Nick Lubens

Heavy Metal


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wenn ich so alt wäre wie unsere Eltern, dann fände ich sie vielleicht zum Anknabbern.“, windet sich Robert unter unseren strengen Blicken.

      „Meine Eltern liegen sich in letzter Zeit auch ständig in den Haaren.“, breche ich die peinliche Situation auf. „Seit wir in dieser neuen Wohnung sind, gibt es dauernd Zoff. Ich kann es echt nicht mehr hören. Sobald ich alt genug bin, ziehe ich aus.“

      „Endlich 18 sein, was?“, grinst Robert.

      „So wie du?“, zieht in Sirko auf.

      „Nein, so wie die, die schon mit der Schule fertig sind.“, gibt Robert patzig zurück. „Eigene Bude, eigene Braut, eigenes Geld...“, schwelgt er in Träumereien.

      „Eigene Stiefel neben dem eigenen Feldbett in einer beschissenen Kaserne.“, streut Olaf Salz in die herrlichen Fantasien vom Erwachsensein.

      „Du bist so ein mieser Arsch!“, beschwert sich Sirko.

      Olaf lächelt süffisant.

      „Ach, das kriegen wir auch irgendwie hin.“, winkt Robert unwirsch ab. Er wird der erste von uns sein, den es erwischt, da ist es verständlich, dass er das Thema Wehrpflicht gern vermeiden will.

      „Apropos Eltern.“, eilt ihm Sirko zu Hilfe. „Ich muss noch in die Kaufhalle. Eier, Milch und Kohl.“, leiert er die Einkaufliste runter.

      „Ich komme mit.“, sagt Olaf und stößt sich von der Bank ab.

      „Wartet, ich habe noch eine Idee.“, hält Robert die beiden auf, bevor sie sich davonschleichen können. Wir schauen ihn erwartungsvoll an.

      „Wir brauchen noch einen Abschiedsgruß. So einen coolen mit Abklatschen und so.“, erklärt uns Robert begeistert seinen Einfall.

      „Und wie soll der gehen?“, fragt Olaf distanziert.

      „Keine Ahnung, lasst uns was ausdenken!“, fordert Robert unsere grauen Zellen heraus.

      „Okay.“, sagt Sirko, unser Schlauster. „Macht eine Faust!“, übernimmt er das Kommando.

      Wir machen eine Faust.

      „Eins, zwei, Mars! Und bei Mars stoßen wir die Fäuste zusammen.“

      Wir nicken.

      „Eins, zwei, Mars!“

      Wir stoßen die Fäuste zusammen.

      „Das war‘s?“, fragt Olaf enttäuscht.

      „Für‘s erste, ja.“, räumt Sirko ein. „Beim nächsten Mal rufen wir alle Mars.“

      „An den Feinheiten müssen wir noch arbeiten.“, gebe ich zu Bedenken.

      „Klar, aber heute nicht mehr.“, lacht mir Sirko zu, klopft mir auf die Schulter und dreht sich um.

      „Tilo, bist du das?“, schallt mir die besorgt klingende Stimme meiner Mutter entgegen, als ich die Wohnungstür hinter mir schließe.

      „Jahaaa.“, rufe ich genervt zurück. Mir ist jetzt gar nicht nach Elternkontakt.

      Da steht meine Mutter aber schon in der Küchentür. Ihre Hände hat sie vor der geblümten Nylonschürze verknotet, es sieht beinahe so aus, als würde sie beten.

      „Also, was macht ihr nur immer für Sachen?“, flüstert sie beinahe und schüttelt dabei traurig den Kopf. Sie macht ein paar Schritte auf mich zu. „Der ABV ist bei uns. Er will mit uns über euch sprechen.“

      Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Ich spüre, wie mir die Knie weich werden. Der ABV interessiert sich für mich? Weil wir einmal zu laut eine Kassette angehört haben?

      „Über wen?“, frage ich, um etwas Zeit zu gewinnen.

      „Über dich und Sven.“, schluchzt meine Mutter kurz auf, dann hat sie sich aber schnell wieder im Griff. „Komm gleich in die Küche, aber mach dir vorher die Haare ordentlich, hörst du?“

      Ich brumme etwas unverständliches und verschwinde im Bad. Aus dem Spiegel glotzt mir ein grießgrämiges Jungengesicht unter einer Matte entgegen, die sich noch nicht recht entscheiden kann, welche Frisur mal aus ihr werden soll. Ungestüm fahre ich mit dem Kamm durch die Zoten und begutachte mich dabei weiter. Kein Bartwuchs in Sicht, dafür jede Menge Pickel. Kein Wunder, dass mich Jana Gebauer keines Blickes würdigt. Ich schaue mich ja selbst nicht gern an.

      Nachdem ich den Wasserhahn kurz auf- und wieder zugedreht habe – ich weiß, dass Mutter es immer registriert, ob Wasser fließt oder nicht – schleiche ich mich in die Küche.

      Hier sind bereits Mutter, Vater, Sven und unser Abschnittsbevollmächtigter, Oberleutnant Schubert, versammelt. Meine Mutter knetet in purer Verzweiflung ihre Hände, Vater wirft mir einen genervten Blick zu, der nichts Gutes verheißt, und der ABV nickt mir kurz mit einem kalten Blick zu, bevor er sich wieder meinem kleinen Bruder zuwendet. Sven hat sich in den hintersten Winkel der Eckbank verkrochen und versucht vergeblich, sich unsichtbar zu machen.

      „Setz dich!“, knurrt unser Vater mich an und deutet auf den Platz neben Sven. Der ist sichtlich dankbar dafür, nun nicht mehr allein auf der Anklagebank zu sitzen.

      „Um noch einmal auf den Punkt zurückzukommen.“, setzt der ABV ein offenbar bereits vorher begonnenes Gespräch fort, „Es gibt ernsthafte Anzeichen einer zunehmenden Verlodderung ihrer Söhne, Herr und Frau Reichel. Über Sven haben wir jetzt bereits gesprochen. Die eigenartige Kleidung ist eine Sache. Viele Jugendliche haben neuerdings ja einen Dachschaden, was das Auftreten in der Öffentlichkeit betrifft.“ Er blickt nach Zustimmung heischend zu meinen Eltern. Mein Vater schnaubt vor sich hin. Er ist ein Meister darin, nicht erkennen zu lassen, ob er einer Behauptung zustimmt oder nicht. Meine Mutter lächelt Herrn Schubert traurig an und nickt zaghaft. „Aber dass er Wände mit farbigen Botschaften verunstaltet, geht eindeutig zu weit.“, wird die Stimme des ABV nun lauter.

      „Das liegt alles an diesem Film.“, jammert meine Mutter. „Beat Street. Der kam neulich im Fernsehen. Und seitdem zieht er sich so komische Hüte auf den Kopf, macht allerlei Verrenkungen und malt Wände an. Ich verstehe es nicht.“

      „Dieser Film sollte eigentlich Ansporn genug sein, die Falschheit des kapitalistischen Systems zu verstehen und sich noch mehr mit der solidarischen Gesellschaft in unserem schönen Land verbunden zu fühlen. Leider geraten immer wieder Jugendliche auf die schiefe Bahn, weil sie glauben, diese Ghettos hier nachspielen zu müssen. Wilde Sozialromantik, wenn Sie mich fragen.“, doziert der ABV.

      Mein Vater schnaubt wieder, diesmal eindeutig verächtlich.

      „Aber der Film kam schon vor über drei Jahren in die Kinos der DDR und doch haben es bisher nur wenige Jugendliche so weit getrieben wie Sven. Das muss aufhören!“, mahnt Oberleutnant Schubert eindringlich.

      „Und dann tobt er ständig mit diesen Negern herum.“, wirft mein Vater abschätzig ein.

      Der ABV blickt ihn verwirrt an.

      „Vor dem Kubanerwohnheim.“, erklärt meine Mutter.

      „Wir tanzen Breakdance.“, rechtfertigt sich Sven empört. „Und Neger sagt man nicht.“

      „Komm du mir nicht so, Freundchen!“, brüllt mein Vater und droht ihm mit dem Finger.

      „Gegen ein bisschen Tanz ist nichts einzuwenden.“, versucht der ABV die familiären Wogen zu glätten, „aber es muss schon gesittet zugehen. Solches Hottentottengehampel ist nichts für ordnungsliebende DDR-Bürger.“, weist er Sven sanft in seine Schranken.

      „Der eigentliche Grund für mein Kommen ist aber ein Anruf, den ich vor ungefähr einer Stunde erhalten habe. Oberleutnant Wischmann hat mich über einen Vorfall auf dem Luisenplatz informiert, in den Tilo verwickelt war.“ Er schaut mir tief in die Augen.

      Meine Mutter schlägt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Ich sehe, wie Tränen in ihren Augen aufsteigen. Mein Vater rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

      „Öffentliche Ruhestörung