Subjekt Noah

Orange


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zu. Auch sie erkennt ihn.

      Ihre Herzen wie auf der Flucht vor der nun eintreffenden, langersehnten Begegnung. Ihr Gang verlangsamt sich, je näher sie sich kommen.

      Diese unerträgliche Spannung auszuhalten, ist wohl das einzige Mittel, einer solchen Situation gerecht zu werden. Jetzt bloß keiner Albernheit verfallen. Jede eingeübte Geste ist eine Grimasse, die das Besondere des Augenblicks nur entstellen kann. Alle Maschen sind lächerlich. Man darf sich nicht vorbereiten.

      Atemnot und Herzrasen helfen dabei, alles Überflüssige hinwegzufegen.

      Sie stehen sich jetzt unmittelbar gegenüber. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huscht über ihre Gesichter. Ihre Augen leuchten. Beide warten darauf, dass der andere etwas macht. Aber nicht irgendwas. Es muss die befremdlich- ehrlichste Tat folgen.

      Orange nimmt ihre Hände. Sie nimmt seine. Sie drücken sie sich einen Schritt näher kommend an die Brust. Nur ihre Hände trennen sie noch voneinander. Warmer Hauch von Atem.

      Orange streichelt ihr Gesicht. Um nicht ihren Atem zu verlieren, ist er ganz zart. Ihr Atem zieht ihn zu sich. Ihre Wangen berühren sich so leicht, dass es kitzelt. Vertrauter Geruch der Haut. Ihre Lippen suchen und treffen sich. Der Kuss beginnt fast schon zu zart, zu vorsichtig. Ihre Lippen bewegt von leisen Beben der Leidenschaft. Mikrotropfen mischen sich. Die Intensität nimmt zu, zu schnell für Orange. Er bricht den Kuss ab.

      ORANGE: Du bist es also.

      SURELY: Ja ich bin es.

      ORANGE: Wie ist Dein Name?

      SURELY: Errate ihn!

      ORANGE: Er muss so klingen wie: die, die durch Herbstblätter geht.

      SURELY: Nicht schlecht. Ich brauche aber noch ne niedliche Abkürzung.

      ORANGE: Mit S oder C?

      SURELY: Sicherlich mit beidem.

      ORANGE: Sch…Sch…Sch…

      SURELY: Bist nah dran. Jetzt mach noch die Bewegung der Hände beim Wasserschöpfen und die Tropfen, die runterfallen, machen einen hohen, vertikalen Ton.

      Orange ist verunsichert. Er hasst dieses Gefühl, wenn es ihn überrascht. Er verstummt plötzlich und schaut Surely mit blöden Augen an. Zuerst lächelt sie. Als Orange das Lächeln nicht erwidert, fragt sie sich, ob sie was Falsches gesagt hat. Sie geht voran, er folgt ihr.

      Sie treten aus dem Sepia heraus und setzen sich, ohne ein Wort zu sagen auf eine Verkehrsinsel. Die Stadt schläft. Im flüssigen Licht der Ampel scheinen ihre Gesichter auf. Gelb, Grün, Rot. Orange beobachtet sie. Das Rot schminkt sie verführerisch. Trügerisches Rotlicht.

      Orange schaut zum Himmel hinauf, tief in seine doppelte, schwindelerregende Drehbewegung. Um sich an etwas Bekanntes zu halten, zeigt er auf den roten Planeten.

      Eine Sternschnuppe fällt genau auf die Stelle, wo er hindeutet.

      Es gibt Momente, in denen mit luzider Klarsicht deutlich wird, dass alles miteinander verbunden ist. So erhält der nichtigste Zufall eine schicksalhafte Bedeutung. Nur ein solcher Moment reicht aus, das ganze Leben auszufüllen, und Wunsch und Willen zu nähren, ihn wieder und wieder zu erleben. Da vereinen sich Leben und Kunst.

      ORANGE: Solche Momente sind zum Sterben gemacht.

      SURELY: Oder zum Leben.

      Orange schließt die Augen. Er ist verwirrt von dieser Selbstverständlichkeit, mit der ihn Surely versteht. Dass sie nicht im Geringsten von seinen Worten erstaunt oder verängstigt ist, ist ihm unheimlich. Plötzlich fühlt er sich nicht mehr allein, umso mehr jedoch in seiner Einsamkeit bedroht.

      Er spricht:

      „Der blaue Blutfleck in der Schwärze. Der Fremde anheimgefallen. Das Weinglas am Abgrund. Auf Steinen ein Schimmern. Alles so flüchtig, um nicht durch die unsterbliche Liebe selbst tödlich zu verwunden. – Im Luxus der Liebe verkümmert das Genie.“

      Während er den letzten Satz ausspricht, erhebt er sich, um Surely allein zurück zu lassen. Er spürt ihren traurigen, aber fordernden Blick im Rücken. Er dreht sich um. In ihrem jetzt grünen Gesicht ist diese Frage deutlich lesbar: Willst Du mich nicht wiedersehen?

      ORANGE: Es ist doch viel schöner, wenn das der Zufall bestimmt… Oder?!

      Hochmütiges Lachen, Orange geht.

      https://soundcloud.com/subjekt-noah/liebhaberdesfeuers

       Herz auf der Flucht

       huscht enttäuscht

       von Zeit zu Zeit

       Moment vergeht

       den man verdrängt

       Moment vergeht

       ungesehen

       ganz entblößt

       sind wir so schön

       so wunderschön

       so wunder…

       Liebhaber des Feuers

       So flüchtig wir auch sind

       Die doppelte Sonne

       macht uns schneeblind

       Moment vergeht

       unbelebt

       Moment vergeht

       der niemals lügt

       Moment vergeht

       ich hab´s gesehen

       ganz entblößt

       sind wir so schön

       so wunderschön

       so wunder…

       Liebhaber des Feuers

       So flüchtig wir auch sind

       die doppelte Sonne

       macht uns schneeblind

       schneeblind

       schnee

       sch

      Schlafen, vergessen, ins dunkle Wasser sinken, wieder unschuldig werden.

      Ein Bild braucht er noch, ein schönes Erlebnis, einen beiläufigen Moment, der ihn über die Schwelle begleiten soll.

      Es fällt ihm zu wie eine unbedeutende Sache: Er sitzt auf einer Bank am Ufer. Sonniger Winternachmittag. Ein Schwanenpaar im Landeanflug auf den Kanal. Unzertrennliche, immer außerhalb der Zeit.

      Irgendwas in ihm lacht über diesen idyllischen Kitsch, den sein Gedächtnis mit so herrischer Willkür in Szene setzt.

      Das Lachen verzerrt sich wie heißes Plastik, das reißt. Die Hände verschwimmen im Licht eines Kellerfensters, ertasteter Widerschein eines unendlichen Saals, fern die reizvolle Strenge, Widerstand reicht nicht hinein, nur noch eine expandierende erhabene Gelassenheit…

      Einige Gedichte nötigen noch dazu, gesagt zu sein. Er kann nicht mehr sprechen. Glieder und Stimme versinken in Fühllosigkeit. Signalsterne um eine schwarze Sonne sich drehen. Fremde Stimmen zupfen an den Linien des Notenschlüssels:

      - Ungetrunkene Milch. Das befruchtete Ei gleicht einem fremden Universum.

      - Dreh Dich nicht um, die Python hat Zähne und schnellt aus der