Anna Rawe

Die Hexenkönigin


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wie Monster im Tageslicht aussehen."

      "Danke." Der Schatten eines Lächelns huschte über meine Lippen, während ich aufstand. Gladys nahm mir den leeren Becher ab, bevor sie mich zur Tür begleitete. Auf der Schwelle legte sie mir eine Hand auf die Schulter. Die Wärme ihrer Magie umhüllte mich wie eine sanfte Umarmung.

      "Deine Familie wäre unglaublich stolz auf dich."

      Stunden später saß ich ausgelaugt und mit schmerzenden Muskeln am Fluss. Das Training war mir heute leichter gefallen als sonst – zu wissen, was auf dem Spiel stand, hatte mich dazu getrieben, alles zu geben. Jetzt kehrte zum ersten Mal Ruhe ein und ich griff nach dem Buch, das Gladys mir heute Morgen geschenkt hatte. Vorsichtig blätterte ich durch die ersten Seiten. Allesamt enthielten sie Zeichnungen von Schatten und den Objekten, die sie verursachten. Monster im Tageslicht ...

      "Hey." Ich zuckte zusammen, als Conans Stimme die Stille teilte. Die Sonne war fast untergegangen und erst jetzt fiel mir auf, wie sehr ich mich anstrengen musste, um die Zeichnungen zu erkennen.

      "Was hast du da?" Er deutete auf das Buch. Wortlos reichte ich es ihm. Conan musterte zuerst mich und dann das Buch, bevor er begann, darin zu blättern. Mit einem Mal war das sanfte Plätschern des Flusses das einzige Geräusch in der Stille des Abends. Erschöpft lehnte ich mich zurück, bis mein Kopf auf der Wiese lag und ich die schmalen Blätter der Weide über unseren Köpfen betrachtete.

      "Das hier erinnert mich an unsere ersten Begegnungen", murmelte ich irgendwann. "Gott, es fühlt sich an, als wären diese Träume eine Ewigkeit her."

      "Ich weiß." Conan hatte mir das Buch zurückgegeben und starrte seitdem aufs Wasser. "Es ist so viel passiert seitdem."

      Wir verfielen in Schweigen, während ich an unsere Ankunft hier im Dorf zurückdachte. Wir waren kaum zwischen den letzten Stämmen hindurchgetreten, als die Hexen uns umstellt hatten.

      "Wir müssen ausgesehen haben wie Wilde", bemerkte Conan, dessen Fähigkeiten im Gedankenhören meinen ganz offenbar um Weiten überlegen waren.

      Ich schmunzelte. "Wenn Calideya nicht prophezeit hätte, dass wir kommen, hätten sie uns sicherlich eine gehörige Abreibung verpasst."

      Conan entgegnete nichts und ich begann, die Blätter an dem Ast über mir zu zählen.

      "Glaubst du, das alles wird irgendwann ein Ende haben?", murmelte ich leise. "Glaubst du, wir sind stark genug?"

      Für einen Moment dachte ich bereits, Conan würde nicht reagieren, doch schließlich drehte er sich zu mir.

      "Natürlich werden wir es schaffen", sagte er und sein Lächeln brach mir fast das Herz. "Welche Wahl haben wir sonst?"

      Ich zögerte.

      "Was, wenn wir nicht bereit sind?", setzte ich schließlich die Zweifel frei, die mich schon seit Wochen plagten. "Wenn wir zu langsam lernen, wenn sie stärker ist... Wir haben ja nicht einmal einen richtigen Plan."

      "Dann werden wir uns einen zurechtlegen." Conans Glaube schien unerschütterlich. "Bisher hast du noch alles geschafft, was du für unmöglich gehalten hast, oder?"

      Ich schnaubte. "Mich durch Zufall in eine Parallelwelt entführen lassen? Nicht unbedingt mein bester Tag, würde ich sagen."

      Conan grinste.

      "Nicht das", sagte er gedehnt. "Ich dachte eher an den Fluch."

      Nun verzog ich die Lippen. "Die Chancen, dass das funktioniert, standen eins zu einer Million."

      "Und dennoch hast du nicht aufgegeben." Conans grüne Augen musterten mich eindringlich. "Du hast getan, was du konntest und jetzt sieh, wo wir stehen."

      "Auf der Flucht vor der bösen Königin, versteckt von einem vergessenen Hexenzirkel?" Ich konnte nicht anders, als die Brauen zu heben.

      Conans Blick war strafend. "Du weißt, wovon ich spreche."

      Ich nickte. Erst in diesem Moment wurde mir klar, wie wichtig mir diese Freundschaft in den letzten Wochen geworden war. Bei Conan hatte ich das Gefühl, Verständnis zu finden. Er wusste, welche Steine das Schicksal uns vor die Füße geworfen hatte und dennoch schien er keine Minute lang daran zu zweifeln, dass irgendwann ein Happy End auf uns wartete.

      Seufzend richtete ich mich auf und rutschte neben ihn.

      "Danke", murmelte ich leise.

      Er lächelte bloß. Sanft spürte ich das Kribbeln der Magie in unseren Fingerspitzen, als er einen Hauch Wärme meinen Arm hinaufsandte. Ich entgegnete die kleine Bewegung mit einem Lächeln, bevor ich meinerseits etwas Wärme aus meinen Fingerspitzen zurückströmen ließ. Unter den Hexen war diese Geste als Zeichen des Vertrauens eingeführt worden – der Austausch von Magie, der in dieser Gesellschaft ähnlich wie eine Blutsbruderschaft wirkte.

      Doch als die warmflüssige Magie knisternd wie Brausepulver aus meinen Fingerspitzen trat, zuckte Conan zurück. Seine Miene nahm einen schmerzvollen Ausdruck an und er schüttelte seine Hand, als hätte er sich verbrannt. Als ich seine Fingerkuppen sah, wusste ich auch, dass genau das der Fall sein musste. Jede einzelne war rot wie Krebsfleisch und an der Kuppe seines Zeigefingers entstanden bereits Blasen. Ich schnappte nach Luft.

      "Conan, das tut mir leid", murmelte ich eilig. "Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich wollte nur –"

      Langsam hob er den Kopf und sah mich an. "Nicht schlimm."

      Seine Lippen verzogen sich zu einem ermutigenden Lächeln, doch ich wusste, dass er nur versuchte, freundlich zu sein.

      "Vielleicht kannst du es im Fluss ein wenig kühlen?", schlug ich vor. "Oder warte ... Lass mich das machen."

      Ich hatte seine Hand bereits in meine Linke genommen und die Rechte darübergelegt, um die Verbrennungen zu heilen, als er sie mir wieder entzog. Unsere Blicke begegneten sich und ich erkannte Mitleid in Conans Blick. Mitleid, aber auch eine Spur ... Angst?

      "Es tut mir leid", wiederholte ich. "Wirklich."

      Er nickte nur, bevor er sich aufrappelte. "Wir sollten zurück zur Hütte gehen. Es ist spät und wir müssen morgen wieder früh aufstehen."

      Schweigend begann er, den kleinen Trampelpfad in Richtung Dorf zu gehen. Ich verharrte noch eine Weile, bevor ich ihm folgte. Mit zusammengezogenen Brauen musterte ich meine Finger. Ich konnte nicht fassen, was ich getan hatte. Wir hatten dieses Ritual schon mehrmals durchgeführt und nie hatte ich die Kontrolle verloren. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch dieses Mal nicht das Gefühl gehabt, die Kontrolle zu verlieren. Es war vielmehr, als hätte sich meine Magie beim Aufeinandertreffen mit Conan von einem Funken in ein Inferno verwandelt. Als würde er plötzlich allergisch auf mich reagieren. Doch aus welchem Grund sollte er oder seine Magie sich mit einem Schlag gegen mich richten? Oder meine Magie sich gegen ihn?

      Selbst, als ich die Hütte betrat, spukte seine Reaktion noch durch meine Gedanken. Wie er mich angesehen hatte, im ersten Moment, nachdem ich ihn verbrannt hatte. Sein Blick war so voller Unglaube gewesen, voll plötzlicher Angst, als hätte er hinter eine Maske geblickt und ein Monster entdeckt. Ein Monster in Gestalt des Mädchens, von dem er – und sie – geschworen hätte, sie würde ihn nie verletzen.

       Kapitel 3

      Sie erwachte vom ersten Strahl der aufgehenden Sonne, der durch einen Spalt zwischen den schweren Vorhängen in den Raum drang und sich mutig durch die Dunkelheit bis an ihr Bett wagte. Als ahnte sie, dass er dort war und sich gemütlich streckte, bis er sie an der Nase kitzeln konnte, schlug sie die Augen auf und gähnte. Sie war noch nie eine Langschläferin gewesen. Die Welt hinter den Vorhängen war zu groß, um all die Wunder zu verschlafen, die der neue Tag bereithielt.

      In Windeseile hatte sie sich aufgesetzt und war in die kleinen Lederschuhe geschlüpft, die vor ihrem Bett standen. Danach legte sie ihr Kleid an – das hübsche sonnengelbe Sonntagskleid mit den kleinen Vögeln darauf. Als sie fertig war, vergewisserte sie sich mit einem Blick, dass alles so war wie immer. Die drei Betten gegenüber von ihrem lagen friedlich