Marc Dorpema

Jenseits der Augenlider


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seiner Kammer auf und trat ein. Niedergeschlagen ließ er sich auf sein schmales aber gemütliches Bettchen im Stile Antárs nieder. Ein geschmackvoll verziertes Birkenholzkästchen stand auf dem sonst beinahe leeren Tisch. Lediglich eine Karaffe mit klarem Wasser, ein Glas und ein Stück Pergament mit Feder beschwerten ihn zusätzlich. Der Tisch stand vor dem einzigen Fenster des Raumes.

      Waldoran hatte einen Brief an Saliana begonnen, doch sein Geist sträubte sich davor, ihn zu vollenden. Die erschütternde Nachricht über seinen einstigen Freund lenkte ihn zu stark ab.

      Eigentlich hasste er die Zwerge nicht. Er verstand nicht, weshalb er in diesem Augenblick an seine Gastgeber dachte, doch irgendetwas lenkte seine Gedanken auf sie. Die Zwerge hatten ihm sogar eigens ein Waldbett aus Antár in seine Kammer transportiert. Ein gerissener Kniff Toraburs, welchen Waldoran zu schätzen wusste.

      Er legte seinen herbstfarbenen Jagdbogen und seine sonstigen Waffen ab, entledigte sich seiner Kleidung und begab sich in sein komfortables Bett. Morgen würde er Saliana einen Brief schreiben, das schwor sich der Elf.

      Er stellte sich vor, wie sie gemeinsam auf einer Baumkrone in ihrer Heimat saßen. Ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, dem fernen Abendrot zusahen, wie es zögernd verschwand. Bis die etwa kirschkerngroße Scheibe pulsierender, rot-orangener Farbe hinter dem Rand Santúrs verrauchte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und diesen Gedanken vor seinem inneren Auge, schlief er wenig später ein.

      IV

      Gellend sang der Stahl der Schwerter sein klagendes Lied, als Dante zu einem Hieb ansetzte, der mit Leichtigkeit pariert wurde. Verflucht! Gegen seinen Lehrmeister gelang es ihm nie, einen Treffer zu landen, obwohl er zweifelsohne der talentierteste Schüler war. Doch kein Mensch konnte es mit einem Elfen aufnehmen.

      Seit dem letzten Trollkrieg vor beinahe zweihundert Zyklen, hatten Elfen einige ihrer Krieger zu den Städten der Menschen entsandt, um sie in der Kunst des Krieges zu unterrichten. Dante empfand das als erniedrigend, ebenso wie seine Eltern. Vor allem sein Vater hatte die neuen Gesetze und Regelungen verabscheut. Wir können uns nicht einmal mehr selber auf den Krieg vorbereiten. Wie sollen wir jemals ein eigenständiges Volk werden? Die Elfen meinten, sie wären Götter. Mit ihrer großtuerischen Art ließen sie es einen jedenfalls vermuten.

      Mit den Zwergen hingegen kamen die Menschen hervorragend zurecht. Sie tranken wie Fässer, machten obszöne Späße und versprühten stets eine phantastische Stimmung. Außerdem ließen sie bisweilen zu, dass man sie erwischte. Die Elfen wichen jedem Hieb elegant aus. Nie verzog Solúnis sein Gesicht. Dante fragte sich, ob der hochgewachsene, schlanke Elf unter den Seinen ein ebenso herausragender Fechter war, oder ob sie ihn bloß nach Neustein geschickt hatten, um ihre wichtigsten Krieger zu schonen; oder als Strafe.

      „Du musst die Geschwindigkeit deiner Schläge steigern, sonst wirst du nie einen herausragenden Fechter abgeben.“ Solúnis war nicht anzumerken, ob es ihn interessierte, wie sich Dantes Leistungen in Wirklichkeit entwickelten. Trotzdem erfüllte das Fechten den jungen Menschenkrieger mit Stolz. Er hatte alle in seinem Alter hinter sich gelassen; hatte erst sechzehn Sommer gesehen und gehörte somit zu den jüngeren Lehrlingen des arroganten Elfen. Sein Vater hatte ihm früher häufig erzählt, wie leicht es sei, alt zu werden; wie hinterlistig die Winter sich an einem vorbeischlichen.

      Wehmütig starrte Dante ins Nichts. Sein Vater war vor einem Sommer gestorben. Eine unbekannte Krankheit hatte ihn von innen heraus zerfressen.

      „Dante. Sieh zu, wenn ich dir etwas erkläre.“ Solúnis' schneidende Stimme riss ihn harsch aus seinen Erinnerungen. Wütend funkelte Dante den Elfen an, doch dieser hatte lediglich abschätzende Blicke für ihn übrig.

      „Reiß dich zusammen, Dante. Ich möchte nicht, dass du dir im Kampf gegen einen Ork den Kopf abschlagen lässt. Das wäre schließlich eine Beleidigung meiner Kunst als Lehrer.“

      Dass Solúnis diese Worte mit ein wenig Barmherzigkeit über die Lippen glitten, überraschte Dante für einen Augenblick, bevor er sich schalt, nicht auf die Tricks der Elfen hereinzufallen.

      Die zwei kräftigen Arme spannten sich. Dante fand, dass er eine beachtliche Figur besaß. Exzellent beschaffen war er, hoch gewachsen, doch kein Riese. Seine Augen leuchteten in einem warmen Braun. Er besaß jedoch etwas zu schmale Lippen. Mittellanges, braunes Haar hing dem jungen Krieger in Strähnen von seinem Skalp in die Augen. Er schob seinen Unterkiefer ein wenig nach vorne, um sich der störenden Haare durch kräftiges Pusten zu entledigen. Abschneiden konnte er sie auf keinen Fall. Sie waren ein Zeichen seiner Männlichkeit. Als folgenden Gegner hatte Solúnis Loriel auserwählt. Ein schwächlicher, zahmer Junge mit sonnengebräuntem Gesicht. Runde, blaue Kulleraugen und volle Lippen verliehen ihm einen gewissen Charme. Dante wusste, dass Loriel ausgezeichnet bei den Mädchen ankam. Zuweilen beneidete Dante ihn für diesen unfairen Vorteil, doch dafür besaß Loriel keine Begabung mit der Klinge.

      Die Sonne stach Dante unbarmherzig in die Augen. Er befand sich auf der falschen Seite des Kreises, in dem sie den Schaukampf austragen sollten. Wenn das Zeichen zum Angriff erklang, musste er versuchen, seinen Gegner auf diese nachteilige Seite zu drängen, oder zumindest einen der hohen Burgtürme in den Weg der Sonne zu schieben. Im windgeschützten Innenhof, in welchem der Unterricht täglich stattfand, gab es einige dieser Türme; Überbleibsel aus dem Krieg mit den Trollen. Nun stand ein weiterer Krieg vor den östlichen Toren.

      Es begann. Sie umkreisten sich pirschend, wie zwei Raubtiere bereit zum Sprung. Loriel stach als Erster zu. Sein Rapier verfehlte Dante äußerst knapp, als dieser dem vorhersehbaren Stoß auswich. Geschickt konterte er mit einem Hagel aus rapiden Stichen auf diverse Körperteile. Loriel konnte sich glücklich schätzen, dass sie nur mit Holzschwertern übten, sonst wäre er nun, innerhalb weniger Herzschläge, durchlöchert worden. Dante grinste. Die Anderen waren keine Herausforderung mehr für ihn. Alle waren ihm unterlegen.

      „Der Kampf ist entschieden.“ Solúnis musste Stolz auf Dante sein. Eines Tages, das schwor sich Dante, würde er den Elfen besiegen.

      „Die heutige Stunde ist beendet, ihr dürft euch zurückziehen.“ begann der Elf mit bedächtiger, beinahe neugieriger Stimme. „Außer du, Dante. Ich habe Nachrichten für dich.“

      Verwundert blickte Dante sich um. Er war versucht zu gehen, doch fiel ihm kein sinnvoller Grund dazu ein. Womöglich wollte sein Lehrmeister ihn bloß loben. Eins wusste er allerdings. Dass Solúnis bislang noch Niemanden zurückgehalten hatte. Es musste von ungeheurer Bedeutung sein und er würde sich dem stellen müssen. Was immer es sein mochte.

      V

      „Haltet ihn! Haltet den Dieb.“ schrie eine schrille Stimme hinter ihm. Die Beute entfernte sich in einem rasenden Tempo von ihrem früheren Besitzer. Grinsend blickte der Träger sich um. Dieser fette, alte Wirt würde sein Gold nie wieder in die Finger bekommen.

      Nachdem Lannus in dem Gewirr aus Gassen untertauchte, erlaubte er sich eine flüchtige Pause, um wieder zu Atem zu kommen. Er erhaschte einen ersten Blick in den Beutel, den er soeben glanzvoll ergattert hatte. Solch eine Menge Gold. Er konnte sich Waffen der legendären, zwergischen Schmiede kaufen, oder in eines der Hurenhäuser Mentéls einziehen. Oder er konnte es sparen. Nein, Letzteres eher nicht, doch die ersten beiden Optionen klangen äußerst verlockend.

      Nun sollte er sich allerdings schleunigst aus dem Staub machen, sonst könnten seine himmlischen Träume binnen Sekunden dem feuchten, eisigen Dreck einer Zelle weichen.

      Raschen Schrittes huschte Lannus durch die schmalen Gassen. Nach einigen Wendungen, gelangte er auf den öffentlichen Marktplatz mit einer Vielzahl kleiner und großer Stände, welche allerlei bunte Waren ausstellten. In der Menge befand er sich vorerst in Sicherheit. Seine Augen erspähten unzählige, exotische Schätze, seine Nase sog sich mit dem Duft ferner Orte voll. Trotz all der fremden Köstlichkeiten entschied sich Lannus für einen saftigen, roten Apfel in welchen er genüsslich hineinbiss. Endlich hatte der Hunger ein Ende; endlich besaß er Gold. Über die sich dadurch ergebenden Möglichkeiten musste er sich später den Kopf zerbrechen, denn vorerst sollte er ein