Sie ahnen nicht, was Sie dort erwartet.«
Fast verächtlich fragte sie: »Glauben Sie, daß auch ich feige bin? Ich nicht, ich gehe.«
»Es ist unmöglich!« sagte ich hastig. »Es ist ein reiner Zufall, daß sein Vater mich nicht umgebracht hat. Er kennt sich selbst nicht in seinem Zorn, ich sage ja, er ist wie ein wildes Tier. Er heißt in der Gegend nur der Raubold. Niemand will mit ihm zu tun haben, niemand kommt noch zu ihm. Oh, haben Sie doch Geduld, Catriona! Gumpel wird morgen oder übermorgen schon auf den Beinen sein, ich schwöre Ihnen, ich bringe ihn eigenhändig hierher!«
Sie sah mich an. »Ich glaube«, sagte sie, »ich verhandele lieber mit dem wilden Tier, dem Vater, als mit dem Sohn. Sie vergessen, daß ich Rechte habe, oh, nicht für mich, andere Rechte, heiligere Rechte« – wieder das rasche Rot –, »und daß ich mich nicht noch einmal täuschen lasse. Wenn sein Vater so ist, wird Gregor in Angst vor ihm leben, aus Angst wird er nie meine Rechte anerkennen wollen. Nein, gerade mit dem Vater werde ich reden!«
»Es kann nicht sein!« wiederholte ich. »Sie glauben vielleicht, er schont Sie, weil Sie eine Frau sind? Sie irren sich! Er schlägt Sie schon nieder, ehe Sie noch das erste Wort gesprochen haben.«
»Sparen Sie sich alle Worte, Herr Strammin«, unterbrach sie mich. »Ich gehe nach Ückelitz. Sie brauchen mich natürlich nicht zu begleiten, jeder Mensch wird mir den Weg dorthin zeigen.«
»Ich werde Sie begleiten, Catriona!« rief ich. »Denken Sie etwa, ich habe Angst für mich? Aber Sie, Sie ... Nein, es ist unmöglich! Ich bin nicht feige, aber ich werde Sie zurückhalten, und sei es mit Gewalt.«
»Sie vergessen, wer Sie sind, Herr von Strammin«, sagte sie kalt. »Sie haben kein Recht, anzunehmen, ich sei gänzlich ohne Stolz. Ich gehe unter allen Umständen – und zwar ohne Sie!«
»Oh, Catriona!« rief ich. »Verzeihen Sie mir doch! Ich habe nie gedacht, daß Sie ohne Stolz wären. Ich habe bis heute früh geglaubt, ich sei stolz, aber mein Stolz war nichts, nur Einbildungen, Überkommenheiten. Sie haben den echten Stolz, den Stolz des Menschen, der frei ist, lehren Sie ihn mich! Ich bin noch so jung ...«
Ich schämte mich nicht: Ich war vor sie hingefallen, ich hielt ihre Hände, ich streichelte sie krampfhaft.
»Oh, mein Ritter«, sagte sie. »Stehen Sie auf. Sie dürfen nicht so vor mir knien. Mein Stolz ist so oft verwundet, davon bin ich ungerecht geworden. Wir werden sehen, was wir tun. Ich will auch auf Sie hören –«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Ich fuhr aus meiner knienden Stellung auf und verbarg mein Gesicht. Sie saß aufgerichtet im Sessel, schon hatte sie wieder die Handschuhe zwischen den Fingern, glättete sie. Sie rief »Herein!«, ihre Augen lagen gespannt auf der Tür, sie lauschte, ihr Mund war halb geöffnet ... Liebt sie ihn denn wirklich noch?, dachte ich plötzlich in schmerzender Eifersucht.
Aber es war nur Herr Ericke, der eintrat. Der Mann sah grau aus, ich merkte ihm an, wie erregt er war, aber er sagte mit leidlicher Beherrschung: »Gnädige Frau, verzeihen Sie die späte Störung. Auch Sie bitte ich um Entschuldigung, Herr von Strammin. – Gnädige Frau, besondere Umstände zwingen mich, noch in dieser Stunde über dies Zimmer hier anderweitig zu verfügen. Darf ich Sie bitten, es zu räumen?«
Sie sah ihn mit einem seltsamen Lächeln an. »Es ist fast Mitternacht. Eine ungewöhnliche Stunde, eine Dame auf die Straße zu schicken, nicht wahr?«
Herr Ericke hatte schon den Koffer gefaßt. Ohne sie oder mich auch nur anzusehen, antwortete er mit einem gewissen Trotz: »Je weniger über diese Sache gesprochen wird, um so besser.« Er schickte sich an zu gehen.
Ich trat ihm in den Weg. »Einen Augenblick, Herr Ericke«, sagte ich. »Es ist Ihnen doch wohl klar, daß diese Dame nur mit mir Ihr Haus verläßt? Sie werden auch meine Sachen nach unten schaffen müssen.«
Herr Ericke atmete schwer. Dann hatte er sich entschlossen: »Ich würde es von Herzen bedauern, Herr von Strammin, aber auch in diesem Fall müßte meine Entscheidung unverändert bleiben.«
»Herr Ericke!« rief ich. »Besinnen Sie sich! Auf ein Geschwätz hin wollen Sie eine Dame um Mitternacht auf die Straße jagen? Nun, wenn Sie das tun, so wird es ein solches Geschwätz über Sie und Ihr Haus geben, daß Sie kaum noch jemanden auf die Straße zu setzen haben werden!«
»Das ist möglich«, antwortete Herr Ericke mit einem dünnen Lächeln. »Aber ich werde es auf diese Möglichkeit hin wagen.« Und er schickte sich an zu gehen.
»Herr von Strammin«, rief mich Frau von Lassenthin leise an. Ich trat zu ihr. Sie flüsterte: »Würden Sie die Güte haben, das Zimmer hier für mich zu bezahlen? Sie verstehen, ich will nicht aus diesem Hause gehen, ohne daß das Zimmer bezahlt ist.«
So zornig ich war, es kam mich beinahe ein Lachkrampf an. »Ich hoffe, es geht noch«, flüsterte ich zurück. »Ich habe nur noch ein paar Mark in der Tasche. Aber ich denke, sie werden reichen.«
Sie lächelte zurück. »Irrender Ritter«, flüsterte sie.
»Ganz so«, antwortete ich, und wir folgten Herrn Ericke, der von der Tür her mit mißtrauischen, mißbilligenden Blicken unser Geflüster beobachtet hatte. Es gab noch einen Aufenthalt an meiner Stubentür. Ich stopfte eilig alles herumliegende Zeug in meine beiden Satteltaschen, die ich über meinen Arm hing.
»Meinen Alex werde ich bis morgen früh in Ihrem Stall stehenlassen müssen, Herr Ericke«, sagte ich, wieder auf den Flur hinaustretend. »Ich hoffe, Sie erlauben mir wenigstens das.«
»Sie wissen sehr gut, Herr von Strammin, wie gern ich auch den Herrn des Alex als Gast behalten hätte«, antwortete Herr Ericke mit so aufrichtiger Trauer, daß ich meine boshaften Worte bedauerte.
Aber unten in der Halle gerieten wir beide dann doch wieder in Streit. Herr Ericke weigerte sich energisch, eine Rechnung für das Zimmer von Frau von Lassenthin auszufertigen. Es sei tatsächlich nicht benutzt und die besonderen Umstände ... Und ich, der ich ganz ungewiß über die Zahl der Markstücke in meiner Tasche war, mußte aufs entschiedenste auf diese Rechnung bestehen! Das sei eine neue Kränkung durch Herrn Ericke ...
Schließlich gab er nach. Sicher war es nicht Bosheit von ihm, sondern einfach Hotelroutine, daß er, nun einmal beim Schreiben, auch meine Rechnung ausfertigte. Ich sah sein Beginnen starr vor Schreck an. Ich hatte ungewöhnlich üppig zu Abend gegessen, die Bezahlung auch dieser Rechnung lag außerhalb jeder Möglichkeit! Aber konnte ich denn, nach allem Vorangegangenen, Herrn Ericke gestehen, daß weder Frau von Lassenthin noch ich im Besitz irgendwelcher nennenswerter Geldmittel waren? Was für ein neues, zweifelhaftes Licht wurde dadurch auf meine Dame geworfen! Gottlob merkte Frau von Lassenthin nichts von meinen Nöten. Sie besah, wie ich durch einen raschen Umblick feststellte, gerade die Fahrpläne der Rügendampfer.
So schob ich denn mit kurzem Entschluss die auf meinen Namen ausgefertigte Rechnung an Herrn Ericke zurück: »Dies ist Sache meines Vaters, in dessen Geschäften ich hier bin.« Dann fingerte ich aus meiner Tasche vier Markstücke – gottlob, es waren vier, nicht nur drei, wie ich gefürchtet hatte – und sagte: »Den Rest wollen Sie bitte Puttfarken geben. – Ist es Ihnen jetzt recht, gnädige Frau?«
Die Satteltaschen über dem Arm, ihren Koffer in der Hand, verließ ich hinter Frau von Lassenthin durch die Schwingtür den »Halben Mond«. Herr Ericke sah uns halb finster, halb traurig nach. Ich bin überzeugt, er war zehnmal verzweifelter als wir. So hatte er wohl noch nie Gäste aus seinem Haus gesandt. Das mußte ihm ja das Herz brechen!
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