Лев Толстой

Worin besteht mein Glaube


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und καταδικάζω. Die falsche Übersetzung des Wortes καταλαλέω in der Epistel Jakobi, wo es durch das Wort afterreden wiedergegeben ist, bestätigte meinen Zweifel an der Richtigkeit des Ausdrucks. Ich forsche danach, wie im Evangelium die Worte κρίνω und καταδικάζω in verschiedenen Sprachen übersetzt sind, und finde, dass in der Vulgata das Wort verdammen durch condemnare wiedergegeben ist, ebenso heisst es im Französischen und im Slavischen heisst es ossuchdaite. Bei Luther steht das Wort »verdammen«, weiches einen andern Sinn hat.

      Die Verschiedenheit dieser Übersetzungen verstärkt noch meine Zweifel und ich steile mir die Frage: was bedeutet und was kann das griechische Wort κρίνω und das Wort καταδικάζω bedeuten, das der Evangelist Lukas gebraucht, der, nach dem Urteile der Kenner, ein ziemlich gutes Griechisch geschrieben hat. Wie würde jemand, der nichts von der Lehre des Evangeliums und dessen Erläuterungen weiss und der nur dies eine Wort vor sich hätte, dieses Wort übersetzen?

      Ich forsche im allgemeinen Wörterbuch und finde, dass das Wort κρίνω viele verschiedene Bedeutungen hat und darunter die ausserordentlich gebräuchliche Bedeutung gerichtlich verurteilen, töten sogar, nie aber die Bedeutung verleumden. Im Lexikon des neuen Testaments nachschlagend, finde ich, dass dieses Wort im neuen Testament oft in dem Sinne gerichtlich verurteilen gebraucht wird. Zuweilen hat es die Bedeutung auslosen, nie aber die Bedeutung verleumden. Und so sehe ich, dass das Wort κρίνω verschieden übersetzt werden kann, dass aber eine Übersetzung, die ihm die Bedeutung verleumden beilegt, die entfernteste und unerwartetste ist. Ich forsche nach dem Worte καταδικάζω, das sich an das Wort κρίνω anschliesst, welches so viele Bedeutungen hat, augenscheinlich um die Bedeutung festzustellen, in welcher das erste Wort vom Schreibenden gebraucht wird. Ich forsche nach dem Worte καταδικάζω im allgemeinen Wörterbuch und finde, dass dieses Wort nie eine andere Bedeutung hat, als die: gerichtlich zu Strafe verurteilen oder töten. Ich forsche im Wörterbuch des neuen Testaments und finde, dass dies Wort im neuen Testament viermal angewendet ist und jedesmal in dem Sinne verurteilen, töten. Ich forsche in den Kontexten und finde, dass dieses Wort in der Epistel Jakobi Kap. 5, 6 angewendet ist, wo es heisst: ihr habt verurteilet den Gerechten und getötet. Das Wort verurteilen, dasselbe Wort καταδικάζω ist auf Christus angewandt, den man gerichtet hat. – Anders, in einem anderen Sinne, wird dies Wort nie, weder im neuen Testament noch in irgend einer griechischen Sprache gebraucht.

      Was war denn das? So weit war ich zum Narren geworden? – Mir, so gut wie jedem von uns, der in unserer Gesellschaft lebte, musste, sobald wir über das Schicksal der Menschen nachdachten, grauen vor jenen Qualen und jenem Bösen, das die menschlichen Kriminalgerichte in das Leben des Menschen bringen: Böses für die Gerichteten und Böses für die Richtenden – von den Hinrichtungen des Tschingis-Chan und der französischen Revolution bis zu den Todesstrafen unserer Tage.

      Keinem Menschen von Gemüt ist jener Eindruck des Grauens und des Zweifels am Guten fremd geblieben beim Erzählen allein – ich spreche schon gar nicht vom Anblick der Strafen, die ein Mensch an einem andern Menschen vollzieht: das Spießrutenlaufen bis zum Tode, die Guillotine, der Galgen.

      Im Evangelium, von dem wir jegliches Wort heilig halten, heisst es offen und klar: ihr hattet ein Kriminalgesetz: Zahn um Zahn; ich aber gebe euch ein neues Gesetz: widerstrebet nicht dem Übel; erfüllet alle dies Gebot: vergeltet nicht Böses mit Bösem, sondern tut stets und allen Gutes und vergebet allen.

      Und weiter heisst es geradezu: richtet nicht. Und auf dass ein Missverständnis über die Bedeutung dieser Worte unmöglich sei, ist hinzugefügt: verurteilet nicht durch die Gerichte zu Strafen.

      Mein Herz sagt klar und vernehmlich: strafet nicht; je mehr ihr strafet, umso mehr Böses geschieht. Die Vernunft sagt: strafet nicht; durch Böses kann man nicht Böses verhüten. Gottes Wort, an das ich glaube, sagt dasselbe. Und ich lese die ganze Lehre, lese diese Worte: richtet nicht und ihr werdet nicht gerichtet werden; verdammet nicht und ihr werdet nicht verdammt werden; vergebt und euch wird vergeben werden; ich bekenne, dass es Gottes Worte sind, und sage, dass sie bedeuten, man solle nicht klatschen und verleumden, und fahre fort die Gerichte für christliche Institutionen zu halten und mich selbst als Richter und Christen anzusehen. – Und ich erschrak vor dem groben Irrtum, in dem ich mich befand.

      4

      Christi Lehre von den Gläubigen als unerreichbares Ideal, als Wahn von den Ungläubigen aufgefasst

      Ich begriff jetzt was Christus sagt, wenn er spricht: ihr habt gehöret, dass da gesagt ist: Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: widerstrebet nicht dem Übel, sondern ertraget es. – Christus sagt: es ist euch eingeprägt und ihr seid gewohnt das für gut und vernünftig anzuerkennen, dass man sich mit Gewalt gegen das Übel wehre und Aug' um Auge ausreisse, dass man Kriminalgerichte, Polizei und Armeen einsetze um sich gegen den Feind zu schützen. Ich aber sage euch: brauchet keine Gewalt, nehmet nicht teil an Gewalttaten, tut niemandem Böses, selbst denen nicht, die ihr eure Feinde nennt.

      Ich begriff jetzt, dass Christus im Gesetze des Nichtwiderstrebens dem Übel nicht nur darüber spricht was für jeden unmittelbar aus dem Nichtwiderstreben dem Übel entstehen würde, sondern dass er, im Gegensatz zu jenem Gesetze, welchem sich, nach Moses und nach dem römischen Rechte, das Volk zu seiner Zeit unterwarf und nach welchem, verschiedenen Gesetzbüchern nach, auch jetzt die Menschheit lebt, den Grundsatz des Nichtwiderstrebens dem Übel aufstellt, einen Grundsatz, der, seiner Lehre nach, die Basis des Lebens der Menschen miteinander sein und die Menschheit von dem Übel befreien soll, das sie sich selbst bereitet. Er sagt: ihr glaubt dass eure Gesetze das Übel verbessern; sie aber vergrössern es bloß. Es gibt nur einen Weg das Übel zu verhindern, – das ist: Böses mit Gutem zu vergelten, Gutes zu tun allen, ohne jeglichen Unterschied. Ihr habt tausende von Jahren nach jenem Gesetze zu leben versucht, – versuchet nun das meinige, das entgegengesetzte zu befolgen.

      Es ist merkwürdig! In der letzten Zeit habe ich oft Gelegenheit gehabt mit den verschiedenartigsten Menschen über dieses Gesetz Christi von dem Nichtwiderstreben dem Übel zu sprechen. Und wenn auch selten, so habe ich dennoch Leute gefunden, die mit mir übereinstimmten. Zwei Arten Leute aber sind es, welche selbst nicht im Prinzip eine einfache, gerade Auffassung dieses Gesetzes zugeben und die Gerechtigkeit des Widerstrebens dem Übel lebhaft verteidigen. Das sind jene Leute der zwei äussersten Pole: die patriotisch-konservativen Christen, die ihre Kirche als die einzig wahre ansehen, und die revolutionären Atheisten. Weder die einen noch die andern wollen dem Rechte entsagen mit Gewalt dem zu widerstreben, was sie für das Übel halten. Und selbst die klügsten und gelehrtesten unter ihnen wollen durchaus nicht jene einfache, augenscheinliche Wahrheit einsehen, dass, sobald man zugibt, ein Mensch dürfe sich mit Gewalt dem widersetzen, was er für ein Übel ansieht, ein anderer gleichfalls sich mit Gewalt dem widersetzen darf, was er seinerseits für ein Übel hält. Unlängst hatte ich einen in dieser Hinsicht belehrenden Briefwechsel zwischen einem orthodoxen Slavophilen und einem christlichen Revolutionär in Händen. Der eine verteidigt die Gewalttätigkeit des Krieges im Namen der unterdrückten Brüder, der Slaven, der andere die Gewalttätigkeit der Revolution im Namen der unterdrückten Brüder, der russischen Bauern. Beide verlangen Gewalttaten und beide stützen sich auf die Lehre Christi.

      Alle fassen die Lehre Christi im verschiedenartigsten Sinne auf, nur nicht in dem geraden, einfachen Sinne, der unverkennbar seinen Worten entströmt

      Wir haben unser ganzes Leben auf den Grundsätzen erbaut, die er verwirft, wir wollen seine Lehre nicht in ihrem einfachen, geraden Sinne verstehen und behaupten vor uns und vor den andern, entweder, dass wir uns zu seiner Lehre bekennen, oder dass diese seine Lehre für uns nicht taugt. Die sogenannten »Gläubigen« glauben, dass Gott-Christus, die zweite Person der Dreieinigkeit, zur Erde niedergestiegen ist um den Menschen ein Beispiel des Lebens zu geben, und erfüllen die kompliziertesten Handlungen, die zur Innehaltung der heiligen Sakramente, zur Errichtung von Kirchen, zur Sendung von Missionären, Einsetzung der Priester, Seelsorge der Gemeinde und Verbesserung des Glaubens erforderlich sind, – nur vergessen sie bei alledem einen geringen Umstand, sie vergessen das zu tun, was er gesagt hat. Die Nichtgläubigen dagegen versuchen auf allerhand Weise ihr Leben einzurichten,