Ina Maria Teutsch

Schattenglanz


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getauft hatte. Sie führte mich in das Gebäude für die Mädchen hinein, das noch aus dem vorletzten Jahrhundert zu stammen schien. Der Boden der großen Eingangshalle war aus dunklem Eichenholz, das bei jedem Schritt bedrohlich knarrte. Die Wand und die Decke bestanden dagegen aus weißem Gips, der aber schon etwas braun geworden war und bröckelte. Na toll! Was wenn hier gleich das ganze Haus in sich zusammenbrach? Von der Decke hingen nackte Glühbirnen und an den Wänden Bilder von irgendwelchen nichtssagenden Farbklecksen, wie ich sie schon immer gehasst hatte. Es wurde eindeutig immer besser! Wir stiegen eine schmale Treppe hinauf, was sich mit meinem Koffer in der Hand zu einem echten Problem entwickelte. Warum gab es hier auch keine Aufzüge? Oben angekommen gingen wir ganz ans andere Ende des Ganges. Die Ausstattung glich exakt die der Eingangshalle. Natürlich hatte ich ausgerechnet das letzte Zimmer am hintersten Ende des Hauses erhalten müssen. War ja mal wieder typisch. Ich öffnete mit meinem Schlüssel die Tür und Frau Superfröhlich wuselte zu meiner großen Freude sofort weiter zu irgendeinem anderen bemitleidenswerten Opfer, das sie zu begrüßen hatte. Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und schaute mich in meinem Zimmer genauer um, das nun für sechs Wochen mein Zuhause sein sollte. Mein Zufluchtsort. Wenigstens hatte ich ein Einzelzimmer, was mich zumindest ein kleines bisschen beruhigte. Denn mit einem dieser Langweilermädchen in einem Zimmer zu schlafen, die freiwillig hier ihre Ferien verbrachten, wäre der sichere Untergang für mich gewesen. Das Zimmer erstrahlte in demselben braun-weiß, wie der Rest des Gebäudes und was mich an verfaulte Essensreste erinnerte. Es befanden sich ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, die aber recht instabil wirkten, ein winziger Schrank, bei dem ich mir jedoch nicht einmal sicher war, ob all meine Klamotten da überhaupt hineinpassten und das Bett auf dem ich gerade saß in meinem winzigen Zimmer. Nicht einmal ein eigenes Bad gab es hier, wie ich stöhnend feststellen musste. Na prima! Jetzt durfte ich auch noch das mit den anderen Langweilermädchen teilen. Wut packte mich und ich sprang wieder vom Bett auf. Was fiel meinen Eltern eigentlich ein mich hier in diesem Loch versauern zu lassen?! Am liebsten hätte ich auf irgendetwas eingeschlagen, aber es gab nichts außer meinem Koffer, dem ich aber niemals wehgetan hätte. Er hatte mich ja schließlich nicht hierher geschleppt. Unschlüssig ging ich auf das einzige Fenster im Raum zu, durch das die warmen Strahlen der Mittagssonne fielen. Ich hatte einen guten Blick auf den Hof vor dem Gebäude. Eichen schmückten die Hügel, die sich rings um das Camp ausbreiteten. Ich hatte alte Eichen schon immer gemocht. Sie hatten für mich etwas Magisches an sich, das mir gefiel und bei dem ich immer an Feen und Engel denken musste. Ich ließ meinen Blick weiter über den Hof schweifen. Ein Traktor fuhr gerade mit lautem Getöse die Einfahrt hinauf und mich wunderte es, dass er nicht gleich mit einem lauten Knall in all seine Einzelteile zerfiel. Er sah nämlich eher aus wie ein Schrotthaufen auf vier Rädern. Da erregte auf einmal eine kleine Bewegung auf der anderen Seite des Hofes meine Aufmerksamkeit. Eine Gruppe von drei Jungen und zwei Mädchen schlenderte lachend den Weg entlang, auf das Gebäude mit den zwei Türmen zu, die seltsam schief wirkten. Ich konnte ihre Gesichter nicht richtig erkennen, doch sie schienen sich schon zu kennen und mächtig zu amüsieren. Noch besser! Sie kannten sich hier also auch schon alle! Meine Stimmung sank noch weiter unter den Gefrierpunkt, wenn das überhaupt möglich war. In diesem Moment drehte sich auf einmal der Größte der drei Jungen zu mir um und es war, als würde er direkt zu mir nach oben blicken. Er hatte schwarzes, seidig glattes Haar, das ihm wie ein Vorhang vor die Augen fiel, sodass ich diese nicht genau erkennen konnte. Sein braungebranntes Gesicht war makellos und seine Lippen voll und leicht geschwungen. Wie gebannt blieb ich stehen und beobachtete fasziniert, wie sich sein Mund zu einem kleinen Lächeln verzog, das mein Herz einen Schlag aussetzen ließ. Aber vielleicht war das auch nur eine Täuschung des Lichts gewesen. Denn im nächsten Augenblick wandte er sich auch schon wieder ab und ich erwachte aus meiner Starre. Schnell sprang ich vom Fenster zurück, als hätte ich mich gerade verbrannt. Was war nur in mich gefahren? Ein seltsames Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus und verursachte mir Bauchschmerzen. Mir war leicht schwindelig und ich schwankte. Wurde ich krank? Bitte nicht auch noch das! Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich nun schnellstens auf den Weg in diese Aula machen sollte, wenn ich nicht schon bei unserem ersten Treffen zu spät kommen wollte. So packte ich den Plan, den ich auf den Tisch gelegt hatte, wie einen Rettungsanker und eilte immer noch leicht schwankend nach draußen.

       KAPITEL 3 - Die Versammlung

      Draußen auf dem Hof empfing mich die Schwüle der Mittagshitze. Die Sonne brannte vom Himmel herab und es hatte schon lange keinen Tropfen Wasser mehr geregnet. Die Erde zeigte an vielen Stellen bereits Risse und mir taten die Pflanzen leid, die neben unserem Haus in Blumenkästen standen. Traurig ließen sie ihre Köpfe hängen und sahen damit genau so aus, wie ich mich fühlte. Ich studierte den Plan in meiner Hand genauer und fand die Aula schließlich in dem Gebäude mit den zwei schiefen Türmen, in dem auch die Gruppe mit den zwei Mädchen und den drei Jungen verschwunden war. Das Haus machte auf mich von außen nicht gerade einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Die Türme schienen jeden Moment unter ihrem Gewicht einknicken zu können und erinnerten mich an den schiefen Turm von Pisa, nur im Doppelpack. Es war das mit Abstand größte Gebäude von allen und als einziges nicht weiß, sondern in einem seltsamen rosa gestrichen, das mich an zu lange gekauten Kaugummi erinnerte. Die Fenster waren mit gelben Rollläden versehen, was so gar nicht zu dem Kaugummirosa passte. Wer auch immer diese Häuser entworfen hatte, musste entweder farbenblind oder völlig geschmacksverirrt gewesen sein. Plötzlich tippte mir von hinten jemand auf die Schulter und ließ mich erschrocken herumfahren. Ein großes Mädchen mit Wasserstoffblonden Haaren und einer Zahnspange grinste mir freundlich entgegen. Sie trug Hotpants und ein T-Shirt, das ihren Bauchnabelpiercing zeigte. Ihre braunen Augen strahlten mich dabei neugierig an. Sie hatte eine wirkliche Traumfigur und so wie sie aussah, bekam sie jeden Jungen, den sie nur haben wollte. Da änderte auch die Zahnspange nichts an dem fantastischen Gesamtbild. Es war eines dieser Mädchen, die ich in unserer Schule normalerweise nicht einmal angesprochen hätte. Sie war mindestens 1, 80 m groß und überragte mich um einen halben Kopf. "Hallo! Du musst neu hier sein. Ich habe dich noch nie bei uns gesehen. Ich bin Franziska. Wenn du willst zeige ich dir nachher alles, was du wissen musst. Es kommt nicht sehr oft vor, dass sich neue Leute in dieses Camp hier verirren. Die Meisten kennt man schon, alte Bekannte", lachte sie. Ja das hatte ich schon bemerkt. Misstrauisch musterte ich Franziska genauer. Auf den ersten Blick schien sie ja ganz nett zu sein, aber man wusste nie. Wer freiwillig in dieses Camp ging und das jedes Jahr aufs Neue, musste schon einen kleinen Schaden haben. Aber da ich hier noch niemand anderen kannte und damit die Außenseiterin zu sein schien, würde ich mich nun erst einmal an sie halten. "Hi! Ich bin Larissa. Schön dich kennenzulernen. Ja klar gerne. Würde mich freuen, wenn du mir alles zeigst, was ich hier zum Überleben brauche", stellte ich mich schnell vor. Franziska brach in schallendes Gelächter aus und strich ihre langen Haare zurück: "Da scheint mir aber jemand keine allzu große Lust auf das Camp Sonnenschein zu haben. Sieht so aus, als hätten dich deine Eltern wohl ohne Mitspracherecht hierher verfrachtet, was?" Ich nickte bestätigend, was Franziska mit einem bedauernden Gesichtsausdruck kommentierte: "Du wirst sehen, dass es hier nur halb so schlimm ist, wie du es dir vorstellst. Keine Angst wir beißen nicht. Die Meisten sind richtig nett und wenn du dich an die Regeln hältst, wird es dir auch bald gefallen.. Apropos Regeln. Wir sollten uns schnell in die Aula begeben, wenn du nicht gleich an deinem ersten Tag Stalldienst haben willst." Ich zweifelte ihre Worte, dass es mir hier irgendwann sogar gefallen würde, zwar an, folgte ihr aber kommentarlos in das Schiefe-Turm-von-Pisa-Haus hinein. Drinnen umfing uns eine dunkle Kälte, die mich frösteln ließ. Nach der Hitze von draußen, war es hier drinnen wie in einem Gefrierschrank. Skeptisch blickte ich mich in der Eingangshalle um, die im Vergleich zum Rest des Hauses noch ziemlich neu zu sein schien. Hier gab es sogar richtige Lampen und Landschaftsbilder, wie ich sie liebte. Wir bogen gleich rechts in eine Flügeltür ein, auf der in orangenen Buchstaben, mit der Schrift eines Drittklässlers, "Aula Anemonenhaus" geschrieben stand. Der Raum dahinter war bis an den Rand mit Stühlen vollgestopft und von Stimmengewirr erfüllt. Mindestens achtzig Jugendliche mussten sich hier drinnen befinden. Sie standen in Gruppen beisammen und unterhielten sich munter. Jetzt war ich doch ziemlich froh Franziska bei mir zu haben, weil ich ohne sie nicht gewusst hätte, wo ich mich überhaupt hinstellen sollte. So folgte ich ihr ans andere Ende der Aula, wo sich zwei Mädchen und zwei Jungen gerade über etwas sehr zu amüsieren schienen. Als Franziska bei ihnen angelangt war, entbrannte