ihrer Verkleidung nicht täuschen. Und auch nicht mit ihrem harmlosen Getue. Er wusste Bescheid über diese Missgeburten. Und auch darüber, was sie vorhatten.
An ihm würden sie sich aber die Zähne ausbeißen. Er war ein Mann, der die Dinge anpackte. Er hatte sein Geschäft nicht in all den Jahren aufgebaut, um es sich von hässlichen Kreaturen abluchsen zu lassen - nur weil die eine Laune der Natur vielleicht ein bisschen kräftiger gemacht hat als hart arbeitende Menschen wie ihn. Das war nicht richtig und er würde sich das nicht gefallen lassen. Vielleicht war das ja jetzt die Gelegenheit, mal einen Punkt zu machen. Denn sonst hatte er mit diesem Pack ja nicht wirklich was zu tun. Es hieß ja auch, dass sich die Mutanten versteckten, um dann aus dem Verborgenen zuzuschlagen.
Zuschlagen? Er wünschte, er hätte eine Waffe dabei. Nur sicherheitshalber natürlich. Sein Blick wanderte zur Streitaxt am Gürtel der Kriegerfigur in der Ecke. Sie sah solide aus. Gefährlich. Verlockend. Vermutlich würde ihm sogar niemand ernsthaft übel nehmen, wenn er einfach ... Schließlich waren die Mutanten ja keine Menschen. Das hatte er in dem Buch gelesen. Jeder hasste sie. Wahrscheinlich könnte er rein rechtlich dafür nicht einmal belangt werden. Und es war ja schließlich auch so etwas wie Selbstverteidigung. Er musste grinsen, fühlte sich irgendwie besser - schon allein bei dem bloßen Gedanken daran, mit der Streitaxt klare Fakten zu schaffen - wenigstens hier in diesem armseligen Flur.
Die Tür ins angrenzende Büro ging auf und ein dicklicher Kerl im hellgrauen Hoodie blickte erstaunt in den Raum, seine jungenhaften Augen erfassten die Szene und es war offensichtlich, dass ihnen nicht gefiel, was sie da sahen. Das musste Sven Werrn sein, dachte er und fragte sich gleichzeitig, woher der Kerl nur diese Arroganz nahm, jetzt einfach so aufzutauchen, nachdem er ihn minutenlang hatte warten lassen. Und was zum Teufel hatte er mit diesen Mutanten-Frauen zu schaffen?
„Herr Werrn, nehme ich an“, sagte er schnell und erhob sich betont gelassen. „Endlich.“ Kein Grund, sich kleiner zu machen als notwendig. Sollten alle ruhig merken, mit wem sie es hier zu tun hatten. Und dass mit ihm nicht zu spaßen war.
Werrn ging auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen, behielt aber dabei den abgewetzten Kerl im Auge. Und die Mutanten-Frauen. Er griff zu, fest natürlich. Jemand wie er packte immer fest zu. Das zeigte Stärke.
„Hallo. Tut mir leid“, sagte der IT-Mann.
Er schaute demonstrativ auf die Uhr, ignorierte die Entschuldigung und sagte: „Kommen wir gleich zur Sache, Herr Werrn. Meine Zeit ist kostbar. In ihr Büro?“
„Ja bitte. Gehen Sie schon vor! Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen.“ Wieder sah er zu dem hageren Typen und den beiden Mutanten. War das sein Ernst? Noch mal warten? Eine Frechheit!
„Herr Werrn. Wenn wir ins Geschäft kommen wollen - und es ist ein lohnendes Geschäft für Sie, das kann ich Ihnen versichern - dann reden wir jetzt. Unverzüglich.“ Er sagte das mit allem gebotenen Nachdruck. Sollten ruhig alle den Ernst der Lage erkennen.
Als Werrn nicht wie gewünscht mit Demut reagierte, setzte er grimmig nach: “Sagen Sie, Herr Werrn. Wo bin ich hier eigentlich? In einem Büro für IT-Sicherheit? Oder in einem Kuriositäten-Kabinett?“ Er freute sich über die spitzfindige Frage und musste lächeln. „Lebende Kuriositäten inklusive.“ Sein abfälliger Blick fiel auf die beiden Mutanten. „Ich habe jedenfalls immer mehr das starke Gefühl, hier falsch zu sein.“
Werrn blickte ihn an. Seine Miene hatte sich schlagartig deutlich verfinstert. Das zuvor noch ansatzweise erkennbare Bedauern war verschwunden. Seine Augen fixierten ihn entschlossen.
„Was das angeht, bin ich völlig bei Ihnen. Rein gefühlsmäßig“, sagte Werrn dann hart. „Ja, Sie sind hier tatsächlich falsch. Auf Wiedersehen!“
Frechheit. Eine unglaubliche Unverschämtheit war das! Sein Blick raste zur Streitaxt.
„Gefällt er Ihnen, mein Typhoon Warrior? Habe ich mir aus Japan liefern lassen. Kaum zu glauben, aber er ist aus federleichtem Kunststoff. Sogar die Axt sieht täuschend echt aus, nicht wahr?“
Dann eben nicht. Er schnaubte, funkelte Werrn wütend an. Nun, es gab andere IT-Experten. Solche, die sich nicht mit diesem Mutantenpack einließen. Werrn würde schon sehen, was er davon hatte. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ mit schnellen, entschlossenen Schritten den Raum, das Gebäude. Sekunden später saß er in seinem Porsche-SUV und raste davon. Er hatte genug Zeit verschwendet.
Na ganz fantastisch, dachte Maus und funkelte Edwin Gerstner, den hageren Kerl in der Lederjacke vorwurfsvoll an. Dieser Vollpfosten!
„Mann, Edwin. Wir können unsere Treffen auch gleich im Web streamen. Was genau an den Vokabeln 'heimlich' und 'unauffällig' kapierst du eigentlich nicht?“
Gerstner hob abwehrend die Hände. „Hatte keine Ahnung, dass du Kundschaft hast. Konnte ich ja nicht wissen.“
„Nein, konntest du nicht. Deshalb hab ich mir auch eine ausgeklügelte Codiersoftware einfallen lassen, über die wir sorglos miteinander solche Sachen absprechen können. Verdammte Axt!“
Der Fluch musste raus. Auch wenn Maus wusste, dass solche Verbalscharmützel den beiden verwandelten Albinnen, die ihm Edwin gebracht hatte, jetzt und hier nicht wirklich halfen. Die waren vermutlich auch ohne seine Kraftausdrücke ängstlich und verunsichert genug.
„Sorry, Maus. Ich pass künftig besser auf. Aber mach dir keinen Hals. Ich kenne Typen wie den. Eigentlich richtig armselige Wichte. Haben es trotzdem zu was gebracht und sind jetzt so kotzarrogant, dass sie keine Chance auslassen, ihren tief sitzenden Frust auf all die herabrieseln zu lassen, die sie für unwürdig halten oder so.“
„Aha“, brummte Maus. „Hatte ja keine Ahnung, dass du jetzt auch noch was von Psychologie verstehst, Professor Edwin.“
„Mach dich locker, Maus! Der verpfeift uns nicht. Mit Behörden haben es solche Leute nicht so. Haben selber genug Dreck am Stecken.“
Maus antwortet nicht. In dem Punkt hatte Edwin vermutlich sogar recht. Die meisten Leute hielten sich tatsächlich gerne raus, fanden es sehr bequem, dass sich die Behörden um die Verwandelten kümmerten, inzwischen regelrecht Jagd auf sie machten. Spitzohren war es verboten, den Wohnort zu verlassen und Sonnenbrillen zu tragen. Viele wanderten beim geringsten Verdacht auf subversive Umtriebe auch gerne mal vorsorglich in den Knast. Seit Sardrowains Lichtsturm-Anschlag in Frankfurt hatten die Menschen Angst. Klar. Da verließ man sich schon lieber auf die Regierung und redete sich ein, dass es schon in Ordnung sei, was sie mit diesen seltsamen Mutanten anstellte.
Maus zog seinen Geldbeutel aus der Tasche, kramte zwei Scheine heraus und drückte sie Edwin in die Hand.
Der warf einen schnellen Blick auf das Geld und sah Maus dann mit einem frechen Blick an.
„Hatten wir nicht 500 gesagt?“
„Hatten wir nicht“, protestierte Maus und ahnte gleichzeitig, dass er in dieser Diskussion den Kürzeren ziehen würde. Leider war er auf Ganoven wie Edwin angewiesen. Er konnte ja schließlich keine Kleinanzeige aufgeben. „Verwandelte gesucht. Biete Fluchtmöglichkeit in die Anderswelt.“ Wer von den Verwandelten abgetaucht war, der wollte es für gewöhnlich dabei auch belassen.
„Hey, Maus. Das Risiko ist gestiegen. Du hast doch selbst eben gesagt: Wir müssen besser aufpassen.“
Maus kramte zwei 50er aus dem Geldbeutel und gab sie Edwin.
„Deute das jetzt aber bloß nicht als Zeichen von Schwäche, Alter. Ich bin nicht der Einzige von uns beiden, der viel zu verlieren hat. Bau noch einmal so einen Mist und du bist raus. Verstanden?“
„Alles klar, Maus. Bin ja kein Vollidiot.“ Grinsend tippte er sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Bis zur nächsten Lieferung.“ Dann machte er sich davon.
Maus blieb dabei: ein Vollpfosten. Aber er hatte es ja nicht anders gewollt. Viktoria und er hätten es sich in der Karibik bequem machen können, hätten all den Albenkram, Sardrowain, den Lichtsturm in Frankfurt und den Krieg in der Anderswelt vergessen können - bei Mai Tais und exotischen