Ella Theiss

Alles kurz und klein


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hat sie weidlich genutzt, kooperiert jetzt mit einer niederländischen Ladenkette für Feng-Shui-Bedarf. Dort präsentieren sich – umgeben von Salzkristalllampen und Zimmerspringbrunnen – unsere Musterküchenelemente, die auf Kundenwunsch hin mit fernöstlich anmutenden Schriftzeichen auf Tür- und Schubladengriffen, Glasfronten und Dunstabzugshauben verziert werden. Und das Zeug ist der Renner.

      Seither lauere ich auf eine neue Chance, mich an Thorsten zu rächen. Aber mal sind seine Eltern zu Besuch, mal sitzt die Katze auf seinem Schoß, mal spielt er so verdammt schön auf dem Saxophon, dass ich es nicht über mich bringe, ihn zu unterbrechen. Ich sei zu weichherzig, fand schon meine Mutter, das hinge mit meiner zartgliedrigen Statur zusammen. Ich sei aggressionsgehemmt und das liege an meiner Mutter, hat Laura behauptet. Sie hat zwei Semester Psychologie studiert. Ich glaube eher, es liegt an Thorsten, dass ich von jeher ein Versager bin. Seit dem Kindergartenalter spielt er sich als mein Beschützer auf. Spielt mich glatt an die Wand. Nur, wie wehrt man sich gegen so ein Alphatier? Mein erster und einziger Versuch endete mit einer Katastrophe. Einer Katastrophe für mich, versteht sich.

       Das war vor zwei Jahren. Thorsten schickte mich nach Shanghai, vordergründig, um eine Kooperation mit einer popeligen Fabrik zu unterschreiben, wo sie all die Schrauben herstellten, die die verdammten Küchenteile aus Rumänien zusammenhalten sollten. Ich hatte den Check-in am Flughafen hinter mir, wartete missmutig darauf, dass sich die Tür zur Gangway öffnete, da meldete mir mein Handy eine Mail. Sie kam von Kalbach, dem Prokuristen: „Wohnung vor drei Stunden verlassen, freie Bahn“, stand auf dem Display. Es dauerte keine Sekunde, bis ich begriff: Kalbach, die Ratte, hatte den Spion gespielt und sich bei der Mailadresse vertan. Die Nachricht sollte Thorsten erreichen, nicht mich. Die Rede war aber sehr wohl von mir, genauer gesagt von meiner Maisonettewohnung im Westend. – Was wollten die da? Meine Wertpapiere klauen? Meine privaten Akten durchwühlen?

      Ich ließ meinen Koffer nach Shanghai fliegen und fuhr zurück. Unterwegs malte ich mir aus, was ich Kalbach alles an den Kopf werfen würde, wenn ich ihn ertappte. Und wie ich Thorsten und ihn vor dem versammelten Aufsichtsrat bloßstellen könnte.

      Dazu kam es nicht. Es kam ganz anders. Meine Wohnung war menschenleer und unangetastet, als ich eintraf. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht im Garderobenschrank – mit einer Ladung Ecstasy im Bauch und einer Pistole in der Hosentasche. Erst als Tageslicht durch die Ritzen meines Verstecks drang, bemerkte ich ein anhaltendes Kratzen am Türschloss. Mit einem leisen Plopp flog die Tür auf. Zwei Turnschuhe quietschten über das Parkett. Es war der Chef himself.

      Thorsten sah sich nicht lange um, er kannte meine Wohnung. Ohne Umschweife begab er sich – nein, nicht in mein Arbeitszimmer, wo er was-auch-immer vermuten konnte, sondern ins Bad. Hat Schiss, dachte ich, muss aufs Klo. Doch anstelle typischer Entleerungsgeräusche und nachfolgendem Wasserrauschen knisterte es leise.

      Ich schlich mit gezogener Pistole zur Badezimmertür, spähte durch den Rahmenspalt – da traf mich fast der Schlag: Thorstens Gorillarücken wölbte sich über dem Abfluss meiner Dusche. Seine Pranke fasste eine Pinzette, mit der er ein Haarbüschel hervorzog und in ein Plastiktütchen fallen ließ.

      „Bist du pervers geworden?“, platzte es aus mir raus. Thorsten zog den Kopf ein, als habe sich der Duschkopf unvermittelt über ihm entleert und drehte sich mit zeitlupenartiger Allmählichkeit zu mir um.

      „Ich … ich wollte ein paar Haare von dir.“

      „Wieso? Hast du selber nicht mehr genug?“ Ich ließ die Waffe sinken.

      Er atmete auf, erhob sich und lächelte verbindlich. „Sorry, war dumm, dich nicht einfach zu fragen.“

      „Was – fragen?“

      „Los, wir trinken einen und ich erzähl dir alles“, sagte er, schritt in mein Wohnzimmer. Ich folgte ihm wie ein Trottel und ließ mir von meinem eigenen Whisky einschenken.

      Thorsten machte sich auf meiner Couch breit. „Es geht um einen Gentest. Ich suche Bens Vater“, sagte er und grinste mich über den Rand seines Glases hinweg an. „Ich bin’s nämlich nicht. Prost.“

      Schlagartig war ich dankbar für den eingeschenkten Whisky, kippte ihn runter. „Wie kommst du auf mich?“

      „Na, sieh dir mal Bens fliehendes Kinn an. Und den spillerigen Körperbau.“

      Ich schenkte mir nach. Thorsten hat von jeher die Sensibilität eines Presslufthammers.

      „Und”, fuhr er fort, „du warst noch manchmal mit Laura zusammen, obwohl es zwischen euch so gut wie aus war, stimmt’s?“

      „Du meinst, bevor du sie mir endgültig ausgespannt hast, du Arsch.“ Die Pistole in meiner Jeans drückte mir in die Leiste.

      Thorsten zeigte sein Pferdegebiss. „Kannst sie gern wiederhaben.“

      „Ach, nach knapp drei Jahren bist du sie leid?“

      „Und sie mich. Seit Ben auf der Welt ist, läuft bei uns nix mehr. Ewig die vollen Windeln, das Geplärr, die zerfransten Nächte. Und ich bin nicht mal sein Vater.“

      Thorsten lamentierte weiter. Ich hörte nicht zu, stand auf, ging zum Fenster, sah zu, wie sich die Skyline des Bankenviertels aus dem Morgendunst schälte und trank mein drittes Glas in einem Zug aus. Zwischen meinen Rippen wurde es warm, was nicht allein am Alkohol lag. Ben – mein Sohn! Und Laura – bald meine Frau? Vielleicht liebte sie mich nicht so, wie ich sie. Aber sie brauchte einen Vater für Ben. Einen, der klaglos mit anpackt, füttert, wickelt, tröstet. Einen Vater wie mich.

      „Natürlich kommt auch der Bärtige aus der Entwicklungsabteilung in Betracht“, sagte Thorsten unvermittelt lauter und schwenkte die Eiswürfel in seinem Whisky. „Oder der Fernsehtyp, dieser Beau vom SWR.“

      Ich muss ziemlich dämlich geguckt haben, Thorsten bekam einen Heiterkeitsanfall. „Na, mit denen hatte Laura auch was laufen. War ein ganz schönes Flittchen vor ihrer Metamorphose zum Muttertier. Vielleicht ging’s ihr ja nur um ein Kind, wer weiß. – Das mit dem Fernsehmenschen lief wochenlang, hat Kalbach für mich rausgefunden.“

      Kalbach? Da fiel mir ein, weshalb ich zuhause saß statt in Shanghai. Ich nestelte die Pistole aus meiner Hosentasche. „Sag das nicht noch mal! Laura hat mit dem Fernsehtypen geflirtet, mehr nicht, damit der eine schöne Reportage über uns bringt. Sie ist kein Flittchen, nie gewesen. Aber du, du bist ein Einbrecher. Ein Krimineller. Ich rufe jetzt die Polizei.“

      Thorsten fixierte mich ungläubig. „Komm Michi, nimm das Ding da runter.“

      „Ha, ich denk nicht dran.“

      „Kann sein, du drückst ab, ohne es zu wollen.“

      „Hältst mich mal wieder für unfähig, wie? Zu blöd, um mit so einer Waffe umzugehen.“

      Thorsten betrachtete mich eher nachdenklich als verängstigt, sprang auf, machte einen Satz auf mich zu und schlug mir die Pistole aus der Hand. Er konnte sich denken, dass ich nicht abdrücken würde. Und wenn. Es war nur eine Spielzeugpistole.

      Ich muss total high gewesen sein. Im Normalzustand hätte ich keine Prügelei mit Thorsten angefangen. Spätestens als ich am Boden lag, hätte ich klein beigeben müssen. Stattdessen rappelte ich mich hoch, griff nach einem herumliegenden Obstmesser. Er schlug wieder zu, das Messer flog bis in den Flur. Ich gab und gab nicht auf, die Mischung aus Ecstasy, Alkohol und Wut in meinen Adern machte das reinste Stehaufmännchen aus mir.

      Den letzten Sturz spürte ich kaum. Unvermittelt erschien die cremeweiße Marmorplatte des Couchtischs dicht über mir, von der Kante tropfte es tiefrot. Schön sah das aus. Und wie eine Nebelschwade umhüllte mich Thorstens ungläubiges Geplapper: „Komm Michi, steh auf. Ist gut, hmm? Du heiratest Laura, kaufst deine Farm … Michiii!“ Langsam, langsam sickerte mir das Blut und mit ihm das Leben aus dem Kopf.

       Thorsten hat mein Grab nie besucht. Auch nicht, nachdem er freigesprochen wurde. Er hätte in Notwehr zugeschlagen, hieß es. Meine Fingerabdrücke auf dem Messer und der Pistole galten als klare Indizien.

      Also werde ich ihn holen. – Weichherzig?