Ralph Schroff

Im Südwesten Kretas


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aber vom späten Nachmittag an war es der beste Ort im Dorf, den man sich vorstellen konnte und ich wurde nie müde, den Ausblick zu genießen, dort zu lesen, die Schiffe ein- oder auslaufen zu sehen, meinen Gedanken nachzuhängen oder mich in Träumen zu verlieren. Stundenlang erfreute mich an jedem einzelnen Augenblick, den ich dort verbringen durfte.

      Im Laufe der nächsten sieben Wochen verpasste ich nahezu kein abendliches Einlaufen der Daskalogiannis, welche das größte Fährschiff an dieser Küste ist. In der Hauptsaison transportiert sie jeden Abend bis zu 1200 Touristen von Agia Roumeli nach Chora Sfakion, wo diese auf mehr als ein Dutzend Busse verteilt werden, die sie anschließend zurück in ihre Hotels an der Nordküste bringen. Es ist ein eigenwilliges und unterhaltsames Erlebnis, wenn sich die Menschenmassen auf ihren Weg von dem Schiff an der Kantina vorbei hoch zum Busbahnhof begeben und dort in ihre Busse einsteigen. Anschließend kann man sich den Konvoi der Busse betrachten, wie sie den Berg hinauffahren. Im Laufe des Oktobers nahm ihr Zahl langsam aber stetig ab, bis die Daskalogiannis ihren Fährverkehr mit dem Ende der Sommerzeit beendete.

      Die Taverna Lefka Ori

      Lefka Ori sind nicht nur die weißen Berge, sondern auch ein Hotel und Restaurant in Chora Sfakion. Es liegt am Ende der Promenade unterhalb des Hotels Stavris. Wir hatten die Taverna vor vier Jahren kennen und schätzen gelernt und vielleicht war die Gastfreundschaft, die wir damals genießen haben dürfen, mit ein Grund dafür, das wir uns entschieden haben drei Monate in Chora Sfakion zu verbringen. Wir wussten nicht viel mehr über diesen Ort als das es ein pittoresker Hafenort ist, in der Mitte zwischen Frangokastello im Osten, sowie Anopolis und Aradena hoch oben im Westen gelegen und das von hier aus die britischen, australischen und neuseeländischen Truppen vor den heraneilenden Deutschen 1941 evakuiert wurden.

      Nachdem wir uns so lange darauf gefreut hatten, war es keine Überraschung, dass wir an unserem ersten Abend hinunter ins Lefka Ori gegangen sind. Es war ein zauberhafter Sommerabend, wärmer als wir es uns vorgestellt hatten, alle Tische waren auf der Promenade am Hafen und wir bekamen einen schönen Tisch am Wasser. Von da an war alles wie wir es in Erinnerung hatten. Die beiden Brüder bedienten wie vor vier Jahren, wir bestellten schon an diesem Abend zu viel und hätten noch mehr probieren wollen: Käse Saganaki und weiße Bohnen in Tomatensauce, Schweinekotelett und Tintenfische – eine geringe Auswahl, angesichts ihrer Speisekarte. Es war ein stets wiederkehrendes Elend unseres Urlaubs, dass wir jeden Abend gern mehr gegessen hätten als wir essen konnten. Wir ließen uns das ausgezeichnete Essen schmecken, erfreuten uns an Wein und Bier und das sich alles gut ausgegangen war. Vor allem, dass wir angekommen waren und aufgenommen worden sind und wir alles unverändert vorgefunden haben, wie es uns erinnerlich war, als wären wir nie weg gewesen. Die beiden Brüder, Giorgos und Giannis trugen schwarze T-Shirts mit „Raki Ambassador“ und „Raki is connecting people“ Aufdrucken und tranken tatsächlich ein Glas Raki mit jeder Karafaki die sie uns im Laufe des Abends an unseren Tisch brachten. Wir genossen den Augenblick, wollten nicht aufstehen, schauten uns um und konnten uns nichts Schöneres vorstellen. Es war als ob wir heimgekommen wären und alle Anspannung fiel von uns ab. Nachdem wir drei Tage unterwegs gewesen waren, durften wir den Augenblick in dem Bewusstsein genießen, dass er wiederkommen würde, was wunderschön ist.

      Der Strand Vrisi

      Das Hotel Stavris war nicht weiter als Hundert Meter vom Strand entfernt, wenn das Schild neben dem Kafeneio stimmen sollte. Mit keinem Gedanken hatten wir uns mit einem Strandurlaub beschäftigt, genauso wenig wie wir davon ausgegangen waren, dass im September Hochsaison sein würde oder durchgehend über dreißig Grad. Schon am zweiten Tag begaben wir uns an den Strand, den wir noch nicht kannten, hinunter und fühlten uns auf Anhieb heimisch. Ein malerischer Strand, mehr Kiesel als Sand, die Bucht von Felsen umsäumt, auf der westlichen Seite hoch zur Anopolis-Straße, zur östlichen Seite zum Hotel Xenia und auf der nördlichen Seite die Taverna „three brothers“ den Strand überblickend. Uns überraschten die Sonnenliegen und Sonnenschirme, die wir ebenso wenig erwartet hatten wie die vielen Menschen, ohne das er dabei aber zu voll gewesen wäre. Es war niemals unruhig, kein stetes Kommen und Gehen, sondern viel Verweilen, Lesen und Entspannen und die Gäste eher älter denn jünger. Das Wasser war erfrischend kühl wie angenehm warm, klar und prickelnd, unglaublich samtweich. Malerischer hätten wir es uns nicht erträumen können. An diesem warmen Sommernachmittag war sogar ich sehr schnell im Wasser, was auch daran gelegen haben könnte, dass es sehr plötzlich sehr tief wurde. Das Meer glitzerte im Sonnenschein, um die Felsen herum schwamm man mit Fischen und da die Bucht strömungsfrei war, konnte man beliebig weit hinausschwimmen.

      Wie wir später erfuhren, wurde von Vrisi aus der Ort mit Wasser versorgt. Die kühleren Stellen im Meer waren frische klare Bergquellen aus den weißen Bergen. Ein Strand wie aus einem Bilderbuch, den wir im September an den meisten Tagen aufsuchen würden. Die ersten Tage noch ohne uns Sonnenliegen zu mieten, aber nach dem vierten Tag haben wir nachgegeben und war es nicht mehr unter unserer Würde, wodurch unser Aufenthalt noch angenehmer wurde. Wer hätte jemals gedacht, dass ich einmal so gerne schwimmen würde? Immer mehr Zeit verbrachte ich im Wasser, schwamm zu einer Felsengruppe hinaus, wofür ich eine knappe halbe Stunde brauchte und jeden Tag freute ich mich aufs Neue auf unsere Nachmittage an diesem wunderbaren Strand. Wir konnten schwimmen, sonnen, lesen oder träumen, zwischendurch zum Mittagessen heimgehen oder hinauf zur Taverna der drei Brüder. Ein paar Stufen vom Strand entfernt kann man einen Snack oder eine Erfrischung zu sich nehmen, gegrillter Tintenfisch oder Bratkartoffeln, gebackener Käse oder einen griechischen Salat, dazu ein Bier oder Ouzo. Man sitzt angenehm im Schatten über dem Strand und kann dem Treiben unten zuschauen. Am Nachmittag ist es ruhig, kaum Gäste in der Taverna, da diese unten am Strand sind und man kann sich zurücklehnen und entspannen. Einige Familienmitglieder sitzen an ihrem Tisch zusammen und tauschen sich mehr oder weniger angeregt aus, was zur Unterhaltung beiträgt.

      In der Taverna der drei Brüder kann man ebenso entspannt zu Abend essen. Der herrliche Blick geht über den Strand und die Bucht auf das Meer hinaus. Von allen Restaurants in Chora Sfakion hat es den zauberhaftesten Ausblick – unwirklich wie aus einer anderen Welt. Sie liegt abseits der Promenade und wenn man einen Tisch an der Balustrade hat, auf das Meer hinausschauend, ist man weit weg von der Geschäftigkeit des Ortes. Die sanfte Brandung am Strand, die Geräusche aus der Taverna im Hintergrund, am Himmel die Sterne und der Mond, mal voller mal weniger. Was könnte man sich mehr wünschen als in der lauen Sommernacht bei Wein und Bier, bei gutem Essen und netter Bedienung den Abend zu verbringen und wer wollte da noch aufstehen?

      Das Dorf der kurzen Wege

      Was es im Ort zu sehen gab, hatten wir während der ersten Tage erkundet, es war weder groß noch unübersichtlich. Außer dem, was wir lange Zeit nicht gefunden oder aus uns unerfindlichen Gründen übersehen haben. Wir dürfen es niemandem erzählen wie lange es dauerte bis wir die Metzgerei entdeckt hatten.

      Vom Strand im Westen bis zum nächtlichen Ankerplatz der Daskalogiannis im östlichen Teil des neuen Hafens braucht man vielleicht zehn Minuten, wenn man sich viel Zeit dafür nimmt. Am Meer und an den Restaurants auf der Promenade vorbeigehend, kommt man zur Plateia, um die herum das Pub, eine Souvlakibar, Autovermietung und Supermarkt gruppiert sind, zudem Apotheke, Postamt, Zahnarzt und Metzgerei, als auch Businformationskiosk, Telefonzellen und zwei Geldautomaten. Nach der Taverna Delfini kommt das Denkmal zur Erinnerung an die Evakuierung der britischen, australischen und neuseeländischen Truppen mit den Flaggen von Australien, Neuseeland, Großbritannien und Griechenland. Vor der Anlegerampe für die großen Samariaschiffe liegt die Kantina, das zweite Souvlakirestaurant des Ortes. Anschließend folgt das neue Hafenbecken, in dem man das Speedboot nach Gavdos findet, das kleinere Fährschiff nach Loutro, die Delfini sowie verschiedene Ticketkiosks, Fährverbindungen, Charterschiffe, eine Tauchschule, Trockendocks, ein Café und oberhalb des Ankerplatzes der Daskalogiannis eine kleine Kirche.

      Von der Plateia geht eine weite Treppe hinauf zur Bushaltestelle, auf welcher jeden Abend die Busse auf die Touristen von der Samaria-Schlucht warten. Dahinter liegt das Rathaus von Sfakia und nebenan in einem Park ein weiteres Denkmal aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, das an eine Gräueltat der deutschen Besatzung erinnert: durch