Ina Maria Teutsch

Schattenglanz


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schloss die Augen. Der Film interessierte mich nicht im Geringsten. Alte Liebesschnulzen, bei denen man schon von Anfang an wusste, dass es ein Happy End gab, waren noch nie so mein Ding gewesen. Stattdessen dachte ich über mich und Timo und über mein ganzes Leben nach, das so plötzlich aus den Fugen geraten war. Wie hatte es nur so weit kommen können? Ich beschimpfte meine Eltern, die mich in dieses Camp hier hatten schicken müssen und wusste doch gleichzeitig, dass ich ihnen nicht böse sein konnte. Im Gegenteil. Das Treffen mit Laurin hätte ich für nichts in der Welt rückgängig gemacht, auch wenn es am Ende so abrupt beendet worden war. Als ich plötzlich bemerkte, wie viel Wahrheit in diesem einen, so unwichtig klingenden Gedanken lag, hätte ich am liebsten laut aufgeheult. Denn für mich war er ganz und gar nicht unwichtig. Timo neben mir schien meine verzweifelte Stimmung wohl aufgefallen zu sein, denn er strich mir zart eine Strähne meiner widerspenstigen Haare aus dem Gesicht und flüsterte leise in mein Ohr: "Du bist so wunderschön! Alle Frauen in diesen ganzen Filmen hier können da niemals mithalten. Wenn sie dich sehen würden, würden sie vor Neid erblassen!" Ich lief knallrot wie eine Tomate an und war froh, dass das bei der Dunkelheit niemand bemerkte. Oh mein Gott er war so unglaublich süß! Was ging bloß in meinem kranken Kopf vor sich, dass ich ständig an Laurin dachte und nicht an Timo?! Ich musste über mich selbst den Kopf schütteln. Wie dumm konnte man eigentlich sein! Timo verdiente es eine Freundin zu haben, die ihn wirklich und aufrichtig liebte und nicht so jemanden wie mich, die in Sachen Liebe einfach nichts auf die Reihe bekam. Ich war wohl gefühlsgestört. Ob das eine anerkannte Krankheit war? War sie ansteckend? Wenn ja sollten sich all meine Freunde besser in Acht nehmen und ich mich in eine Quarantänestation einweisen lassen. Das wäre wohl das Beste für alle Beteiligten gewesen. Gedankenverloren strich ich über Timos muskulösen Oberarm, der warm auf meiner Schulter ruhte und beschloss schweren Herzens ihm am Samstag noch vor dem Kino von meinen wahren Gefühlen für ihn zu berichten. Denn das hier konnte ich ihm einfach nicht antun. So egoistisch war ich nicht und ich war es ihm bei weitem auch schuldig. Er musste wissen, woran er wirklich war. Denn nun wusste ich ganz genau, was ich tatsächlich für ihn empfand. Es war mehr diese Verbundenheit zwischen Geschwistern, die sich blind verstanden und mit denen man über alles reden konnte. Sie waren immer für einen da, wenn man sie brauchte und man konnte ihnen voll und ganz vertrauen. Timo war mittlerweile in dieser kurzen Zeit wie ein Bruder für mich geworden. Doch seinen Bruder liebte man eben auf eine ganz andere Art und Weise. Eine Art und Weise, die nicht minder schön war, doch eben etwas vollkommen anderes, mit der Liebe zu einem Freund nicht zu vergleichen. Meine Stimmung sank noch weiter, wenn das überhaupt möglich war. Ich wusste nicht mehr auch nur im entferntesten wie ich mich verhalten sollte. Als der Film zu Ende war, stand ich deshalb schnell auf und verabschiedete mich von Timo mit einer Umarmung, die mir zwar warme Schauer den Rücken hinunter jagen ließ, jedoch nicht diesen Effekt, wie auch nur die kleinste Berührung von Laurin erzielte, die mich dieser Welt voll und ganz zu entreißen vermochte. Ich musste zwar lügen und behaupten, dass ich immer noch krank sei und mich deshalb hinlegen wollte. Doch das war auf jeden Fall immer noch besser, als weiterhin irgendwelche Gefühle zu heucheln, die leider nicht da waren. Dann eilte ich aus dem Gebäude hinaus ins Freie, wo es bereits immer dunkler wurde. Genauso wie in mir drinnen. Denn auf der einen Seite musste ich einen Jungen enttäuschen, der einfach so vollkommen fantastisch und perfekt schien und mich sogar seltsamerweise auch noch zu meiner großen Verwunderung liebte. Und auf der anderen Seite war da eben Laurin. Laurin, der mich verfolgte, wohin ich auch ging, der meinen Tag gestern trotz plötzlichem Verschwinden zu etwas Besonderem gemacht hatte und der mir einfach etwas zu geben schien, nach dem ich schon lange gesucht hatte.

       KAPITEL 13 - Nein! Neeeein!

      In der Nacht kam der Regen und mit ihm auch wieder meine Tränen. Wie ein unaufhörlicher Strom flossen sie meine Wangen hinunter und durchnässten mein Kissen. Ihr salziger Geschmack brannte mir auf den Lippen und meine Nase war zu, sodass ich keine Luft mehr bekam. Ich wälzte mich immer wieder ruhelos hin und her und fragte mich selbst, was nur so schlimm sein konnte, dass ich mich aufführte, als sei meine ganze Familie auf einmal von einer unheilbaren Krankheit befallen. Doch genau so fühlte sich der Schmerz an, der in meiner Brust wütete. Brennend und unaufhaltsam. Ohne Aussicht auf Besserung. Denn die Person, die eine Linderung der Qualen vermocht hätte, war auch beim Abendessen nicht mehr aufgetaucht und schien kein Interesse daran zu haben, wie es mir damit überhaupt ging. Wie es aussah war ich Laurin wohl tatsächlich völlig gleichgültig. Aber ich konnte eh nichts daran ändern. Eine innere Unruhe breitete sich in mir aus. Einmal schwitzte ich furchtbar und wenn ich dann die Decke aus dem Bett geschmissen hatte, fror ich, als sei es plötzlich Winter geworden. Irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus. Ich fiel mehr oder weniger aus dem Bett und suchte im Dunkeln meine Klamotten zusammen. Nachdem ich mich fertig angezogen hatte, wobei ich mir meinen Pullover zweimal falsch herum überzog, taumelte ich zum Schrank und kramte beinahe automatisch die Feder daraus hervor. Sie glänzte zart und ich fühlte wieder dieses anziehende Pulsieren, das mich wie magisch anzog. Da entdeckte ich etwas Kleines, schon etwas Zerknittertes, halb unter einer Hose vergraben. Vorsichtig griff ich danach und mein eigenes Gesicht strahlte mir entgegen. Es war das Bild von Laurin und darauf die Einladung zu dem Treffen von gestern. Mir wurde für einen kurzen Augenblick warm ums Herz. Doch dann dachte ich an seine plötzliche Zurückweisung und meine Miene verfinsterte sich wieder. Nun bemerkte ich zu meiner großen Verwunderung, dass eine einzelne, glitzernde Träne auf dem Bild meine Wange hinunter tropfte und meine Augen glänzten, als würde ich im nächsten Moment gleich zu weinen beginnen. Das war doch das letzte mal noch nicht da gewesen! Was hatte das nur zu bedeuten?! Ehrfürchtig, aber auch leicht verunsichert, faltete ich das Papier zusammen und steckte es in meine Hosentasche. Ich fühlte mich gleich um einiges besser, wenn ich diese zwei Gegenstände bei mir trug, die auf mich so anziehend wirkten. Und beide schienen ein Geheimnis zu besitzen, das ich nicht verstand, genauso wenig wie Laurin selbst. Ich atmete noch einmal tief durch, straffte meine Schultern und ging aus meiner Tür in den Flur hinaus. Im Sonnenblumenhaus herrschte eine gespenstische Stille. Man konnte nur aus einigen Türen das gleichmäßige, ruhige Atmen der Schlafenden hören. Ich beneidete sie alle. Sie konnten ruhig hier ihre Ferien verbringen und mussten sich keine Gedanken über irgendwelche Engelsfedern, Bilder, die sich veränderten, Jungs, die etwas von einem wollten und für einen selbst nur wie ein Bruder waren und... Laurin machen. Laurin, der einfach so fantastisch, wunderschön, unbeschreiblich, bezaubernd und unglaublich war, doch sich auf der anderen Seite auch so vollkommen verwirrend, geheimnisvoll, unverschämt, abweisend und hasserfüllt benahm. Wie gerne ich in diesem Moment mit ihnen getauscht hätte! Ich schlich leise die Gänge entlang und gelangte an die Eingangstür. Draußen umfing mich die angenehme Kühle der Nachtluft und ich atmete befreit auf. Der Mond spendete sein fahles Licht und abertausende Sterne funkelten vom Himmel auf mich herab. Die Szene wirkte beinahe unwirklich. Es hatte etwas Magisches an sich. Ich schüttelte den Kopf. Zurzeit sah ich wohl überall etwas Magisches! Trotzdem war ich von dem Anblick wirklich überwältigt, da man in der Stadt solche Bilder normalerweise nicht bestaunen konnte. Ich trat nun ganz in die Nacht hinaus, lief über den Hof und folgte dem Weg, der aus dem Camp führte. Meine Laune stieg wieder ein klein wenig, als ich unter den ersten Eichen angelangt war. Mit einer Hand fuhr ich über den Stamm einer uralten, riesengroßen Eiche, die ihre majestätische Krone dem Mond entgegenstreckte. Die Rinde war rau und angenehm warm. Dieser Baum schien so voller Leben zu sein! Mehr Leben, als gerade in mir selbst steckte. Ich ließ mich kraftlos am Stamm hinunter gleiten und zog meine Füße eng an meinen Körper. Ich wusste nicht mehr, wie ich die nächsten Tage bloß überstehen sollte. Ein Windstoß fuhr durch die Blätter der Eichen und ließ sie flüstern. Ich atmete tief durch. Wie von selbst fasste ich die Feder an meinem Hals und hielt sie fest umklammert. Sie schien mir etwas Kraft zu geben, denn im nächsten Moment sprang ich erschrocken auf die Füße, als ich von irgendwo rechts von mir ein lautes Rascheln hörte. Schnell duckte ich mich hinter den breiten Stamm der alten Eiche neben mir. Die Geräusche schienen immer näher zu kommen. Ich begann plötzlich zu zittern und ein kalter Schauer durchlief mich. Am liebsten wäre ich einfach so schnell wie möglich davongerannt, doch dafür war es nun zu spät. Zwei Gestalten brachen aus dem Gebüsch hervor und blieben keine drei Meter von mir entfernt stehen. Ich hielt den Atem an. Irgendwie schienen mir diese Gestalten, die da etwas Unverständliches tuschelten, bekannt vorzukommen. Und vor allem die Rechte erregte meine Aufmerksamkeit. Sie standen mit dem Rücken zu mir, sodass