Frank Bartels

Raniten in der Furt


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      »Seid Ihr sicher, dass er derjenige ist, der Euch beistehen wird?«, fragte der Wicht, warf die andere Brötchenhälfte in die Höhe und schnappte danach im Fluge wie ein Hund, dem ein Leckerbissen zugeworfen wurde.

      »Er ist der Einzige, der gekommen ist. «, erwiderte das Mädchen.

      »Ich verstehe überhaupt nichts«, fuhr Alexander dazwischen. »Kann mir mal jemand erklären, wovon ihr redet.«

      »Neugierig, der Bengel«, zischte der Brötchenmeister. »Hat weder Manieren noch Ahnung, was?«

      Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Es war noch keine Zeit. Er ist doch gerade erst angekommen.«

      »Woher kommt er?«

      »Das weiß ich nicht. Er war auf der Lichtung, wie die anderen.«

      Der Junge folgte dem Dialog der Fremden, indem er seinen Kopf von links nach rechts drehte, als würde er einem langsam geschlagenen Ball eines Tennisspieles folgen. »Hallo, vielleicht redet ja mal jemand mit mir. Welche anderen und was geht hier vor?«

      Sie beachteten ihn nicht.

      »Ihr wisst, was zu tun ist«, sagte der Wicht. »Wäre ich nur hundert Jahre jünger, würde ich Euch an seiner statt begleiten.«

      Das Mädchen nickte. »Ist schon recht. Wir werden Euch nicht enttäuschen. Ich weiß, was zu tun ist.« Sie blickte zu Alexander. »Er sieht doch ganz kräftig aus. Hätte schlimmer kommen können.«

      Der Brötchenmeister schaute den Jungen an und schien zu schmunzeln. »Wie Ihr meint. Doch nun genug der Worte. Genießt die Backwaren solange sie noch warm sind. Er wird noch mehr machen, wenn es Euch beliebt. So viel zu tun, so viel zu tun«, näselte er und verschwand mit kurzen, schnellen Schritten ebenso plötzlich, wie er gekommen war.

      Alexander schaute sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass er wirklich fort war, beugte sich etwas vor und fragte leise: »Eigenartiger Kauz. Ich habe nicht ein Wort verstanden. Wovon habt ihr gesprochen?«

      Lilu lächelte nur. Alexander beugte sich noch ein wenig tiefer und tuschelte: »Ist das ein Gnom? Oder ein Kobold?«

      »Er ist ein Gnom. Kobolde leben nicht in den Wäldern«, antwortete sie, als ob die Existenz von Kobolden und Gnomen nichts Besonderes sei. »Aber er wird nicht gerne so genannt. Du musst wissen, dass Gnom weniger klein als vielmehr verschlagen und böse bedeutet.«

      Doch wenn der Brötchenmeister ein Gnom war, gab es sicher auch noch andere Wesen, schlussfolgerte Alexander. Er war zu Recht aufgeregt. »Gibt es hier auch Riesen und Zwerge oder Hexen und Zauberer? Und was ist mit Feen und Drachen und Einhörnern?«

      »Einiges gibt es, einiges nicht«, antwortete Lilu fast beiläufig. »Das ist vor allem Ansichtssache.«

      »Wie?«

      »Der Brötchenmeister mag für dich ein Wicht sein und in seinen Augen bist du nicht weniger als ein Riese. Und mit Zauberei werden häufig Dinge benannt, die die einfachen Leute nicht verstehen.«

      »Hm.« Das musste Alexander sich erst einmal durch den Kopf gehen lassen. Sie genossen das reichhaltige Frühstück, zu dem auch warmer Kräutertee gereicht wurde und sprachen nicht viel.

       Fleißige Heberlinge

      Weitere zwei Male erschien der Brötchenmeister und lieferte leckeren Nachschub, bis Lilu und Alexander sich mit vollen Bäuchen ins Gras legten und ihm zu verstehen gaben, dass es zwar sehr lecker, aber fürs Erste genug sei. Der Brötchenmeister war zwar stets um Höflichkeit bemüht aber kein besonders guter Gesellschafter und so bedauerte niemand, dass er sich verabschiedete. Seine Gegenwart war nicht weniger als gewöhnungsbedürftig.

      Sie lagen eine Weile im Gras, genossen die Ruhe und ihre Mägen machten sich daran, die Nahrung zu verarbeiten.

      »Mir ist nicht ganz klar, was gerade mit mir passiert«, begann Alexander und starrte in den blauen Himmel. »Ich kann mich an gar nichts erinnern. Ich weiß nur, dass ich hier nicht hergehöre. Außerdem habe ich das dringende Bedürfnis mich zu waschen.«

      »Und wo gehörst du hin?«

      »Hörst du mir nicht zu? Das weiß ich ja gerade nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich auf die Lichtung gekommen bin.«

      »Was ist das Letzte, an das du dich erinnern kannst?«

      Der Junge atmete tief aus, was zweifellos zu bedeuten hatte, dass er tatsächlich unwissend war.

      »An deinen Namen kannst du dich erinnern«, resümierte das Mädchen. »Alexander - das ist doch dein Name, oder?«

      »Ja, ich glaube schon.«

      »Du glaubst?«

      »Der ist mir einfach so eingefallen, also wird es wohl mein Name sein.«

      »Also, wenn man es genau nimmt, könntest du tatsächlich Kasper heißen.«

      Alexander lächelte. »Auf keinen Fall Kasper. Auch nicht Wolfgang. Wer heißt schon Wolfgang?! Nur alte Männer heißen Wolfgang.« Er dachte kurz daran, dass selbst alte Männer einmal kleine Jungs gewesen sein müssen, fand diesen Gedanken aber doch zu absurd und schüttelte den Kopf: »Nein, ich hätte mir auf jeden Fall einen anderen Namen überlegt. So viel ist mal sicher.«

      Sie schwiegen eine Weile und starrten in die Wolken, bis Alexander fragte: »Und nun?«

      »Nichts nun. Ich vermute, früher oder später wird dir alles wieder einfallen. Spätestens wenn der Dreck von dir abgefallen ist.«

      »Und du bist sicher, dass das alles nicht nur ein Traum ist?«

      »Dann müssten wir ja beide träumen. Aber wenn du darauf bestehst, kann ich dich ja kneifen.«

      »Nee, lass mal. Das habe ich schon probiert. Hat nichts geholfen.«

      »Vielleicht hat dich jemand in dem Wald … ausgesetzt.«

      »Wer sollte mich denn im Wald aussetzen? Außerdem müsste ich mich daran doch erinnern können.«

      »Meistens sind es die Eltern, die sowas machen. Vielleicht haben sie dir auf den Kopf geschlagen und dann hast du dein Gedächtnis verloren. Das soll es schon gegeben haben.«

      »Meine Eltern?«

      »Du hast doch Eltern, oder?«

      »Was für eine Frage?! Jeder hat ja wohl Eltern.« Alexander tastete über seinen Kopf. »Keine Beule … nicht einmal eine Schramme. Nur Erde. Und wieso sollten sie mir auf den Kopf hauen?«

      »Das weiß ich doch nicht – ich war ja nicht dabei. Doch so könnte es gewesen sein.«

      »Wohl kaum.«

      Das Rätselraten lieferte dem Jungen keine Antworten und so hoffte er inständig, dass er bald aufwachen würde. Allerdings war ihm dieses Mädchen immer noch suspekt und nun bot sie ihm zweifelhafte Erklärungen. Er vermutete aber, dass sie mehr wusste als sie zugab.

      Die Wolken huschten eilig über den Himmel und die Bienen summten um die Kelche der Blüten, immer auf der Suche nach dem köstlichen Nektar, als aus der Ferne ein leiser Gesang zu vernehmen war. Zuerst dachte Alexander vom Rauschen der Blätter im Wind getäuscht worden zu sein, doch der Gesang kam eindeutig näher.

      Der Junge erhob sich und schaute in die Richtung, aus der er die Stimmen vermutete, neugierig, was er wohl diesmal für Gestalten zu Gesicht bekommen würde. Der Brötchenmeister war bereits absonderlich und auch dieses Mädchen schien ihm nicht ganz normal zu sein. Alexander spürte im tiefsten Inneren jedoch, dass er zu dieser Zeit oder an diesem Ort der Fremde war. Es war nur ein Gefühl, das ihn ergriffen hatte aber dieses Gefühl nahm ganz und gar Besitz von ihm. Der Gesang wurde deutlicher und mit ihm erschienen sieben kleine, pelzige Tierchen; nicht viel größer als Frettchen oder Wiesel. Sechs marschierten im Gänsemarsch auf ihren Hinterpfoten und eines schritt vorweg. Auch sie trugen - ähnlich wie