Лев Толстой

Der Gefangene im Kaukasus


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      LUNATA

Der Gefangene im Kaukasus

      Der Gefangene im Kaukasus

      und andere russische Soldatengeschichten

      © 1882 Lew Tolstoi

      Originaltitel Kawkasski plennik

      Aus dem Russischen von L. A. Hauff

      Umschlagbild: Michael Sevier

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Der Gefangene im Kaukasus

       Waldgefecht

       Der Überfall

       Bekannte aus Moskau beim Detachement

      Der Gefangene im Kaukasus

       I.

      Im Kaukasus diente ein Offizier namens Schilin.

      Eines Tages erhielt er einen Brief von Hause. Seine alte Mutter schrieb ihm:

      »Ich bin jetzt schon sehr alt und schwach geworden und möchte vor meinem Tode noch einmal meinen lieben Sohn wiedersehen. Komm also, von mir Abschied zu nehmen und mich zu begraben, und dann magst Du in Gottes Namen wieder zu Deinem Regiment zurückkehren. Doch habe ich auch eine Braut für Dich ausgesucht, ein sehr kluges und hübsches Mädchen, auch nicht ohne Vermögen. Vielleicht wird sie Dir gefallen und Du wirst sie heiraten, Deinen Abschied nehmen und ganz zu Hause bleiben.« –

      Schilin bedachte sich nicht lange.

      »Wirklich, mit der alten Frau kann es bald zu Ende gehen. – Vielleicht werde ich sie gar nicht wiedersehen. – Also auf jeden Fall muß ich nach Hause! – Und ist die Braut hübsch, die sie mir ausgesucht hat, so kann ich ja am Ende auch heiraten!« –

      Er ging zum Oberst, verschaffte sich einen Urlaub, nahm Abschied von den Kameraden und beschenkte seine Mannschaft mit vier Eimern Schnaps zum Lebewohl. Dann traf er rasch seine Vorbereitungen zur Reise.

      Damals wütete der Krieg im Kaukasus und die Wege waren weder bei Nacht noch bei Tage sicher. Wenn jemand allein die Festung verließ, sei es zu Fuß oder im Wagen, so wurde er von den Tataren unterwegs überfallen und entweder getötet oder als Gefangener in die Berge entführt. Deshalb zogen zweimal wöchentlich von einer Festung zur anderen größere Heeresabteilungen, welche die Reisenden begleiteten.

      Es war Sommer. Beim Morgengrauen sammelten sich die Wagen vor der Festung. Die zum Marsche kommandierten Soldaten rückten aus dem Tor, nahmen die Reisenden in ihre Mitte und machten sich auf den Weg.

      Schilin war zu Pferde; sein Gepäck wurde im Wagenzug mitbefördert.

      Bis zur nächsten Station waren es fünfundzwanzig Werst. Nur langsam bewegte sich der Wagenzug dahin. Bald machten die Soldaten halt, bald ging von einem der Wagen ein Rad los oder wurde ein Pferd störrisch, und jedesmal mußte der ganze Zug deshalb anhalten und warten.

      Schon stand die Sonne hoch am Horizont; es war Mittag und kaum die Hälfte des Weges war vom Zug zurückgelegt. Hitze und Staub wurden sehr lästig, die Sonne brannte vom Himmel herab und nirgends war auf der baumlosen kahlen Steppe Schutz gegen ihre Strahlen zu finden. Kein Strauch war am Wege zu sehen.

      Schilin ritt voraus und hielt dann und wann an, um den nachfolgenden Zug zu erwarten; aber wieder und wieder gab es neuen Aufenthalt. Voller Ungeduld sagte Schilin endlich zu sich selbst: »Könnte ich denn nicht allein weiterreiten ohne die Soldatenbegleitung? – Das Pferd unter mir ist flink; wenn ich Tataren begegnen sollte, werde ich ihnen leicht entkommen! – Oder soll ich doch lieber nicht allein weiterreiten?«

      Er hielt an, um ruhig zu überlegen, als sich ein anderer Offizier zu Pferde und mit einem Gewehr bewaffnet, namens Kostylin, ihm näherte und zurief: »Komm, Schilin, wir reiten voraus! Ich komme hier um vor Hitze und Hunger!«

      Kostylin war ein großer, starker Mann mit rotem Gesicht, das in diesem Moment ganz in Schweiß gebadet schien.

      Nach kurzer Überlegung fragte Schilin: »Ist Dein Gewehr geladen?«

      »Gewiß!«

      »Nun, dann vorwärts! – Aber eine Bedingung: Wir trennen uns nicht, keiner verläßt den andern.«

      Beide ritten also voraus über die Steppe, unterhielten sich miteinander und spähten dabei aufmerksam nach allen Seiten aus. Sie hatten einen weiten, freien Gesichtskreis vor sich; doch schließlich hörte die Steppe auf und der Weg führte sie zwischen zwei Bergen durch eine Schlucht weiter.

      Schilin meinte: »Es ist nötig, auf den Berg hinaufzureiten, um Umschau zu halten; sonst können wir unversehens in der Schlucht überfallen werden!«

      Doch Kostylin suchte seine Bedenken zu widerlegen: »Wozu Umschau halten? – Reiten wir nur immer vorwärts!«

      Schilin aber wollte nichts davon hören.

      »Nein«, entgegnete er. »warte hier unten; ich muß hinauf, um zu rekognoszieren!«

      Und damit lenkte er sein Pferd links ab den Berg hinauf.

      Schilins Stute war ein sogenanntes »Jagdpferd«, er hatte es vor kurzem für hundert Rubel vom Pferdezüchter gekauft; es war mutig und feurig. In kurzer Zeit hatte es den Berg erklommen. Kaum war der Reiter auf dem Gipfel angelangt und warf einen flüchtigen Blick in die Runde, so sah er in kurzer Entfernung vor sich tatarische Reiter – es mochten gegen dreißig sein. Schleunigst wandte er sein Pferd; doch schon hatten ihn auch die Tataren entdeckt und verfolgten ihn, indem sie im vollen Jagen die Gewehre aus den Futteralen nahmen.

      Schilin galoppierte bergab, so schnell es sein Pferd nur vermochte, und rief Kostylin zu: »Mach Dein Gewehr schußfertig!«

      Mit Schrecken dachte er an sein Pferd und ermahnte es: »Mütterchen, tummle dich und mache nur keinen Fehltritt! Wenn du stolperst, bin ich verloren! Wenn ich erst das Gewehr habe, werde ich mich nicht ergeben!«

      Kostylin aber hatte nicht sobald die Tataren erblickt, als er, statt zu warten, davonsprengte, so schnell sein Pferd es nur vermochte, der Festung zu. Er hieb mit der Peitsche auf sein Pferd ein, bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Durch den feinen Staub sah man, wie sein Pferd mit dem Schweife schlug.

      Schilin sah, daß die Sache für ihn schlimm stand. Das Gewehr konnte er nicht mehr erreichen und mit dem Säbel allein ließ sich gegen den Feind nichts ausrichten. Er wandte sein Pferd nach dem Wagenzug, in der Hoffnung, auf diese Weise den Tataren zu entgehen. Doch bald bemerkte er, daß etwa sechs der feindlichen Reiter ihn überholten. Wohl hatte er ein prächtiges Pferd, aber die Gegner waren noch flinker und suchten ihm den Weg abzuschneiden. Er wollte ausweichen, doch war das Pferd schon in vollem Laufe und konnte dem Zügel nicht mehr gehorchen; es flog gerade auf die Tataren zu. Er sah einen derselben mit rotem Barte, auf einem grauen Pferde ihm immer näher kommen. Mit lautem Geschrei zeigte jener die Zähne und hielt sein Gewehr zum Schuß bereit.

      »Nun«, dachte Schilin, »euch Teufel kenne ich. Wen ihr lebendig fangt, den werft ihr in eine Grube und peitscht ihn mit Knuten. Lebend werde ich mich euch nicht ergeben.«

      Schilin war nicht von großem Wuchs, aber tapfer. Er zog seinen Säbel und wandte das Pferd gerade dem Tataren entgegen, indem er sich sagte: Entweder werde ich ihn überreiten oder mit dem Säbel vom Pferde herunterhauen!

      Aber das Pferd brachte Schilin nicht mehr weiter. In seinem Rücken fielen Schüsse, sein Pferd wurde getroffen, stürzte nieder und Schilin lag mit einem Fuß unter dem Pferd.

      Bevor er sich erheben konnte, hatten ihn schon zwei Tataren ergriffen und hielten ihm die Hände auf den Rücken. Er raffte sich auf und warf die beiden zurück. Inzwischen aber