Jürgen Mietz

Emanzipation des Individuums oder seine Funktionalisierung


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nun den Aspekt der Emanzipation fördernden „Augenhöhe“ zweier Subjekte zwischen Klient und Berater auszudünnen. Der Klient wird vom Bürger und Rechtssubjekt zum Objekt und Konsumenten von Angeboten zwecks Anpassung an die gegebenen Möglichkeiten. Es geht um die Fähigkeit weiter zu machen und nicht um Autonomiegewinn beziehungsweise nur in dem Maß und Sinn, wie er der Anpassung dient.

      Elemente eines solchen hierarchischen, paternalistischen Erziehungsansatzes in Pädagogik und sozialer Arbeit gab es schon immer. Er war jedoch relativiert und brüchig geworden, nachdem es nicht zuletzt obrigkeitliche und undemokratisch Verhältnisse waren, die Deutschland fähig und bereit machten, die Welt in zwei große Kriege zu stürzen und Millionen von Menschen zu vernichten. Eine Schlussfolgerung war, die Menschen als Subjekte zu etablieren. Sie sollten bürgerrechtlich und menschenrechtlich gebildet sein, als verantwortlich Gestaltende eine soziale Demokratie aufbauen. Der „autoritäre Charakter“ sollte der Vergangenheit angehören. Selbstverständlich gab es dieses Ideal nicht in Reinform und widerspruchsfrei. Dennoch schlug sich eine demokratisch emanzipatorische Haltung in Gesetzen, institutionellen Regeln, Praxen und Ausbildungen nieder.

      In einem rein ökonomischen Ansatz gesellschaftlicher Gestaltung, wie er in den letzten zwanzig Jahren praktiziert wird, lässt sich Derartiges nicht abbilden. Vielmehr muss Demokratie nun marktkonform gemacht werden, wie uns Angela Merkel erzählt, nicht etwa die Wirtschaft demokratisch. Letztlich folgt der Resilienzausbau solchen Vorgaben. Öffentliche Dienste sollen nicht – im weiten Sinn bilden – sondern fit machen (anpassen) für eine betriebswirtschaftlich, ökonomisch regulierte Welt. Dazu brauchen die Menschen seelische Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen, sie sollen sich – auch präventiv – auf Traumata und Verletzungen einer Welt des Wettbewerbs einstellen. Und haben sie sie erlitten, sollen sie sich wieder stark machen, aufstehen und weitermachen können. Dazu stehen bedingte und befristete Selbst-Optimierungsprogramme, Trainings und Fortbildungen bereit (Fordern und Fördern). Der reflexiv emanzipatorische Anteil sozialer Arbeit und Beratung kann damit zurückgeschraubt werden. Ebenso ergeht es der inneren Entwicklung der Institutionen.

      Die implizite oder explizite Umstellung auf Resilienz bedeutet einen immensen Umbau des Menschenbildes in sozialen und pädagogischen Institutionen. Begegnungsformen zwischen Klient und Beraterin verändern sich, wie auch die Umgangsformen in den sozialen und pädagogischen Organisationen, wie auch die beruflichen Selbstverständnisse der Professionellen, der Ausbildungen etc. Das kann traurige Folgen für die Betroffenen und für die Gesellschaft haben, mit einem inhaltlichen Begriff von Qualität und professioneller Verantwortung ist das immer weniger zu vereinbaren[Fußnote 1].

      Die Botschaft solchen Umbaus ist klar: Die Verhältnisse sind in Ordnung und unverrückbar, du bist nicht in Ordnung und bekommst, konditioniert, Gelegenheit, dich zu bessern/optimieren! Und wenn du das geschafft hast, bist du glücklich, zumindest zufrieden und versöhnt.

      Wer bedürftig an Bindung, Gehaltenwerden, Verstehen und Anerkennung seiner besonderen Lebenserfahrung ist, kann also damit konfrontiert sein, sich einem Training, einer Fortbildung, oder Lehrgängen zur Selbstoptimierung unterziehen zu sollen. Gelegenheiten und organisationelle Räume für Reflexivität, Verstehenszuwachs, Subjekt- und Mündigkeitsstärkung sind im Schwinden begriffen[Fußnote 2].

       Resilienzförderung – ein Ansatz der Verharmlosung und des Ignorierens

      Thomas von Freyberg[Fußnote 3] weist darauf hin, dass schwierige und verhaltensauffällige Kinder in ihrer frühen Lebensgeschichte seelische Verletzungen erlitten haben, sodass sie kaum Gelegenheit hatten, ein „gutes Objekt“ zu verinnerlichen, das für einen resilienten Prozess wichtig, wenn nicht gar Voraussetzung ist. Das verinnerlichte „gute Objekt“ wäre eine schützende und stützende Hilfe und Ressource.

      Fehlt diese Erfahrung des Gehaltenseins und der Resonanz und wird von der ökonomisch rationalisierten Umgebung die Tiefe und Komplexität der Voraussetzungen gekonnter, verstandener Anpassung (auf der Basis von Ich-Stärke) „übersehen“, wird aggressives, reizbares oder regressives, teilnahmsloses Verhalten in der Regel falsch interpretiert. Denn: Das kritisierte Verhalten ist nicht Ergebnis eines fehlgeleiteten, falschen Lernprozesses, der sich einfach durch veränderte Reiz-Reaktions-Schemata umstellen, optimieren ließe. Vielmehr ist das problematische Verhalten eine Schutz- und Abwehrstrategie.

      Der Zusammenhang ist folgender: Da wo Bindung und Schutz nicht oder nicht verlässlich zur Verfügung stehen, wo Orts- und Menschenwechsel, Armut und Überforderung psychische und physische Existenz infrage stellen, sind Menschen verwundbar. Und mit „gestörtem“ und störendem Verhalten ist es möglich, sich bedrohliche Menschen und Situationen vom Leibe zu halten, wenn diese mit ungenügend reflektierten Bedingungen – an Lebenserfahrungen vorbei – daherkommen, etwa mit kurzgreifenden Vorstellungen des Fordern und Förderns, womöglich noch im Gestus der Macht und der Ungeduld.

      Menschen durch ein Optimierungsgebot ihre Abwehr- und Schutzstrategie zu nehmen, birgt die Gefahr, dass sie noch verzweifelter werden und sich ihre Abwehrmechanismen verfestigen. So gesehen wäre der Resilienzansatz eine »Verharmlosung und Leugnung« (von Freyberg) schwerer Störungen. Menschen mit Scheiternserfahrungen vertragen nicht die mannigfachen Konditionierungen, die die modernen Hilfesysteme mit sich bringen.

      „Unter der Hand“ hat sich der einst kritische und fortschrittliche Ansatz der Ressourcenorientierung – nicht zuletzt in Verbindung mit dem Resilienzansatz – in ein »Konzept der Konfliktvermeidung oder Konfliktverharmlosung« verwandelt. Mit „positiver Pädagogik“ und „positiver Psychologie“ – also mit der Überhöhung der Verantwortung des Einzelnen und der Abwendung des Blicks vom Leid – wurde das Individuum auf sich zurückgeworfen. Ihm wird unterschwellig oder offen seine soziale Existenz, seine Gesellschaftlichkeit als Gleiche/r bestritten. Formal wird dem Hilfsbedürftigen Autonomie und Vertragsfähigkeit zugestanden. De facto hat er sich einem Abhängigkeitsverhältnis zu bewegen.

      So ist Ressourcenorientierung unter dem Einfluss der Resilienzforderung und dem Abbau subjektorienter, reflexiver, verstehender Hilfen, nicht mehr unbedingt das, was sie einmal war und was viele Menschen in den sozialen und pädagogischen Berufen inspirierte. Die Fokussierung und Verkürzung auf Resilienz (= Fertigwerden mit der Belastung und dem Unvermeidlichen) wurde zu einem Mittel, sozialstaatliche Verantwortung und Verantwortung für Bildung abzubauen. Verstehen, Solidarität, Anwaltlichkeit gelten dagegen als unprofessionell[Fußnote 4].

      Damit steht ein Bild vom resilienten Menschen vor uns, der wie ein Stehaufmännchen Verletzungen und Folgen seiner Biografie und des ab- und umgebauten Sozial- und Bildungsstaats wegsteckt. Schule und Sozialsysteme, wie Gesellschaft können derweil weiter rationalisiert werden, wenn doch mit Resilienz die Widerstandskraft der Individuen gestärkt wird, mag die verquere Logik sein.

       Folgen und Hindernisse

      Tatsächlich aber kann diese Aufgabenstellung der Institutionen und Professionellen Wut und Verzweiflung vorantreiben; denn die Ratsuchenden oder von Ausgrenzung Bedrohten spüren und ahnen sehr wohl, dass die Hilfe nicht ihnen als Mensch, sondern ihnen als Träger einer Rolle oder Funktion (als Kostenfaktor etwa) gilt. Statt Integration können wir es also mit einer Vielfalt von Entfremdungsprozessen zu tun bekommen. Solch fehlende Anerkennung von Subjektivität und gelebten oder entworfenen Lebens kann durchaus in Distanzierung und Feindseligkeit umschlagen. Einiges davon ist dann gelegentlich in einer Mischung aus Selbstbehauptung, Widerstand und Zerstörungswut zu besichtigen[Fußnote 5]. Nicht zuletzt wegen der Ausblendung und Diskreditierung verstehender Ansätze fällt dann auch oft wohlwollenden Mitmenschen nicht mehr ein als mehr Disziplinierung, mehr Strafe, strengere Gerichte oder mehr Kontrolle und Repression zu fordern – den Sicherheitsstaat, statt den Sozial- und Bildungsstaat.

      Wenn Lehrer, Psychologinnen, Sozialpädagogen dann noch monomethodische, funktionalisierte Ausbildungen durchlaufen haben, und ihre Institution Ergebnisorientiertheit und Funktionalität verlangt, scheitern nicht selten Hilfebemühungen. Als Lösung erscheint – nicht zuletzt als Entlastungsversuch der Professionellen – die Pathologisierung oder Psychiatrisierung der Scheiternden, oder etwas sanfter, ihre Überweisung in spezielle Maßnahmen oder Kurse, in der Regel nicht ohne ein bürokratisches Prüfverfahren, das