      der heraufkletternden Barbaren auf die Mauer.

      Aber rechts und links der beiden Kämpfer gab es viele ungedeckte Zinnen,

      an denen bald schon die ersten Krieger des Sandvolkes auf den Wehrgang

      sprangen und schreiend mit erhobenen Schädelkeulen auf die beiden

      Pferdelords zurannten. Rücken an Rücken stellten sich Helrund und Palwin

      nun ihrem letzten Kampf.

      Unten in der Stadt bliesen erneut die Hörner, welche die Verteidiger von

      der Mauer zurück in die Stadt riefen. In deren Zentrum, dort, wo sich der neue

      Königspalast erhob, würde sich der Erste König des Pferdevolkes mit der

      verbliebenen Hälfte seiner königlichen Wache dem letzten Kampf stellen.

      Unter seinem Banner würden sie dort sterben, doch ihr Tod würde das

      Überleben des restlichen Volkes sichern. Gemeinsam mit dem König würden

      auch die letzten Verteidiger fallen, ebenso wie jene ihrer Frauen und Kinder,

      die sich entschlossen hatten, an ihrer Seite zu sterben.

      Helrund und Palwin erlebten diesen letzten Kampf nicht mehr. Die

      erdrückende Übermacht der Barbaren überwältigte sie schließlich. Doch als

      sich das Blut der toten Pferdelords auf der Mauer Tarsilans vermischte, war es

      wie ein Symbol für die erst vor Kurzem erfolgte Vereinigung des

      Pferdevolkes.

      Nur an wenigen Stellen der Mauer wurde noch gekämpft, und nur wenigen

      Verteidigern gelang es, sich zum Zentrum und zum Königsplast

      zurückzuziehen. Sie wichen langsam und kämpfend zurück und ließen den