Helmut H. Schulz

Bachmanns Boot


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Salon ein Lager zurechtmachen? Willst du fernsehen?"

      Er winkte energisch ab.

      Seine Frau warf der Haushälterin einen Blick zu. Diese stand auf und Bachmann sah, wie sie Kissen und Decken auf der Sitzbank vor dem Fernseher anordnete.

      "Lassen Sie nur, ich lege mich oben hin", erklärte er, nahm ein Buch aus dem Regal und beeilte sich nach oben zu kommen. Die letzte Viertelstunde hatte ihn angegriffen. Ehe er die Tür hinter sich zuzog und den Schlüssel umdrehte, hörte er noch die ihm verhassten Geräusche aus dem Fernseher.

      2

      Im Bootshafen stand Eis auf den Pfützen, es wehte kühl, von der Wasserseite herein. Er betrachtete eine Welle die Bootsreihe, so schwankt en die Masten der Jachten wie große Grashalme. Die Fallen schlugen gegen das Holz, oder der Draht brachte irgendein Metall zum Klingen.

      Grau bestimmte den Morgen, der Himmel war bezogen und das Wasser draußen zeigte kleine kurze Wellen. Die noch unbelaubten Uferbäume schüttelten Regen aus den Ästen. Am gegenüberliegenden Ufer zog sich ein braungelber Streifen toten Schilfs in ganzer Breite am See entlang. Der Wald dahinter schien beinahe schwarz.

      In der Fahrrinne wühlte ein Schleppzug das Wasser auf. Weil der Wind vom Land her wehte, klangen die Motorgeräusche des Schleppers nur gedämpft zum Hafen herüber.

      Bachmann stand auf einem der Bootsstege, die Hände in den Taschen der gefütterten Lederjacke, den Kragen bis zu den Ohren hochgeschlagen. Er war fast allein. An einem der hinteren Stege machte sich ein Mann an einer Jacht zu schaffen. Flüchtig nahm Bachmann wahr, dass der Mann hinauswollte.

      'Seltsames Vergnügen', dachte Bachmann, 'bei so solchem Wetter rauszufahren. Bei mir wenigstens ist es kein Vergnügen. Ich habe was vor.'

      In Wahrheit wäre er gern zurückgefahren, aber der Bursche, welcher ihm das Boot verkauft hatte, war heute früh telefonisch nicht mehr zu erreichen gewesen. Deshalb hatte Bachmann den Termin einhalten müssen, stand nun hier und fror.

      Er verließ den Bootssteg, und suchte den Weg zum Ausgang. Schon überlegte er, ob er sich lieber ins Auto setzen sollte, wo er vor dem Wind geschützt saß, da fuhr ein Motorrad bis an das Tor heran, hielt, ein Mann stieg ab, bockte die Maschine auf und band den Helm los. Es war der Verkäufer.

      Bachmann ging rasch auf ihn zu. Sie gaben sich die Hände. Dann lief der Verkäufer los, es Bachmann überlassend, ihm zu folgen. Der betrat gleich hinter dem Verkäufer das Bootshaus.

      "Haben Sie schon abgedeckt?, fragte der junge Bursche beiläufig, schlüpfte aus den Sachen, hängte alles sorgfältig ins Spind und zog warmes festes Zeug an, auch Gummistiefel.

      "Nein", sagte Bachmann, "ich wusste ja gar nicht, ob Sie kommen." In der Art wie der Bursche gefragt hatte, lag etwas Geringschätziges für Bachmann.

      "Wollen Sie mit dem feinen Zwirn da auf den Kahn?", fragte der Verkäufer mit Hohn.

      Bachmann zuckte die Schultern. Der Junge hätte den Jahren nach sein Sohn sein können. Der Körper des Bürschchens war schlank, die Haut brünett. Über der Nasenwurzel stand eine tiefe schräge Falte zwischen lebhaften braunen Augen, die zuweilen etwas Stechendes hatten. Dem Gesicht fehlte es an Offenheit. Anscheinend war sich der Junge dessen bewusst, denn er vermied es Bachmann anzusehen. Das Kinn des Jungen fiel flach ab.

      Seinen Widerwillen gegen das Bürschchen unterdrückend, schloss sich Bachmann an, als der Junge zum Steg lief. Bachmann sah ihn schnell und kundig die Plane abdecken. Das Boot schwankte unter dem Gewicht des Jungen. Als Bachmann sein Boot betrat, legte es sich so stark auf die Seite, dass er fast abgeglitten und ins Wasser gefallen wäre. Er balancierte, vorsichtig geworden, nach hinten und ließ sich auf der Bank nieder. Der Junge sprang schon wieder nach vorn und löste die Befestigungen.

      "Nehmen Sie den Bootshaken und halten Sie uns von den anderen ab", sagte er in verletzend befehlendem Ton.

      Bachmann tat es so gut er es vermochte, das heißt ungeschickt.

      "Wäre es nicht vernünftiger zuerst den Motor anzustellen", sagte er ärgerlich, während er mit der Stange nach dem Nachbarboot angelte.

      Ohne Antwort stieg der Junge in die Kajüte.

      Das Boot lag in voller Länge quer zum Steg. Es wippte auf und nieder, trieb aber nicht ab, wie Bachmann befürchtet hatte. Der Diesel fiel in sein eigentümlich nagelndes Geräusch. Seinen Platz am Steuer einnehmend, ließ der Junge den Motor warmlaufen.

      "Welchen Gang Sie fahren, ist ziemlich egal", belehrte er Bachmann. "Anders als beim Auto. Sie werden schon sehen. Na, Sie wissen ja Bescheid. Der Volvo draußen gehört wohl Ihnen."

      Die Rede des Jungen klang ganz so, als verstünde dieser viel von Motoren.

      "Den Scheck haben Sie mit?", fragte er knapp und sachlich.

      Bachmann griff sofort in seine Jacke und holte die Brieftasche hervor. Er fühlte sich von den Blicken des Bürschchens belauert, als er den Scheck herausnahm.

      Das Boot lief ruhig, überwand leicht die kleinen Wellen und reagierte wie es Bachmann schien vorzüglich. Draußen war der Wind stärker spürbar als im Hafen. Und vom Wasser stieg feuchte Kälte auf. Bachmann fröstelte, aber er griff nach. dem Steuer, als ihn der Junge mit einem Blick dazu aufforderte. Die Hand auf dem Schaft, spürte Bachmann wie das Boot seitlich ausbrach. Er erschrak und drückte so heftig gegen das Holz, dass sein Boot sich augenblicklich in die neue Richtung legte. Bachmann musste einen halben Bogen steuern, ehe er sein Boot wieder auf Kurs bekam.

      Der Junge warf einen Blick auf den Scheck, steckte ihn ein und reichte Bachmann einen zusammengefalteten Zettel. Als Bachmann ihn fragend ansah, erklärte das Bürschchen unverschämt: "Wollen Sie denn nicht wissen, was sie gekauft haben? Ist wohl eine Bagatelle für Sie."

      "Was sind Sie eigentlich von Beruf?", fragte Bachmann einlenkend.

      "Studiere", erwiderte der Junge kurz angebunden.

      "Ich habe seinerzeit in Moskau studiert", sagte Bachmann ein bisschen schwärmerisch. "Ich war übrigens einer der Ersten. Sie verstehen? Neulehrer kurz nach dem Krieg, dann Student - wir alle hatten damals ungeheure Bildungslücken. Zugleich aber litten wir unter unserem Unwissen stärker als ihr Heutigen."

      Zu spät bemerkte er den Fehler.

      Gleichgültig geradeaus sehend zündete sich der Junge eine Zigarette an. Bachmann hoffte auf eine Frage des Bürschchens; er hoffte darauf, aber nichts kam.

      "Philosophie", bemerkte Bachmann, "die Mutter der Wissenschaften. Das und noch manches andere habe ich studiert."

      Das geringschätzige Lächeln des Jungen traf ihn schon nicht mehr. Er fragte sachlich: "Was studieren Sie?"

      Plötzlich begann der Motor auszusetzen.

      "Halten Sie auf den Turm da drüben zu", sagte der Junge gemacht geschäftig, "dahinter kommt gleich die Schleuse. Der Fluss wird schmal."

      Er warf die Zigarette weg und stieg in die Kajüte hinunter. Der Motor blubberte, das Boot verlor an Fahrt. Nun erschien der Junge mit einem großen Kanister, turnte nach vorn und füllte Treibstoff nach. Bachmann bemühte sich den Turm anzusteuern. Der Junge kam nicht wieder nach hinten, sondern blieb vorn hocken.

      Der Fluss verengte sich. Rechts und links rückten die Ufer heran. Häuser und Stege, auch Umschlagplätze von Industrieanlagen sah Bachmann. Er fragte sich, wie lange ihn der Junge noch allein am Steuer lassen wollte, denn vorn zeigten sich die Schleusenanlagen. Ungefähr wusste Bachmann, wie eine Schleuse arbeitete, und der Junge wusste, dass er, Bachmann, nichts von Booten verstand. Neben der Schleusenanlage befand sich ein Steg. Bachmann sah ein rotes Licht. Er begriff, dass die Einfahrt gesperrt war, aber er wusste nicht, wie er sein Boot zum Stehen bringen sollte. Manches ging ihm durch den Kopf jetzt. Er musste viel lernen, und er beschloss, das Lernen nicht lange aufzuschieben. Schon gar nicht würde er sich eine Blöße geben vor dem Bürschchen da vorn, das gebeten sein wollte. Mit dieser Jugend nehme ich es noch als Sterbender auf!

      Aufmerksam