Werner Siegert

Julia, der Tramp


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      Werner Siegert

      Julia, der Tramp

      Roman

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       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Spurensuche

       Keine Fragen - bitte!

       Der Falsche

       Mal gebeichtet

       Eine ganz fiese Masche

       Pflichtteil

       Dein Ding, dein Glück

       Roman Martin

       Führerschein

       Der erste Stein

       Aus dem Tiefgeschoss meiner Psyche

       Wieder ein Tramp

       Notabene:

       Impressum neobooks

      Spurensuche

      Ich bin ein Trotzkopf. Vielleicht habe ich überreagiert. Wir waren zusammen unterwegs. Zu fünft. Drei Mädchen, zwei Jungens. Twens im Anfangsstadium. Wandern mit prallen Rucksäcken von Jugendherberge zu Jugendherberge. So war es jedenfalls geplant. Dann auch mal eine Nacht im Freien, im Zelt. Mal mit einem Bauern auf dem Anhänger zum nächsten Ort. Scheune - aber mit wenig Stroh. Dafür Zecken. Schließlich mieteten wir ein Auto. An Michis Fahrkünsten hat sich alles entzündet. Er fuhr mir zu schnell. Zu waghalsig. Irgendwie hatte ich das Empfinden, er wollte uns mal zeigen, wie gut er Autofahren kann. Es kam zum Streit. Bis er sagte: „Du kannst ja aussteigen, wenn es Dir nicht passt! Kommst du eben zu Fuß nach!“ Und er hielt tatsächlich an. Und ich stieg tatsächlich aus, griff mir meine Tasche und lief in entgegen gesetzter Richtung davon. Unbeirrt von den Rufen der anderen. Unbeirrt davon, dass sie wendeten und mich beschworen, ich solle doch wieder einsteigen. Ich solle doch kein Spielverderber sein. Aber - wie gesagt - ich bin ein Trotzkopf. Und ich hatte Angst. Mein Bruder war gerade noch mit dem Leben davon gekommen, als er und drei Bundeswehrkameraden in ein Waldstück geschleudert wurden. Überhöhte Geschwindigkeit, Leichtsinn, Angeberei - und zwei Tote.

      „Ich komme nach!“ versprach ich. „Ihr braucht Euch um mich nicht zu kümmern!“ Ein Stück fuhren sie neben mir her. Anne redete auf mich ein. Dann schrie sie mich an. Das gab mir den Rest. Aus - vorbei. So kann man mit mir nicht reden. Schließlich bin ich Widder.

      Sie brausten davon. Hielten wieder an. Warteten auf mich. Ich wechselte die Richtung. Dann verloren wir uns aus den Augen. Unser nächstes Ziel war Langenargen am Bodensee. Und dann Meersburg, die Jugendherberge. Irgendein Auto würde schon anhalten und mich mitnehmen. Ich bin Widder und schaffe alles, was ich mir in den Kopf setze.

      Ab jetzt beginnt die Geschichte kitschig zu werden. Ein bisschen jedenfalls. Zeit, dass ich mich vorstelle: In dieser Geschichte heiße ich Julia. Im richtigen Leben ähnlich, aber anders. Ich fühle mich freier, wenn Julia diese ihre Erlebnisse schildert. Auch wenn das in keiner Weise was mit einem Romeo zu tun haben wird. Kein Romeo. Keine Liebestränen. Keine Nachtigall. Bitte hier aussteigen, wenn einer nicht weiterlesen will.

      Julia ist 22. Zahnarzthelferin. Lose verbandelt mit einem, der nicht mitkommen konnte. Sonst wären wir zu sechst gewesen. Somit war ich das fünfte Rad am Wagen, wie man zu sagen pflegt. Das sorgt ohnehin schon für Unruhe. Die anderen tun es miteinander, also der Michi mit der Anne und der Pit mit der Susanne. In der Nacht im Freien hatten sie Hemmungen und sind irgendwohin verschwunden, als sie dachten, ich sei eingeschlafen. „Wir können doch hier nicht vögeln, wenn die Julia keinen hat!“ meinte Pit. Ich hätte aber keinen gebraucht. Es war mir lieber so. Und sie hatten wohl ihren Spaß dabei. Und Ameisen und Mücken. Und den Bach als Bidet. Nachts kam dann noch der Michi in mein Zelt. Aber für eine solche Mitleidsnummer, noch dazu hinter dem Rücken von Anne, war ich nicht zu haben. Widder wollen alles oder nichts.

      Nun also ohne die Clique. Wenn man 22 ist, etwas Busen hat und lange Haare, halten alle Autofahrer an. Das ist ein wirkliches Problem. Denn zu jedwedem steige ich nicht ein. Deshalb frage ich immer erst „Wo fahren Sie denn hin?“ - und wenn mir der Typ nicht gefällt, sage ich, das sei die falsche Richtung, leider. Bei dem einen stinkt die ganze Karre nach Zigarrenrauch. Der nächste hat den unverschämten Vernascheblick drauf. Der nächste pfeift gleich zwischen den Zähnen und starrt mir in die Bluse. War vielleicht doch keine so gute Idee. Ein Bundeswehrsoldat erinnert mich an die Sache mit Rolf. Der nächste hätte eine Chance gehabt, fuhr aber nun wirklich in die falsche Richtung. Schließlich stieg ich zu einem Opi in den Mercedes. So ein ganz besorgter. Nur rauchen dürfe ich in seinem Auto nicht. Da waren wir zum ersten Mal auf der gleichen Schiene.

      Natürlich wollte er wissen, ob es nicht gewagt sei, so als blutjunges, attraktives Frauenzimmer allein zu trampen. Blutjung hat er gesagt und attraktiv. Fand ich nett - so jenseits jeglicher Anmache. Meersburg sei eigentlich nicht seine Richtung. Aber er könne mich in der Nähe absetzen. Oder vielleicht doch hinfahren. Nur habe er vorher noch zu tun. In Tettnang.

      „Kennen Sie das?“ fragte er. Nein, sagte mir im Moment nichts.

      „Barock!“ - eine zunächst etwas einsilbige Antwort. „Lieben Sie Barock?“

      Ich habe so meine Schwierigkeiten, Barock und Rokoko auseinanderzuhalten“, gab ich zu. Mit dieser Antwort wollte ich der Gefahr ausweichen, geprüft zu werden.

      „Schade!“ - Wieder so ein einsilbiger Kommentar.

      „Was ist schade?“

      „Dass Sie mich bald wieder verlassen werden. Sonst ...“

      „Was heißt das - sonst?“

      „Sonst könnte ich Sie Barock erleben lassen, mit allen Sinnen!“

      „Als da wären?“

      Opi schob eine Kassette ins Autoradio. Ein Flötenkonzert erfüllte den Wagen.

      „Telemann! Barockmusik! Schloss Tettnang, schlichter, edler Barock! Gartenkunst! Weingarten, sakraler Barock vom Feinsten. Sankt Peter an den Bodensee versetzt.“

      „Sind Sie Kunstgeschichtler?“

      „Fast. Ein Hobby. Eintauchen in andere Welten. Vielleicht auch Flucht. Nennen Sie es, wie Sie wollen!“

      „Flucht - wovor?“

      „Ach, lassen wir das! Dennoch - jammerschade, dass Sie mich in Meersburg wieder verlassen müssen. Ist das unabänderlich? Sind Sie in Meersburg fest verabredet? Müssen Sie unbedingt in die Jugendherberge? Reizt es Sie nicht, mal in einem Barockschloss zu übernachten? In einem kleinen Juwel des Barock? Natürlich in allen Ehren. Vielleicht kann ich das arrangieren. Vielleicht ist die Gräfin zuhause. Selten genug.“

      Opi