Conny Walker

Jesse


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seiner Tochter rumschnüffelten.

      „Mr. Carson“, fing Agent Donaldson an, als sie Edward in der Tür entdeckte. „Was ist das für ein Gerät?“ Die Agentin zeigte auf einen Apparat auf dem Nachttisch von Jesses Bett.

      „Das ist Jesses Pari Boy, ein Inhalationsgerät. Meine Tochter leidet an Asthma. Sie muss daher regelmäßig Medikamente einnehmen.“ Donaldson warf Edward verdutze Blicke zu.

      „Warum haben Sie uns das nicht längst erzählt?!“ Edward blieb relativ gelassen.

      „Jesse trägt ihre Notfallmedizin um den Hals. Amy hatte ihr eine Kette dran gemacht, weil sie den Inhalator permanent irgendwo hat liegen lassen.“

      Edward war insgeheim froh über Amys Idee mit der Kette. Oft genug hatte er mitbekommen, wie Jesse einen Asthmaanfall hatte und ihr Inhalator nicht zur Hand war. Zweimal hatte sie ihn sogar am Freitag in der Schultoilette vergessen, dann musste er seine Tochter am Wochenende in die Notaufnahme bringen.

      ++DeWald++

      10:15Uhr

      DeWald hatte sich in sein Büro zurückgezogen. Frank Wilson und seine Truppe hatten alles im Begriff, alles an sich gerissen. DeWald fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen.

      Die Haus-zu-Haus Befragung in der Nachbarschaft der Paciellos hatte nichts ergeben, entweder waren die Leute in der Zeit nicht zu Hause, oder sie hatten nichts bemerkt. Niemand hatte Jesse an dem Nachmittag gesehen. Weder Jesse, noch Jerry, noch Mrs. Paciello. Noch immer war ungewiss, ob Jesse überhaupt bei den Paciellos angekommen war oder nicht. Somit war auch der Zeitpunkt ihres Verschwindens nicht sicher. Sie konnte auf dem Weg zum Paciello Haus bereits verschwunden sein, oder auf dem Weg von ihrem Schulfreund nach Hause. Die Paciellos selbst waren auch noch nicht entlastet. Es war sehr verdächtig, dass Andrea und ihr Sohn nirgends zu finden waren.

      Es klopfte an die Tür. Officer Cochran betrat das Zimmer. „Serge, die Agents Hoffman und Riggs haben interessante Neuigkeiten, außerdem sind die Beamten aus der Schule zurück.“

      „Ich komme gleich.“ Cochran verschwand wieder. DeWald folgte ihr kurz darauf. Die Agents hatten sich an der rollbaren Tafel aufgestellt, warteten, bis alle aufmerksam zuhörten.

      „Riggs und ich haben bei der Überprüfung der Paciellos und der Carsons einiges Interessantes herausgefunden. Edward Carson, geboren und aufgewachsen in Buffalo, heiratete nach seinem Studium der Theologie seine große Liebe Amy Parker. Gemeinsam bekamen sie dann drei Kinder: Malcolm, Linda und Steven. Jesse kam erst vor drei Jahren zu den Carsons, vorher lebte das Mädchen in New York bei ihrer Mutter Fiona Grey und deren Ehemann Robert. Fiona und Jesse wurden jahrelang von Robert misshandelt, emotional wie physisch. Im März vor drei Jahren hatte Grey seine Frau erneut verprügelt und sie dabei getötet. Als Jesse kurz darauf von der Schule nach Hause kam, fand sie ihre tote Mutter am Boden liegend vor.“

      Wilson stoppte kurz die Ausführung, wandte sich mit einer Frage an DeWald.

      „Wussten Sie das? Wussten Sie, dass das Mädchen erst seit kurzen hier lebte?“

      „Ja, das wusste ich.“

      „Und daran gedacht, uns davon zu erzählen, dass das Mädchen vorher woanders gelebt hatte, haben sie nicht, oder wollten sie uns das verschweigen.“ DeWald merkte, dass Agent Wilson säuerlich angehaucht war.

      „Erstens hielt ich das nicht für relevant, da das mit dem Verschwinden des Mädchens nichts zu tun hat. Zweitens gefällt mir ihr Ton nicht, Agent Wilson.“ Die Männer warfen sich scharfe Blicke zu. Agent Donaldson ging dazwischen. Riggs fuhr fort, auch um die Situation zu entschärfen.

      „Fiona Grey hatte in ihrem Testament festgelegt, dass ihre Tochter bei ihrem leiblichen Vater leben sollte, Reverend Edward Carson.“

      Wieder erntete DeWald vorwurfsvolle Blicke von den Agents. DeWald entschied sich dafür dem FBI noch mehr zu verraten. Bei der Ankunft von Jesse in Bakersfield, beziehungsweise als der Reverend ihm von dem Testament erzählt hatte, da hatte DeWald dieselben Fragen, wie die Agents nun. Hatte Carson eine Affäre mit Fiona Grey? Wusste Mrs. Carson davon?

      Die Sachlage war völlig anders. Fionas Mann, ihr erster Ehemann, hatte Monate vor Jesses Geburt einen schweren Unfall, wurde dabei zeugungsunfähig. Die beiden wollten aber unbedingt noch eine Tochter. Nach langen und ewigen Diskussionen hatten sie sich letztendlich für eine Samenspende entschieden. Ein Fremder sollte der biologische Vater des Mädchens sein. Fiona wurde schließlich schwanger und Jesse kam auf die Welt. Fiona stellte Nachforschungen an, um den Namen des leiblichen Vaters herauszufinden, ihr Mann half ihr dabei. Edward hatte DeWald dann erzählt, Fiona hätte sich mit ihm in Verbindung gesetzt, damit er von seiner zweiten Tochter wusste.

      „Ich hab mir die Finanzen der Carson vorgenommen“, Riggs fuhr mit seiner Ausführung fort. „Jeden Monat erhält Carson an die zweihundert Dollar von der Stadt New York und fünftausend Dollar von einem Konto in der Schweiz. Ersteres ist die Halbwaisenrente von Jesse. Bei den Überweisungen aus der Schweiz bin ich noch dran, den Namen des Kontoinhabers herauszufinden. Hoffman und ich haben allerdings einen Verdacht.“ Hoffmann übernahm das Wort.

      „Da Jesse bekanntlich erst vor drei Jahren nach Bakersfield kam und in New York einen anderen Mann als Vater hatte, hieß sie nicht immer Carson. Ihr eigentlicher Name lautet – und jetzt haltet euch fest – Gordini!“

      „Doch nicht etwa wie Luigi Gordini?!“ Hoffman nickte seiner Kollegin zu.

      „Das bedeutet, das verschwundene Mädchen ist die Tochter eines der größten Mafia Bosse der Ostküste“, schlussfolgerte Donaldson. Hoffman setzte seinen Bericht fort, nachdem sich das Raunen, welches durch die Runden ging wieder legte.

      „Kommen wir zu den Paciellos. Die Beiden zogen vor zwei Jahren aus New York hierher. Kauften sich das kleine Haus und änderten ihre Namen. Wahrscheinlich um nicht aufzufallen. Andrea Paciello ist nämlich seit fünf Jahren verheiratet mit Salvatore Castellano, ebenfalls ein Mitglied der La Cosa Nostra.“

      „Das überrascht mich jetzt nicht mehr“, begann Wilson. „Jesse Gordini und Jeremy Castellano, die beiden sind also die Königskinder -“, Wilson machte beim letzten Wort mit den Händen Gänsefüßchen in die Luft. „- der Mafia in New York. Und damit dürfte dann auch geklärt sein, von wem Edward Carson monatlich die fünftausend Dollar erhält – wahrscheinlich eine Art Taschengeld für seine Tochter.“

      „Allerdings können wir die Paciellos, oder eigentlich die Castellanos, von der Liste der Verdächtigen streichen.“ Riggs macht eine kurze Pause, um die Spannung zu steigern. „Laut Telefonverbindungsnachweis, erhielt Andrea in der Nacht vor dem Verschwinden von Jesse Carson einen Anruf aus Palermo.“

      „Aus einem Krankenhaus“, ergänzte Hoffman.

      „Der Anruf dauerte acht Minuten, danach telefonierte sie mit einem Taxiunternehmen und kaufte mit ihrer Kreditkarte zwei Flugtickets für die nächste Maschine nach Italien.“

      „Wir haben daraufhin beim Flughafen nachgefragt, Andrea und ihr Sohn stiegen um acht Uhr morgens ins Flugzeug.“ DeWald wusste, was dies zu bedeuten hatte. Die Paciellos beziehungsweise die Castellanos waren demnach tausende Meter über dem Erdboden, als Jesse Carson verschwand, ein wirklich gutes Alibi.

      „Das heißt für uns, wir können die Paciellos von der Liste der Verdächtigen streichen“, wiederholte Wilson. „Was ist mit Gordini?“

      „Der ist bereits seit zwei Wochen in Palermo, das ist bewiesen, den können wir ebenfalls auch streichen.“

      DeWald schritt vor zur Tafel. Sie mussten jetzt komplett neu ansetzen. Es bestand kein Zweifel mehr, dass Jesse entführt worden war. Von Jemanden, den sie noch nicht kannten. Ein weiterer großer Nachteil war es, der Täter hatte einen enormen Vorsprung. Da die Paciellos überhaupt nicht in der Stadt waren, konnte Jesse nach der Schule gar nicht bei ihnen