Erich Muhsam

Alarm


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      Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst. –

      Es ist zwölf Uhr und Mittagsruh. –

      Sie fluchen und schreien. – Der eine schmeißt

      Dem ändern lachend die Flasche zu,

      Die heizend von Mund zu Munde reist, –

      Und keiner weiß es, wie arm er ist. –

      Ich komme des Weges. Und einer erblickt

      Den lässigen Gang, die groteske Gestalt:

      »Halloh! ein Kerl, dem es oben tickt!« –

      Und wildes Gelächter ans Ohr mir schallt.

      Ich sehe nicht auf. – Die wissen ja nicht,

      Daß dem, um den ihre Rohheit lacht,

      Ihr Schicksal klagend zum Herzen spricht, –

      Sie fragen auch nicht, ob er Verse macht.

      Und ich geh' weiter. Da kommen mir zwei

      Verlebte Dirnen kreischend vorbei.

      Aus ihren Augen starrt freudlose Gier,

      Am Munde frißt wüster Nächte Lust, –

      Nur Leiber, nur seelenloses Geschlecht, –

      Die armen Wesen, die nie gewußt,

      Daß sie arm und verlassen sind, – und nicht schlecht.

      Da stößt eine die andere an: »Du, hier!

      Der dürfte mir nicht für ein Goldstück ins Bett!«

      Und sie kichern frech. – Sie können nicht wissen,

      Daß ich mein Herzblut gegeben hätt',

      Wüßt' ich sie in treuer sorgender Hut –

      Wüßt' ich ihrem Frieden ein weiches Kissen, –

      Auch nicht, wie weh ihr Lachen tut.

      Und ich geh' meines Wegs. Aus der Schule kommen

      Erblühende Mädchen, halbwüchsige Knaben,

      Die eben vom schrulligen Lehrer die frommen

      Gelehrsamkeiten empfangen haben,

      Mit denen die Menschen die knospenden Seelen

      Verkümmern, unmerklich zu Tode quälen.

      Doch mit der Jugend schnellem Erspähn

      Hat mich ein Dutzend Augen gesehn.

      Da machen sie höhnisch die Zungen breit

      Und richten spottend auf mich die Finger. –

      Ahnen sie denn, daß ein Mensch in der Näh',

      Der sinnt, wie man aus dem Geisteszwinger

      Die werdenden jungen Geschlechter befreit? –

      Fragen sie: tut unser Spott nicht weh? – –

      Und endlich bin ich, wohin ich gewollt:

      Am Kinderspielplatz – bei den Kleinen.

      Hei, wie es mir da entgegen tollt!

      Es hängt mir am Hals, an den Armen, den Beinen.

      Ach – hier sind doch Menschen, die menschlich fühlen,

      Die kleinen Kinder, die sorglos spielen,

      Die wissen, wer ihnen Freund, wer Feind,

      Wer mit ihnen lacht und mit ihnen weint.

      Hier bin ich glücklich – hier wo ich fand

      Die ich suchte, die Heimat: mein Kinderland!

      1902

      Nun bin ich ganz allein, und immer lauter

      Vernehm' ich meines eignen Herzens Schlag –

      Stets nur mein Herz, und weiß, daß kein Vertrauter

      An meinen stillen Leiden leiden mag.

      Und Menschen gehen mir vorbei und lachen,

      Und Menschen weinen in der Liebsten Schoß.

      An wessen Lager darf ich liebend wachen?

      Wer teilt mir mit von seinem Leidenslos?

      Ich will der ganzen Welt Gebresten heilen,

      Will aller, aller Arzt und Helfer sein, –

      Doch, wo ich nahe, seh' ich flink enteilen

      Die kranken Menschen – und ich bleib allein.

      So will ich träumen, daß von meinen Salben

      Die Wunden schwänden, aller Not und Qual, –

      Und meine Träume, mit dem Flug der Schwalben,

      Sie werden Leben sein und ewiges Mal.

      1911

      Wo der Schlangenweg der Bäche

      Sich durch braune Felder klemmt,

      Ist ein Wetter dreingefahren, –

      Und wo Gras und Sträucher waren,

      Ist die weite Erdenfläche

      Grau und trübe überschwemmt.

      Niedre Hütten, kalt umflossen,

      Ragen traurig aus dem See.

      Abgerissne Bäume schwimmen.

      Tränenfahle Frauenstimmen,

      Auf das Wasser hingegossen,

      Klagen Gott ihr Menschenweh.

      Wo ein Hügelfeld den Fluten

      Trotzig ihre Schranke baut,

      Knien menschliche Gestalten,

      Welche Rosenkränze halten.

      Christus mag noch einmal bluten,

      Daß das Wasser rückwärts staut...

      Doch die Arbeit ist vernichtet,

      Welche Menschenhand verrichtet.

      Ehe Gott die Schwüre hört,

      Hat er Fleiß und Glück zerstört.

      Mögen sie nun neu beginnen:

      Bauen, karren, ernten, pflügen;

      Mag der Schweiß von neuem rinnen ....

      Wenn die Früchte wieder reifen,

      Wird der Reiche danach greifen

      Und den Armen drum betrügen. –

      Menschen! Wollt ihr denn nicht fühlen?!

      Wo der Schlangenweg der Bäche

      Sich durch braune Felder klemmt,

      Laßt doch Wetter drüber spülen!

      Freut euch, wenn die Frucht der Schwäche

      Wasserflut von hinnen schwemmt!

      Obs euch Gott nimmt, ob der Reiche –

      Menschen, ist's denn nicht das Gleiche?

      1901

      Ich wollt' das Lied des Herzens nicht verschweigen.

      Ich wollt' es jubelnd zu den Menschen schmettern,

      Die bleich am Baume der Erkenntnis klettern,

      Das Glück vermutend in den kahlen Zweigen.

      Ich wollt' sie rufen zu den breiten Küsten,

      An die des Meeres Wellen silbern