Ilona Klawunn

Das verlorene Glück


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nur Geld“, murrte Tobias.

      Ein Klopfen an der Haustür ließ ihn aufhorchen. Schimpfend, anders kannte man ihn ja nicht, öffnete er die Tür. Ein kleiner Junge blickte ihm entgegen. „Ist er hier? Ich habe seine Spuren im Schnee verfolgt“, fragte der Junge aufgeregt und spähte in die Wohnstube. Schwanzwedeln lief ihm sofort der Hund entgegen. „Was für ein Glück“, strahlte das Kind erleichtert, „Felix ist bei Dir.“

      Tobias fehlten die Worte, was selten genug vorkam.

      „Glück für wen?“ fragte er nach einer kurzen Pause.

      „Na, Glück für Felix und Glück für dich!“ erwiderte der Junge.

      „Für mich? Da bin ich aber neugierig, warum es für mich ein Glück sein soll, wenn so ein Fellknäuel hier auftaucht.“

      Tränen standen dem Kind plötzlich in den Augen: „Ich darf Felix nicht behalten, da ich schon einen Hund habe. Und Felix ist ausgesetzt worden, keiner will ihn. Aber er braucht doch ein Zuhause. Jeder braucht ein Zuhause! Und Du hast eines und bist immer allein. Was Dir fehlt, ist ein Hund. Oder willst du, dass Felix erfriert?“ Das klang sehr vorwurfsvoll.

      Und gegen die Argumente des Jungen konnte Tobias nichts einwenden. Oder wollte Tobias gar nichts einwenden? Er blickte auf Felix, blickte in seine treuen Augen und er verspürte plötzlich ein seltsames Gefühl von Glück. Glück, das verloren gegangen war in den letzten Jahren. Und nun stand es vor ihm und hatte sogar einen Namen. Felix, der Glückliche.

      Tobias schaute gerührt zu dem Jungen herüber, doch dieser war nicht mehr da. Der Mond schickte sein Licht durch die Nacht und tauchte die kleine Stadt in einen sanften Schein. Kurze Zeit später lag Tobias in seinem Bett, zu seinen Füßen kuschelte sich ein kleiner, glücklicher Hund.

      Und draußen vor dem Gartenzaun stand ein Schneemann und lächelte in die Nacht.

      2 Nikolausabend

      Meine Oma war es, die 1983 die Tradition einführte, dass wir den Nikolausabend auch noch im Erwachsenenalter im Kreise der Familie feiern. So geschah es, dass wir regelmäßig jedes Jahr zu Nikolaus in unserem Elternhaus dieses Fest begingen. Bis zum heutigen Tage ist es so geblieben. Leider ist meine Oma vor vielen Jahren schon verstorben, ebenso wie mein Vater. Die Nikolausabende ohne sie sind zwar immer noch sehr schön, aber nicht mit früher vergleichbar, als alle noch anwesend waren.

      Wir, das waren damals meine Oma, die Eltern und fünf von sechs Töchtern samt Ehemännern. Da eine Schwester in München wohnte, wurde sie immer mit einem Videofilm auf dem Laufenden gehalten. Im Laufe der Jahre kam dann der eine oder andere Nachwuchs noch dazu. Ja, es war immer richtig was los bei uns. Regelmäßig wurde für diesen Anlass das gesamte Wohnzimmer umgeräumt, denn alle sollten zusammen bei Tisch sitzen. Damals waren wir vierzehn Personen, die gespannt auf den Nikolaus warteten.

      Das Abendessen fiel immer sehr üppig aus. Rouladen, Gulasch und Schweinebraten, samt Knödel, Rotkohl und andere Beilagen bereitete meine Mutter selbst zu. Das ließ sie sich nicht nehmen, und jegliche Hilfe lehnte sie rigoros ab. Tage zuvor backte sie Mohnstollen und echte Lebkuchen für alle Kinder, von denen jeder eine große Dose vom Nikolaus bekam. So an die zehn bis zwölf Kilo Mehl verarbeitete sie dann. Allein meinem Vater stand die ehrenvolle Aufgabe zu, den Lebkuchenteig ordentlich durchzukneten. Einen Tag vor der Feier rief meine Mutter alle Kinder an und erinnerte uns daran, Töpfe für das Essen mitzubringen. Sie hätte soviel gekocht, und jeder könnte noch etwas mitnehmen. Ich glaube, die Metzgerei am Ort freute sich genau wie wir auf dieses Fest. Mehrere Kilo Fleisch gingen zu Nikolaus allein für unsere Familie über die Ladentheke.

      Niemanden wunderte es, denn jeder kannte doch das Sechsmädelhaus. Und meine Eltern waren stolz auf uns. Hatten sie uns doch gut erzogen und in der Reihenfolge, in der auf die Welt kamen, wurde auch geheiratet. Damals wohnten meine Eltern noch in einer Zechenhaussiedlung an der Beckeradsdelle in Buer.

      Der Nikolausabend war da, und fünf Familien suchten wie in jedem Jahr verzweifelt einen Parkplatz, wollte man doch die Wäschekörbe, die kleine Geschenke für die ganze Familie enthielten, nicht ganz so weit tragen. Schließlich mussten diese Körbe auch wieder voll beladen zurück zum Auto getragen werden. Nach und nach wurde also das Haus lachend und schwatzend gestürmt. Jeder hatte seinen festen Sitzplatz, und trotzdem dauerte es, bis alle saßen. Der Tisch war festlich gedeckt und wie in jedem Jahr kippte zwei bis dreimal eine Kerze vom Tischleuchter. Das gab immer ein großes Gelächter. Man kannte es ja nicht anders.

      Meine Schwester Sylvia bemängelte einmal wieder ihren Sitzplatz. Man muss dazu sagen, dass sie den unbequemsten Platz hatte. Keiner wollte mit ihr tauschen, so auch nicht in diesem Jahr. Dafür hatte Elfi ganz vorne zur Küche hin den Platz. Das hieß, dass sie beim Hereintragen des Essens helfen musste. Das geschah -wohlgemerkt- jedes Jahr unter Protest. Man sieht, auch das hatte seine Tradition. Vor dem Essen wurde ein Tischgebet gesprochen, danach die Suppe aufgetragen, und dann versuchte ein jeder, die besten Stücke vom Fleisch zu ergattern. Mir waren die Klöße am liebsten, schaffte ich doch an die vier Stück.

      Wir waren eine liebevolle, chaotische Familie und sind es noch.

      Nach dem Essen kam dann der Nikolaus. Begrüßt wurde er mit dem Lied: „Nikolaus komm in unser Haus.“ Papa begleitete uns dazu auf dem Akkordeon. Oma beschenkte uns zuerst. Es gab immer eine große, volle Plastiktüte mit Naschereien, Nüssen und Obst. Zum Abschluss sangen wir: „Nikolaus wir danken dir.“ Danach bescherten uns unsere Eltern mit den wohlduftenden Lebkuchen, dem Mohnstollen, einer Flasche Glühwein und wunderbaren Frankfurter Würstchen. Meine Mutter hatte dieses Jahr auf die Nikolausmaske verzichtet, denn man bekam schlecht Luft unter der Gummiverkleidung. Nun waren wir Kinder an der Reihe, unsere Geschenke zu verteilen. Papa schimpfte wie jedes Jahr, wir sollten doch unser Geld sparen, er hätte doch alles. Mittlerweile hatten wir schon zweimal wieder gesungen: „Nikolaus wir danken dir.“

      Es wurde wie immer ein schöner, lustiger Abend. Mutti saß erschöpft in ihrem Sessel, und wieder und wieder waren wir voll des Lobes über ihr Essen. In den ersten Jahren durften wir Mädchen nach dem Essen noch das Geschirr spülen. Aber in den darauf folgenden Jahren packte mein Vater das Geschirr in eine große Plastikwanne, stellte diese zur Seite und beteuerte, das Geschirr in Ruhe zu spülen, wenn wir weg wären. Wir sollten den Abend genießen. Nur unter lautem Protest gaben wir dann nach. Eine Spülmaschine duldete meine Mutter erst in den letzten zwei Jahren in ihrem Haushalt. So verging der Nikolausabend, satt und müde, mit vollen Körben, dazu noch Essen für den nächsten Tag, bis wir uns voneinander verabschiedeten. Alle waren sich einig, es war mal wieder ein wunderschöner Nikolausabend gewesen. Wie in jedem Jahr!

      Für uns Mädchen sind dieses Abende wirklich etwas ganz Besonderes, und sie werden immer unvergessen bleiben. Mit Wehmut, aber auch mit Freude erinnern wir uns gerne daran zurück. Irgendwann, bevor ich diese Geschichte niederschrieb, hatte ich den Nikolausabend für die Familie als Gedicht verfasst. Alle erkannten wir uns darin wieder, mit Wehmut und mit Freude.

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