Daseinslust. Ihr Lied klang unter den hellen Schleiern des jungen Buchengrüns dahin, das von der
Sonne wie Gold leuchtete, und zwischen den Stämmen der Tannen ließ die Ruhe der Waldeinsamkeit
die Töne in ihre dunklen Tore einziehen. Nah und fern, überall, wo es grün und hell war, zwitscherte
und jubilierte es, kein Wesen war in der Lage, traurigen Gedanken nachzuhängen. Und über dem
Frühlingsglück der Ihren zog die strahlende Sonne hoch im Blauen ihre Gnadenbahn.
Es war ein Tag, ach, wer vermag so viel Überschwang zu fassen?! Überall blühte es, tief unten im Tau
trieb das Moos am Boden seine smaragdgrünen, dichten Wäldchen, und in den Baumwipfeln öffnete
sich Blüte neben Blüte in der Sonnenfreiheit.
Als die Grasmücke, nachdem sie ihre Lieder beendet hatte, sich in den Waldgrund niederließ, um
nach einem Morgentrunk Umschau zu halten, traf sie den Maulwurf an einer Baumwurzel im Eingang
zu seinem unterirdischen Höhlenbau.
»So ein Tag lockt sogar Sie heraus, wie?« fragte sie freundlich, trat aber doch etwas zur Seite, man
weiß nie recht, bei so einem Maulwurf ...
Der Alte schüttelte den Kopf und blinzelte:
»Die Wärme,« sagte er, »die Wärme ist mir bisweilen ganz recht, aber dieses Übermaß an Licht kann
mir gestohlen werden. Kommen Sie einmal mit herunter, meine Liebe, treten Sie ein! Sie werden
Wunder an Behaglichkeit erleben. Alles ist dämmrig, kühl und still, und dabei von einer
Gleichmäßigkeit der Temperatur, daß man gedeiht wie ein Kürbis. Dabei brauche ich nicht hinter
jeder Fliege oder Mücke herzujagen wie Sie, Würmer und Engerlinge dringen sozusagen von selbst in
meine Gänge ein, morgens liegen sie da und warten, daß sie gefressen werden. Das nenne ich so
recht ein Leben nach dem Herzen Gottes.«
»O pfui Teufel«, sagte die Grasmücke und lachte. »Aber so sind Sie, genau wie ein Maulwurf. Wenn
ich Sie nicht schon länger kennte, würde ich überhaupt nicht mit Ihnen reden, an Sie muß man sich
erst gewöhnen, verstehen Sie? Ach, wenn Sie Einsehen hätten, aber Sie sind verbohrt, das kommt
von Ihrer langweiligen Beschäftigung, sonst würde ich Ihnen erklären, wie man lebt, um glücklich zu
sein. Vor allen Dingen muß ein Haus gegen den Himmel geöffnet sein, das ist die erste Vorbedingung
für ein heiteres Herz. Glauben Sie, wir Vögel würden so viel singen, wenn wir nicht Wohnungen
hätten, die weit gegen den Himmel offen sind?«
Der Maulwurf blinzelte, und sein breiter Grabfuß, der innen rosa gefärbt war, scharrte die Erde ein
wenig beiseite.
»Bilden Sie sich etwas auf Ihre Nester ein?« fragte er, ehrlich erstaunt. »Wer hätte das für möglich
gehalten! Wenn Sie das meine nur einmal erblickt hätten, würden Sie vor Neid und Mißmut Ihre Eier
künftig ins Gras legen. Was tun Sie denn viel? Sie tragen ein paar dürre Äste zusammen, Heu,
bestenfalls ein Pferdehaar, Gerümpel sozusagen, werfen alles durcheinander und hocken sich mitten
hinein. Hinterher zu sagen, der Himmel schiene hinein, ist nicht schwer, denn was bleibt dem Himmel
anderes übrig? Er ist jeden Tag da, regnet oder leuchtet, und es ist ihm wahrscheinlich höchst
gleichgültig, ob er Ihren Hausrat an einer Stelle oder an verschiedenen Orten am Boden zerstreut
bescheint. Und deshalb meinen Sie nun, Sie müßten singen? So sind also Vögel! Gut, daß ich es
endlich weiß.«
»O du lieber Gott, Sie Maulwurf«, sagte die Grasmücke, ganz betroffen von so viel Einseitigkeit der
Betrachtung. »Aber wer wird sich die Mühe machen, einen solchen halbblinden Popanz zu
überzeugen, der überall nach Schmutz und Schlamm sucht, nur um seine Nase hineinbohren zu
können. Was tun Sie denn eigentlich sonst? Sie suchen nach schwarzem Unrat, und dann immer
hinein, immer hinein! Wenn Sie möglichst fest drin sitzen, so sagen Sie, Sie lebten nach dem Herzen
Gottes!«
»Sie wissen nicht, was Erde ist«, antwortete der Maulwurf freundlich und langsam, lächelte und
strich sich über den Bauch. »Sie wissen es nicht, Sie windiges Federvieh. Wer sich in der Luft
herumtreibt, muß notwendigerweise leichtsinnig und haltlos werden. Nicht einen einzigen Gang
haben Sie, der Ihnen gehört, den Sie kennen. Hierhin, dorthin, wie es Ihnen in den Sinn kommt, und
abends sitzen Sie da und wissen selbst nicht, wozu dieses ungeregelte Geflatter eigentlich
stattgefunden hat.«
Es zog ein Duft herüber vom Abhang, irgendwo mußte ein Waldstrauch aufgeblüht sein.
Ein paar Tiere hatten sich um die Streitenden versammelt, Li, das Eichhorn, Josa, die Ringelnatter,
und von der Dolde einer eben erblühten Schafgarbe schauten ein paar Käfer hinüber und amüsierten
sich über den Streit, der andauerte und ebenso erregt wie heiter wurde, aber plötzlich verstummten
die lachenden und eifrigen Stimmen eine nach der anderen, obgleich zu Anfang noch niemand recht
wußte, was eigentlich geschehen war.
Hinter einem großen alten Baumstumpf hervor fiel aus dem Waldschatten ein Lichtschein, der nicht
von der Sonne kam, aber trotz ihres Lichtes hell schimmerte. Dieser Glanz war es, der die plötzliche
Stille mit sich brachte, dies Schweigen eines tiefen Erstaunens, in das alle versammelten Tiere fielen.
Sie wandten ihre Augen in großer Verwunderung eins nach dem andern diesem Leuchten zu, und
ihnen ward so seltsam zumut, daß manchem das Herz laut und hörbar in der Brust klopfte.
Da erkannten sie einen kleinen, kleinen Menschen, der blaß und still mitten in diesem Leuchten
stand und seine Arme emporhob, als ob er ihnen mit Angst und einer Bitte nahte. Er war kaum so
groß wie die Feldblumen am Wiesenrand. Sie erkannten, daß zwei helle Flügel seine Schultern
überragten, so weiß wie Schnee und von großer Zartheit, so daß sie in dem sanften Windzug
erzitterten, der über die winzigen braunen Wäldchen der Moosblumen zog. Der ganze Körper dieses
wunderbaren Wesens war durchschimmert von Licht und schien viel eher zu schweben, als zu
schreiten, aber es war kein Zweifel, ein lebendiges Wesen kam auf sie zu, mit großen Augen, wie zwei
Sterne.
Das Erstaunen und das Entzücken der Waldwiesenleute läßt sich nicht schildern und, o Wunder, nicht