er ein gleichmütiges Gesicht, während er durch die Gänge eilte, doch mit jedem Schritt, den er machte, wurde die Freude größer: Er musste sich zusammenreißen, sonst wäre er gerannt. So hastete er vorwärts, die Treppen hinauf und hinauf, immer höher, bis er endlich auf der obersten Plattform des Ostturmes angekommen war.
Dort blieb er stehen, stützte die Hände gegen die Zinnen und ließ endlich das breite Grinsen zu. Erinnerungen und Bilder einer längst vergessen geglaubten Zeit weckten prickelnde Vorfreude in ihm: Mar‘Tians Worte hallten in seinem Kopf wider, stolperten zwischen den wirbelnden Gedanken und Gefühlen, die sie ausgelöst hatten.
Die Herz von Gantuigh – ein Segler, so stolz wie die Falkenflug, ebenso schnell und elegant, nur jünger, und er sollte sie kommandieren?
Wieder ein Schiff zu führen, das wäre die Erfüllung eines in einem stillen Winkel seiner Seele verschlossenen und doch lange gehegten Traums. Und dann noch die Herz von Gantuigh!
Konnte das wahr sein? Konnte das wirklich wahr sein?
Ob Mar‘Tian ahnte, was er ihm damit zurückgeben würde? Cridan war auf dem Meer zu Hause gewesen, hatte es geliebt, und jeder Tag auf dem Deck der Falkenflug war Freiheit für ihn gewesen – eine Freiheit auf Zeit von seinen Verpflichtungen als ficha‘thar, die sonst sein ganzes Leben bestimmten.
Als er daran dachte, schien ihm die Sehnsucht schier das Herz zerreißen zu wollen.
Das Geräusch von Schritten auf der Treppe ließ ihn aufhorchen und verriet ihm, dass Béo ihm gefolgt war.
Er wandte sich nicht um, als sie neben ihn trat. Eine Weile blickte sie in die gleiche Richtung wie er, dann legte sie ihre Rechte auf seine und lehnte sich vorsichtig, um sich nicht an den messerscharfen Schuppen zu verletzen, gegen seinen Oberarm.
»Willst du darüber reden?« fragte sie sanft.
Er blieb eine Weile stumm, dann lachte er.
»Was gibt es darüber zu reden, dass Mar‘Tian mir mein Leben zurückgegeben hat?«
Er senkte den Kopf und sah sie an.
»Ich war so lange heimatlos, verstoßen, ohne einen Platz, an den ich gehöre! Mar‘Tian hat uns Gantuigh und damit unsere Heimat zurückgegeben. Als wäre das nicht schon genug, hat er mir den Platz des Freundes an seiner Seite gewährt, hat mir als sein ficha‘thar wieder eine Aufgabe gegeben. Und jetzt das…«
Er atmete tief durch.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was das Meer für mich bedeutet«, fuhr er mit rauer Stimme fort. »Die Falkenflug war so viel mehr für mich als ein Schiff. Sie zurückzulassen fiel mir jedes Mal schwer.«
»Was ist mit ihr geschehen?« fragte Béo.
Er hob die Schultern.
»Ich weiß es nicht«, murmelte er. »Skatarhak wird sie einem anderen gegeben haben, und vermutlich ist sie irgendwo gesunken.«
»Und die Wellenstolz? Tikos Schiff?«
»Die liegt noch sicher in den Sümpfen«, lächelte er, »verborgen in einem Flussarm. Tiko ist regelmäßig dort und schaut nach dem Rechten.«
Er machte eine Pause, in der er nachdenklich auf sie hinab sah.
»Die Falkenflug und die Wellenstolz waren Schwestern«, sagte er dann. »Die Herz von Gantuigh ist so etwas wie ihre Tochter. Mar‘Tian hätte mir kein schöneres Geschenk machen können. Und ich bin sicher, er wusste das«, fügte er nach einer Weile hinzu.
»Das ist wahrscheinlich«, bestätigte Béo.
Sie machte einen halben Schritt zurück und sah ihn an. Sie war so viel kleiner als er, dass sie dafür den Kopf in den Nacken legen musste.
»Meinst du, du bist bereit, wieder zu ihm zurückzugehen? Er wartet auf uns.«
Mar‘Tian hatte sein Essen beendet und saß am Schreibtisch über einige Papiere gebeugt, als sie eintraten. Mit einer knappen Handbewegung wies er auf die Stühle vor dem Tisch, legte die Arbeit jedoch nicht zur Seite.
Sie nahmen Platz und warteten geduldig, bis er schließlich die Papiere an den Rand schob. Cridan hatte die Zeit genutzt, um seine Gedanken und auch seine Worte zu sortieren.
»Verzeih‘ mein Benehmen«, begann er. »Es war nicht besonders höflich, unser Gespräch zu unterbrechen, aber… Ich danke dir, mein König. Nichts auf der Welt täte ich lieber, als in deinem Namen die Herz von Gantuigh zu segeln.«
»Es freut mich, das zu hören«, bemerkte Mar‘Tian. »Dann wäre dieser Punkt geklärt. Ihr werdet morgen früh zu Tiko aufbrechen und fünfzig T‘han T‘hau von ihm auswählen lassen, die euch begleiten werden. Von meinen Soldaten werden hundertzwanzig Männer hier auf euch warten. In zehn Tagen werdet ihr dann nach Q‘ada aufbrechen. Die Botschaft an Llegar ist bereits unterwegs. Und noch etwas… Bevor wir dieses Gespräch beenden, möchte ich euch eine Sache besonders dringend nahelegen.«
Er sah erst Béo, dann Cridan an, bevor er fortfuhr:
»Eure Aufgabe wird nicht leicht werden. Weder die deine, Béo, noch deine, Cridan, und ihr werdet für eine lange Zeit aufeinander angewiesen sein – in einer Art und Weise, wie ihr es bisher nicht kanntet. Jeder von euch ist ein immens wichtiger Teil dieser Reise. Ohne euch ist dieses Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Es ist von größter Wichtigkeit, dass ihr einander nicht bloß vertraut – und ich weiß, dass ihr das ebenso sehr tut, wie ich euch vertraue – sondern zudem auch aufeinander achtgebt.«
Es blieb eine Weile still.
Cridan sah zwischen Béo und Mar‘Tian hin und her.
»Mein König«, sagte er, »ich würde eher sterben als zuzulassen, dass Béo etwas passiert. Ich werde auf sie achtgeben, darauf hast du mein Wort.«
Für einen Herzschlag lang wirkte Mar‘Tian nachdenklich, beinahe traurig, wie es Cridan schien, doch dann war der Augenblick verflogen, und sein König nickte zustimmend:
»Ich weiß, mein Freund. Ich weiß. Du hast es schon bewiesen. Aber du wirst auch auf dich achtgeben müssen, mehr als du es sonst getan hast. Und sie auf dich.«
Cridan rieb sich über den Nasenrücken. Er spürte den Versatz in seinem Knochen – ein Andenken an den Anschlag, bei dem man ihn fast umgebracht hatte. Er glaubte zu wissen, worauf Mar‘Tian anspielte.
»Ein solcher Fehler wird mir nicht noch einmal unterlaufen«, murmelte er grimmig.
Béo berührte ihn sanft am Unterarm. Als sie seinem Blick begegnete, lächelte sie.
»Ich weiß zwar noch nicht so recht, wofür du meinen Schutz brauchen solltest, aber ich werde ebenso auf dich achtgeben. Das verspreche ich.«
»Oh«, brummte Cridan, »ich hoffe doch sehr, dass ich deinen Schutz nicht brauchen werde.«
Dennoch spürte er die Zuneigung, die aus ihren Worten sprach, und es ließ ein ungewohnt warmes Gefühl in ihm aufsteigen.
2. Kapitel – Durch die Berge
Der nächste Morgen begrüßte sie mit herrlichem Wetter.
Cridan hatte ein seltsames Gefühl, als er den Stall betrat, um seinen Hengst Camro zu satteln. Es hatte im letzten Jahr keine Beschränkungen seiner Freiheit gegeben, auch wenn er formal als Geisel auf der Burg weilte, aber er hatte die Stadt seitdem nie ohne Mar‘Tian verlassen.
Jetzt würde er es das erste Mal wieder tun.
Camro begrüßte ihn mit einem freundlichen Schnauben. Cridan strich ihm über die Nase, betrat den Stall und begann, das Fell des Rappen mit kräftigen Strichen zu bürsten, um ihn danach zu satteln und für den Ritt fertig zu machen. Der Hengst sah sich hin und wieder nach ihm um, knabberte an seinem Ärmel oder stieß ihn spielerisch in die Seite.
Cridan genoss die offene Zuneigung des