Torben Stamm

Der Retro-Mord von Edinburgh


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lag außerhalb von Edinburgh und wurde von einer großen, alten Mauer umgeben. Der Zufahrtsweg wurde durch ein eisernes Gittertor versperrt, an dem ein Pförtner in einem kleinen Häuschen saß.

      Beyl ließ die Scheibe seines Wagens runter und lächelte den Mann an: „Guten Morgen. Wir sind von der Polizei.“

      Der Mann nickte: „Von euch sind schon eine ganze Menge da.“ Er drückte auf einen Knopf und das Tor schwang auf. „Ist das Tor immer zu?“, erkundigte sich Beyl. Der Pförtner schüttelte den Kopf: „Nur heute.“ Beyl nickte und fuhr los.

      „Ich hoffe, die sind schon langsam fertig“, teilte MacGarney sich seinem Partner mit. „Ich hasse es, wenn da die Klugscheißer rumrennen und so tun, als wäre ein Haar auf dem Kissen das Größte überhaupt, dabei gehört es nur dem Köter der Putzfrau.“

      Beyl sah ihn kurz an. MacGarney seufzte: „Ja, ich werde freundlich sein. Aber dafür bezahlst du das Frühstück nachher.“ Beyl nickte: Er konnte schon nicht mehr nachhalten, wie viele Frühstücke er seinem Kollegen spendiert hatte - ohne dass er sie verdient hätte.

      Sie fuhren einen gepflegten Weg entlang, der zu einem großen, alten Haus führte. Es bestand ursprünglich aus gelbem Sandstein, aber die Jahrzehnte hatten das Material dunkel werden lassen. Eine breite Treppe führte zu einer schweren Holztür. Auch hier stand ein Portier, der die Hände hinter dem Rücken hielt und auf Knopfdruck Freundlichkeit versprühen konnte.

      Beyl stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und die beiden Männer stiegen aus.

      „Guten Morgen die Herren“, begrüßte der Portier sie freundlich und hielt die Tür auf. „Sie müssen sich keine Mühe machen. Wir sind von der Polizei, keine Gäste“, sagte MacGarney und ging an dem Portier vorbei, der ihm verwirrt nachschaute. Beyl schüttelte unmerklich den Kopf und folgte seinem Kollegen.

      Der Eingangsbereich war nicht nur retro, sondern sah so aus, als hätte man ihn 1:1 aus einer lang vergangenen Zeit importiert. An der Decke hingen schwere Leuchter, alles war aus dunklem Holz gearbeitet. Eine breite Treppe führte in die oberen Stockwerke. Neben der Treppe befand sich die große, erhabene Rezeption. Eine junge Dame lächelte sie an: „Guten Morgen! Willkommen in unserem Haus.“

      „Guten Morgen“, sagte Beyl schnell, bevor sein Kollege wieder stänkern konnte. „Wir sind von der Polizei.“ Die Dame schaute nun nicht mehr freundlich, sondern traurig: „Ja, das ist gut. Es ist so furchtbar. Herr Sebstein war ein freundlicher Mann. Immer gute Laune, immer freundlich.“

      Sie griff zum Hörer: „Ich rufe einen Kollegen an, der Sie in sein Zimmer bringt.“

      Beyl bedankte sich und ließ seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen: „Schon schön. Bestimmt nicht billig.“

      „Da kannst du dich drauf verlassen. Ich wette, wir könnten uns vielleicht eine Nacht hier leisten. Zwei, wenn wir beide zusammenlegen und ein Doppelzimmer nehmen.“

      „Der Kollege kommt gleich“, sagte die Dame.

      Es dauerte ein paar Minuten, dann erschien ein älterer Herr in einem tadellos sitzenden Anzug. Er streckte den beiden Beamten die Hand entgegen: „Guten Morgen. MacHorn mein Name. Ich bin der Besitzer dieses Etablissements.“ Beyl und MacGarney gaben ihm die Hand.

      „Kommen Sie doch mit“, sagte er und führte sie die Treppe hinauf. „Es ist wirklich furchtbar. So etwas hat es in unserem Haus noch nicht gegeben. Der arme Herr.“

      „Wie lange war er denn schon Gast?“, erkundigte sich Beyl.

      „Eine knappe Woche. Er wollte übermorgen abreisen.“

      „War er geschäftlich hier?“

      MacHorn schüttelte entschieden den Kopf: „Nein. Auf keinen Fall. Wir sind ein reines Urlaubshotel. Keine Geschäftsreisen. Das verbitten wir uns ausdrücklich. Hier kommt man hin, um zu entspannen, nicht um zu arbeiten. Wenn wir jemanden dabei erwischen, wie er diese Regel bricht, bekommt er lebenslanges Hausverbot.“

      Beyl warf MacGarney einen Blick zu. Der sagte: „Dann haben Sie wohl hauptsächlich Leute hier, die länger bleiben?“

      MacHorn nickte: „Genau. Die meisten bleiben ungefähr eine Woche, viele aber auch länger.“

      „Teuer“, merkte MacGarney an.

      „Unsere Gäste haben in der Regel so anstrengende berufliche Tätigkeiten, dass sie gerne dazu bereit sind, etwas mehr zu zahlen, wenn das Angebot stimmt und sie sich wirklich entspannen können.“ Er schaute verächtlich. „Nicht so wie bei diesen modernen Wellness-Hotels, wo man mit Duftkerzen und Ähnlichem malträtiert wird. Furchtbar.“ Er schüttelte sich. Beyl nahm ihm den Ekel sofort ab.

      „So, hier wären wir“, sagte MacHorn und ging durch eine Tür, vor der ein Polizeibeamter stand.

      Der Tatort

      Als Beyl den Tatort betrat, erinnerte ihn der Anblick an eine Aussage seines Ausbilders: „Ein Tatort ist wie ein Bienenstock. Alle sind fleißig, alle arbeiten - und der Oberboss tut nichts.“ In diesem Fall war der Oberboss der König der Spurensicherung: Lobs war ungefähr zweihundert Jahre alt und brauchte ebenso lange, um einen Satz zu formulieren. Allerdings gab es keinen bei der Truppe, der mehr Ahnung von seinem Job hatte als er. Das Problem war nur, dass Lobs und MacGarney sich absolut gar nicht leiden konnten und ein Zusammentreffen zwischen ihnen meistens mit wüsten Beschimpfungen endete.

      „Guten Morgen“, sagte Beyl und gab dem alten Mann die Hand. Er schaute sich im Raum um: „Das nenne ich mal eine Unterkunft: Groß, riesiges Bett... Nicht schlecht.“

      Lobs lächelte: Er mochte Beyl, weil der wenigstens etwas kultiviert war. Allerdings wirkte auch ein Scheißhaus neben MacGarney wie die Bewahrungsstätte für Kultur und gutes Benehmen.

      „Ja, da haben Sie Recht. Aber das übersteigt meine Gehaltsklasse.“

      MacGarney stellte sich neben Beyl. Er schaute Lobs an, grüßte ihn aber nicht.

      „OK, was haben wir denn genau?“, fragte Beyl.

      Der alte Mann ging zum Bett und stellte sich daneben: „Das Opfer wurde neben dem Bett gefunden. Es ist vollständig angekleidet. Es gibt Anzeichen für einen Kampf - Schnittwunden und Kratzer an seinen Knöcheln. Er hat es seinem Mörder nicht leicht gemacht.“

      MacGarney musterte den toten Mann, der auf dem Bauch vor dem Bett lag: „Das ist echt mal retro.“

      „Bitte?“, fragte Lobs.

      MacGarney atmete übertrieben aus: „Der Mord. Der Typ hat ein Telefonkabel um den Hals.“

      „Ja, und?“

      „Sowas gibt es heute nicht mehr. Kein scheiß Telefon hat noch eine Telefonschnur.“

      Lobs zog die Augenbrauen hoch: „Meins schon.“

      „Ja, aber Sie sind auch so alt, dass bei Ihnen der Prototyp steht. Ich frage mich, wann das Museum auftaucht und seine Herausgabe fordert.“

      Beyl bemühte sich, die Streitigkeiten solange aufzuschieben, wie es möglich war: „Wie lange ist er denn tot?“, erkundigte er sich.

      Lobs schien unsicher zu sein, ob er auf die sachliche Frage eingehen sollte oder lieber den üblichen Schlagabtausch einleiten sollte. Er kam aber zu der Erkenntnis, dass Beyl eine freundliche Frage gestellt hatte und es daher sehr unhöflich wäre, diese nicht zu beantworten, nur weil sein Partner ein mieser Sack war.

      „Der Todeszeitpunkt ist ungefähr dreiundzwanzig Uhr gewesen.“

      MacGarney fragte prompt: „Könnte es eine Frau gewesen sein?“

      Lobs musterte die Leiche: „Das Opfer ist 24 Jahre alt, weist eine normale körperliche Konstitution auf... Ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine Frau ihn überwältigen und mit einer Schnur erwürgen konnte.“

      Beyl stimmte zu: „Außerdem hat er sich ja gewehrt. Der andere muss ihm total überlegen