Adriana Wolkenbruch

Die verschlossene Tür


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selbst verantwortlich ist und sie ist stark genug, um sich nicht aufzugeben. Und sie weiß, daß es für Jemand gut ist, dass sie hier ist. Auch wenn es komisch ist, hier zu sein. Aber so schlecht ist es auch nicht. Es gibt hier auch Wiesen und Wälder und Wind, den sie so gern mag. Allerdings ist der Himmel hier viel ruhiger. Sie schaut durch das Fenster und sieht den Jemand unten an seinen Zwingerstäben stehen. Er ist ein Hund und er sollte vielleicht das Gasthaus bewachen. Aber er liegt meistens nur neben seiner Hütte und sieht sehr traurig aus. Er ist mindestens so traurig wie ich, denkt Eydis. Sie zieht sich an und geht die Stufen hinab. Sie schlüpft in die Gummistiefel, die neben der Hintertür stehen. Ihr Herz klopft, als sie auf den Zwinger zugeht. Jemand hebt den Kopf, als wäre er sehr überrascht, dass er nicht unsichtbar ist. Eydis hört, wie sie Worte murmelt, während sie sich neben Jemand hockt und eine Hand durch die Gitterstäbe steckt. Sie empfindet den Klang ihrer Stimme als sehr ungewöhnlich und das Murmeln verstummt bald wieder. Jemand schaut mit prüfendem Blick zu ihr hinauf. Er ist ziemlich zottelig. Er müsste gewaschen und gebürstet werden, denkt Eydis. Er leckt seine Lippen, als wäre er etwas verschämt über die Zuwendung. Dann beginnt er, Eydis Hand zu lecken. Ganz vorsichtig und immer wieder schaut er zu ihr hinauf, als ob er sich vergewissern möchte, dass er nichts falsch macht. Eydis lächelt. Sie hat schon lange nicht mehr gelächelt und noch länger hat sie ihre Stimme nicht benutzt. Jemand ist schon wer, denkt Eydis, sonst wäre ich heute nicht weiter gekommen. "Warte", krächzt sie und geht eilig zum Haus, in den Schubladen des alten Schrankes bewahrt Isabelle alle Schlüssel auf und so viele sind es gar nicht. Eydis zieht das untere Ende ihres Wollpullovers von ihrem Bauch weg, so dass eine Mulde entsteht, in die sie die Schlüssel legen kann. Sie hält das Pulloverende mit beiden Händen. Es hängt durch; die Schlüssel sind schwer. Sie geht hastig, das ist fast immer so, wenn sie sich entschlossen hat, etwas zu tun.Es dauert nicht lange, bis sie den richtigen Schlüssel gefunden hat. Jemand hat sich hingestellt und wedelt mit seinem Schwanz. Seine Augen sehen jetzt sehr aufmerksam aus. "Ah", jubelt Eydis leise und dreht den richtigen Schlüssel herum.

      Isabelle war in der Stadt. Sie weiß, daß Eydis den Zettel gesehen haben muß. Er lag auf dem Küchentisch und Eydis frühstückt immer irgendwann und dann ausgiebig und in Ruhe. Das hat ihre Mutter auch gern gemacht, wenn sie Zeit dazu hatte, denkt Isabelle. Sie wundert sich, dass sie solche Gedanken hat, sie war heute so unbeschwert. Sie hat Lebensmittel gekauft, sie hat sich ein neues Kleid gekauft, sie hat ein neues Tuch für ihren Kopf, sie hat immer irgendwelche bunten Tücher um den Kopf geschlagen. dann sieht man ihre Haare kaum. Er hatte ihre Haare geliebt. Obwohl sie unglaublich dünn sind. Fast wie Federn hatte er gesagt. Aber die Farbe hatte er noch mehr geliebt. Kupferrot. Scheiße, denkt Isabelle, gerade ging es mir blendent, alles war bunt und frei in mir. "Scheiße!" Sie beißt sich auf die Lippen, stützt sich auf die Arbeitsplatte in der Küche. Schaut aus dem Fenster. Ihre Hand schlägt wie automatisch vor ihren Mund. Ihre Augen weiten sich. Auf der alten Obstbaumwiese liegen zwei Gestalten eng aneinander gekuschelt. Eydis und der alte Hund. Sie sehen beide anders aus als sonst. Eydis hat ihre Gummistiefel und Socken ausgezogen und ihre Körperhaltung wirkt entspannt, der alte Hund sieht sauber aus, das kann man sogar aus der Entfernung erkennen. Isabelle entfährt ein Gluckser und ihre Hand fällt von ihrem Mund. Ein Lächeln breitet sich über ihr Gesicht aus. Sie kann den Blick nicht abwenden. Erst als Eydis den Kopf nach hinten dreht, als ob sie den Blick ihrer Tante spürt, räuspert Isabelle sich und macht sich daran, die Einkäufe in den Kühlschrank und den Vorratsschrank zu räumen. Sie werden gleich zusammen essen und dann hat sie etwas Zeit für sich. Sie schaltet das Radio ein und singt den Song mit, während sie zu Tanzen beginnt.

      Kapitel 2

      Der alte Mann sitzt am Tisch in der Küche und schaut aus dem Fenster zu den Laubbäumen, die ihre Äste in den Himmel strecken. Er zieht seine Ellenbogen vom Tisch, als Nadeschda einen Teller vor ihn stellt. Flink ist sie, ziemlich schnell folgen Messer und Gabel und liegen neben dem Teller.

      "Herr Hubert Heinrich, wo ist Bauerchef?! Ich habe gerufen so oft und noch und noch und keine Bauerchef komme. Und kleine Enkeltochter auch da nicht. Niemand halte ein Zeiten zu Essen."

      "Die kommen schon, Nadeschda. Bestimmt ist noch irgendetwas im Stall." Aber er wird unruhig, jetzt. Langsam steht er auf und schlurft aus der Küche. Nadeschda seufzt. Sie setzt sich an den gedeckten Tisch und schaut aus dem Fenster. Schaut in das Laub der Bäume und bemerkt, dass sie sehr müde ist. Ein polterndes Knatschen , lässt sie zusammenzucken. Der Bauerchef hat seinen Stuhl vom Tisch gezogen, um sich zu setzen. Nadeschda hatte ihn kurz etwas erschrocken angesehen. Er scheint das nicht zu bemerken, räuspert sich und schaut zur Uhr- Verschränkt seine Arme vor der Brust und senkt die Augen.

      "Herr Hubert Heinrich war ebnen hier, dann ist gegangen um zu holen Sie und Enkeltochter."

      Klements nickt beiläufig und räuspert sich. Die Hintertür poltert und Schritte nähern sich der Küche.

      "Nadeschda, schau mal, was ich habe! Zwei echte Schnecken! Opa sagt, es sind Posthornschnecken. Sie leben im Wasser und manchmal tauchen sie auf, um Luft zu holen und sie haben ganz kleine Zähne auf der Zunge und man kann sehen, wie sie Pflanzen kauen!" Karla hält einen durchsichtigen Plastikeimer in ihren Händen. Sie stellt ihn sehr vorsichtig neben die Spüle, vor das Fenster. Am Grund liegen kleine Kiesel und etwas Sand. Dazwischen zwei gelbe Schneckenhäuschen.

      "Hast Du Akwaram, kleine Karla!"

      "Aquarium!"

      "Ohhh, entschuldige, natürlich, dumme, alte Nadeschda, so schlechte Sprache."

      "Ist nicht schlimm!"

      Alle sitzen jetzt und falten ihre Hände, während Klements das Tischgebet hastig heruntermurmelt. Dann fangen sie an zu Essen.

      "Klements, vergiss das Scheunentor nicht wieder. Das muss geöffnet bleiben. Wie sollen die sonst zu ihren Nestern?"

      "Ja, ja, Du und Deine Kleinviechereien..."

      Nadeschda zögert. Schwalben bringen Glück, will sie sagen, fast automatisch. Aber sie hält sich zurück. Der Bauerchef hat genug zu tun.

      Klements ißt schnell. Dann steht er auf und während er die Küche verläßt sagt er "Heut Nacht muß ich raus, die Schweine werden geholt."

      Karla erinnert sich daran, wie sie das verwirrt hat, als sie noch kleiner war. Sie hatte Tage damit verbracht, darüber nachzudenken, wer die Schweine holt. Und warum. Und warum um drei Uhr nachts. Irgendwann hatte sie ihren Großvater gefragt und er hatte ihr erklärt, dass sie zum Schlachthof transportiert werden. Sie hatte die Vorstellung schrecklich gefunden und ihr Opa hatte gesagt, dass die meisten Menschen Fleisch essen und das es ja wohl irgendwo herkommen muss und das jeder irgendwo mit Geld verdienen muss. Da hatte Karla sich vorgestellt, dass die Schweine im Himmel bestimmt in Saus und Braus leben, ohne ihren dicken Körper. Und dass sie Grunzend auf die Erde schauen und hoffen, daß ihre Verwandten schnell zum Schlachter kommen, damit sie oben mit ihnen in den Wolken schweben können. Schnell springen ihre Gedanken aber wieder zu ihrem Lieblingsthema.

      "Opa, warum haben wir eigentlich so viele Weinbergschnecken im Garten?"

      Hubert Heinrich räuspert sich. Sogar sein Sohn scheint jetzt aufzuhorchen, auch wenn er es sich nicht anmerken lässt. Aber warum soll er es nicht erzählen.

      "Also, ich habe einmal mit... Auf unserer Hochzeitsreise...wir waren im Rheinland und dort sind mir diese Schnecken aufgefallen. Natürlich gibt es sie auch bei uns, aber dort fielen sie mir besonders ins Auge." Er stoppt und denkt, dass es wahrscheinlich daran lag, dass sonst keine ruhigen Spaziergänge gemacht worden waren.

      "Und dann hast Du welche mitgebracht?"

      "Ja. Und sie scheinen hier ja bestens zu gedeihen. Deine Großmutter...sie hat immer gesagt, daß sie an das Gemüse gehen, aber das tun eher die Nackten."

      Karla schaut aus dem Fenster, auf die drei unterschiedlichen Bäume, aber sie nimmt sie nur verschwommen wahr und träumt vom Rheinland. Dem Land der großen Häuschenschnecken.

      "Und, das hätte ich fast vergessen: Weinbergschnecken sind gute Wettersager."

      "Wie denn das?" Karla sieht immer