beiden Söhne verdingten sich als Knechte, er aber kehrte zurück und wurde als Lehrbeispiel für das westliche Bauernlegen in der Versammlung herumgereicht. Das viele Geschrei und das viele Bier hoben seine Stimmung. Er bekam sein Eigentum zurück und erneut eine Starthilfe.
Die Feindschaft zwischen den Männern hielt sich in Grenzen; es war eine, die sich hinter blanker Freundlichkeit versteckte. Trotz aller Beteuerungen brachten die Behrends nie ohne Mahnung etwas zurück, und dann war das Werkzeug verbogen, verrostet oder entzwei, was den gelernten Werkzeugmacher Zander besonders schmerzte. Schließlich hielt er sich für Behrend ein Lager ausrangierten Werkzeugs und Maria Zander verschenkte zuletzt lieber zehn Eier, als daß sie borgte und sich hinterher ärgerte, weil die Nachbarin nichts zurückgab. Es ging ja weder um Eier noch um Werkzeug, die Feindschaft hatte tiefere Ursachen. Sie lag im Hochmut der Zanders begründet, die sich für sauberer, redlicher und besser hielten als die Behrends, welche ihrerseits an der ihnen geläufigen Sorglosigkeit im Leben und einer gewissen Schlamperei festhielten. Bösartig oder berechnend war daran zunächst nichts. Alles wurde vom Augenblick dirigiert, allerdings vergaßen weder die Behrends noch die Zanders eine angetane Schmach. Sie waren beide nachtragend und von verletzbarem Stolz.
Noch spät war den Behrends ein Mädchen geboren worden, 1952, Barbara, im Suff gezeugt, behauptete Maria Zander. Wenn Barbara wirklich ein Unfall im Schnapsrausch gewesen sein sollte, so war ein Wunder geschehen. Das Ding stellte sich schnell auf eigene Füße, war lang bezopft, hatte Augen von der Farbe reifer dunkler Kirschen und einen beweglichen zierlichen Körper, wenn wir die Jahre ihrer Kleinkinderzeit überspringen. Allzu viel Sorgfalt wendeten die Behrends für ihre Erziehung nicht auf, aber Barbara dankte ihnen jeden trockenen Kanten Brot und jeden Katzenkopf mit blühender Frische.
Kapitel II
Dieser Fall, der drei Gerichte beschäftigte, entwickelte sich gleichsam von selbst. Als Barbara eingeschult wurde, zählte Georg bereits zwölf Jahre. Dank seiner Erziehung durch die Eltern und einsichtsvolle Lehrer, vor allem aber dank seiner Veranlagung würde er dem Dunstkreis des Dorfes entwachsen, vielleicht einmal studieren. Wir befinden uns im Jahr 1958, also in der Zeit, da sich die Verhältnisse auf dem Lande im Übergang vom Universalbauernstand zum Genossenschaftsbauern befanden, das heißt, den Behrends ging es zwar nicht schlecht, aber auch nicht gut. Zander schien es dagegen vorherbestimmt, durch Fleiß und Ausdauer zu bescheidenem Wohlstand zu kommen. Zwischen den Kindern der verfeindeten Familien wirkten sich die Gegensätze der Familien nicht aus. Eigenartigerweise sorgte sich Maria Zander in dieser Zeit noch um das Nachbarskind; sie glaubte, daß Barbara von der Mutter vernachlässigt werde. Ja, sie hielt die Eltern überhaupt für unfähig, Kinder zu erziehen. Ob ein Gefühl des benachteiligt Seins mitschwang, wer weiß das? Frau Zander hatte sich immer ein zweites Kind gewünscht. Den Behrends hatte die unberechenbare Natur drei Kinder gegeben. Beide Zanders waren zu gerecht, um ihren Zorn auf das jüngste Kind der Behrends auszudehnen. So kam es, daß Barbara bei den Zanders ein und aus ging und sich manches herausnahm; um diese Besuche kümmerten sich die Behrends nicht, wie sie überhaupt das Kind wenig beaufsichtigten. Barbara wurde also eingeschult, und nun schien sich das Erbe der Behrends zu zeigen; das lebhafte Mädchen war lernschwach, es kam nicht mit, zappelte im Unterricht herum und war mit allem Möglichen beschäftigt. Georg und Barbara gingen vorerst in dieselbe Schule. Die Kleine wartete auf den großen Nachbarssohn und trabte neben ihm her auf staubigen, nassen oder gefrorenen Wegen die zwei Kilometer bis ins Dorf. Sie redete, er hörte schweigend zu. An manchen Nachmittagen erschien sie bei den Zanders, um mit seiner Hilfe ihre Schularbeiten zu erledigen, schrieb ein bisschen unter Georgs Aufsicht, nahm seinen Katzenkopf gleichmütig hin und bot ihm in den Pausen, wenn Frau Zander ihr Kuchen oder Marmeladenbrote und Tee oder Malzkaffee gab, Geschichten an.
«Gestern ist ein Mann am Fluss gewesen, der war im Gesicht ganz schwarz. In jeder Tasche hatte er Katzen und... »
Selten brachte sie ihre Einfälle in eine Fabel und damit zu einem Ende. Georg sah auf die tintenbeklecksten Finger, das tintenbekleckste Papier und stieß einen Seufzer aus.
«Fehlt dir was, Bruder Tier?»
Sie bezog alle Märchen, die sie kannte, in ihr Leben ein, und diese Fähigkeit überraschte und ärgerte ihn. Aus Märchen oder Sagen konnte er keinen Übergang zum Leben finden, er hielt sich an die Welt, die sich begreifen ließ. Er empfand etwas wie Scham gegenüber all den unbegreiflichen Wundern der ihm fremden Märchenwelt. Was ihn, den Zwölfjährigen, störte, war; daß Barbara ihre Erfindungen für bare Münze ausgab. Lüge, Wahrheit, Zerstörung und Schöpfertum waren ihm noch verschlossene Begriffe, aber er erlag der Suggestion ihrer Stimme und ihrem Mienenspiel. Andererseits gefiel ihm nicht, daß sie sich in ihre Rollen hineinlebte, bis zu ihm idiotisch vorkommenden Exzessen; steif und fest behauptete sie, eine Kuh zu sein, verfolgte ihn muhend und stelzend und gab sich sogar einen Namen, Frau Bilap. Eine Frau Bilap, allgemein als Kuh bezeichnet, sollte einmal im Dorf gelebt und einen Kramladen besessen haben. Verärgert spottete er: «Die Kuh Frau Bilap? Also bist du ein Rindvieh.« Da sie ihn weiter verfolgte, bewarf er sie aufgebracht mit Erdklumpen und trieb sie hinter den Behrendschen Zaun zurück.
Maria Zander war sich nie ganz klar, wie sie sich dem kleinen Mädchen gegenüber verhalten sollte. Sie fühlte sich als Mutter angesprochen, wollte helfen, erziehen, besser gesagt, eingreifen, bevormunden. Auch ihr war Barbara fremd. Sie vermutete, daß dieses Suffkind alsbald die schlechten Eigenschaften der Behrends zeigen würde. Hin und her gerissen zwischen Zuneigung und Abscheu, Mitleid und Abwehr, begriff sie wenig von dem, was in dem fremden Kind vor sich ging. Sie sagte zu Georg, daß er den Verkehr nicht zu eng werden lassen sollte, vielleicht weil sie fühlte, wie viel Einfluss das Ding der Nachbarn bereits auf ihren Sohn hatte, eine unklare Eifersucht kam mit ins Spiel. Er lehnte ihre Forderung mit den Worten ab: «Lass sie in Ruhe!»
Auf diesen Satz, im kategorischen Ton des Vaters gesprochen, blieb ihr nichts übrig, als alles laufen zu lassen, wie es wollte. Sie verbot ihm nie etwas. Beide Zanders behandelten den Zwölfjährigen schon wie einen Erwachsenen. Und so benahm sich Georg auch.
Er verstand es, Räder und Mopeds zu zerlegen, und er bekam sie auch wieder zusammen. Die Durchsicht von Staubsaugern und anderen elektrischen Geräten, die, wie bei Handwerkern üblich, selbst repariert wurden, überließ Zander längst seinem Sohn. Er verwies auch andere, die ihm entzwei gegangene Sachen brachten, an den Sohn: «Fragt mal Georg. Wenn er Zeit hat, hilft er vielleicht!» Auch unter den Kindern galt Georg nicht mehr als Kind; er spielte mit ihnen Fußball, schwamm mit seinen Altersgenossen und mit älteren im Fluss, aber wie er es tat, zeigte schon den Ernst und die Überlegenheit Erwachsener. Schule und Elternhaus hatten den Begabten an ihre Welt angepasst, ihn zu einem Beispiel für die anderen gemacht. So schien es zumindest. Da ihm alles leichtfiel und er sich im Rahmen seiner sozialen und individuellen Möglichkeiten beherrscht und mit Ausdauer bewegte, erschien er allen Erwachsenen als erfreulich lenkbar. Seine Kameraden mochten ihn auch, obschon er keine Freunde hatte. Stets mit etwas Wichtigem beschäftigt, stand er immer unter der Autorität Älterer, Erfahrenerer, Besserer und lebte Vorbildern nach; eigentlich war er nie jung gewesen. Wie sich der Frühreife verhalten würde, wenn er seinen Lebenskurs selbst bestimmen sollte, darüber dachte keiner nach, da bei diesem Jungen alles aufzugehen schien. Immerhin handelte es sich um einen Zwölfjährigen, aber die Eltern, die Lehrer sahen nicht, was sie unterließen, und so blieb ihnen später unerklärlich, weshalb der Überangepasste in einer schwierigen Lage derart versagte.
War Georg ein begehrter Spielpartner, falls er spielen wollte und Zeit dazu fand, so hatte Barbara den allerschlechtesten Ruf: Fast immer störte sie beim Spiel. Launisch und zänkisch, stellte sie die höchsten Ansprüche an andere, wollte immer Mittelpunkt sein. Trotzdem hatte sie Freundinnen und wurde von den Kindern als Gefährtin geschätzt. Nichts trug sie schwerer, als wenn sie verspottet wurde, und nichts taten die Kinder lieber, als sie zu reizen, nachdem einmal klar geworden war, daß Barbara außer sich geraten konnte, wenn sie geneckt wurde. Wusste sie nicht mehr aus noch ein, schlug sie um sich, kratzte und biss. Mehr als einmal erging es ihr dabei schlecht. Bei einer dieser von ihr angezettelten Prügeleien - sie lag unten, ein Knäuel Kinder über ihr - erschien ihr großer Nachbar auf dem Plan. Körperliche Gewalt widerstrebte ihm, obgleich er sich auch schlagen konnte. Barbara gönnte er zudem eine kleine Abreibung, denn auch