Isabel Tahiri

Anna


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      Der Wachmann betritt das Labor und kommt zu meinem Käfig herüber.

      „Nummer Acht?“ Fragt er Anita.

      „Ja, Reinigung in der Desinfektionsdusche.“

      Er dreht sich zu mir um. „Dann wollen wir mal, Du wirst Dich doch benehmen? Oder?“ Dann zwinkert er mir vertraulich zu. Ich zucke zurück, aber dann nicke ich zögernd, irgendetwas ist seltsam, noch nie hat ein Wachmann mich als Mensch behandelt. Er öffnet die Käfigtür und nimmt mich am Arm, Anita kommt herüber und fasst nach meinem Anderen. Gemeinsam führen sie mich aus dem Labor, den Gang hinunter. Da ich sonst nie etwas anderes als das Stück Labor vor meinem Käfig sehe, schaue ich mich aufmerksam um.

      Wir kommen an einem schwarzen Brett vorbei. Ein Blatt sticht mir ins Auge, es sieht aus wie ein Zeitungsartikel. 'Der Staat als Retter' und das Datum '27.Oktober 2316' mehr kann ich nicht lesen. Das war eine Woche bevor ich hierher kam. Ich bekomme vom weiteren Weg nichts mehr mit, meine Augen füllen sich ungewollt mit Tränen, das ist schon so lange her. Ich weiß noch, als sie meinen Kommunikationschip entfernten, ich dachte damals, jetzt bin ich tot.

       *

      Anita und Peter führten Anna schweigend zu den Duschen. Erst als sich die Tür der Reinigungsanlage hinter ihnen schloss, begannen sie zu reden.

      „Und?“ Peter zog eine Augenbraue nach oben um die Frage zu unterstreichen.

      „Nichts.“ Anita begann Anna beim Ausziehen zu helfen. „Danke, Sie können vor der Tür warten, wir kommen jetzt allein zurecht.“ Peter ging hinaus.

      Anita beugte sich zu Anna hinüber und flüsterte ihr ins Ohr. „Anna, wir finden einen Weg, Dir zu helfen, halte durch!“ Dann zog sie ihr das Oberteil über den Kopf, Anna hatte die Augen weit aufgerissen. Nach der Dusche wurde sie neu eingekleidet und wieder in ihren Käfig zurückgebracht.

       *

      Anita will mir helfen! Ich kann es kaum glauben. Meine Gedanken kreisen den ganzen Tag darum. Vielleicht käme ich doch noch hier heraus und könnte ein normales Leben führen. Ein normales Leben, pah, so wie früher? Bestimmt nicht, wenn ich hier nicht ordnungsgemäß entlassen werde...

      Was meint sie mit Helfen? Ich habe so viele Fragen, kann aber keine Einzige davon stellen, sie würden es hören. Mir fallen Dinge von früher ein, was bin ich stolz gewesen, als ich mit zwölf endlich den Chip bekommen habe, alle meine Freundinnen hatten einen, nun konnten wir ohne Erwachsene untereinander kommunizieren. Dass meine Eltern so immer wussten, wo ich bin und was ich tat, kam mir damals nicht in den Sinn. Ich bin so blöd gewesen. Ich berühre meine Schläfe, die Narbe ist immer noch zu spüren, schwach, aber sie ist da.

      Jetzt habe ich einen anderen Chip, im Nacken. Er verbindet mich leider nicht mit der Außenwelt, aber dafür finden sie mich jederzeit. Die Labortür zischt, es kommt jemand.

       *

      „Frau Dr. Parell?“ Ein kleiner, etwas rundlicher Mann kam durch die Tür, sein Schutzanzug sah lächerlich aus, er schlug Falten am Bauch. Das musste noch einer der ersten Generation sein. Die modernen Anzüge passen sich an dem Körper an.

      Anita blickte von ihren Notizen auf. „Ja?“ Der Mann blieb an der Tür stehen und machte einen unbehaglichen Eindruck, man sah, er war nicht gerne hier.

      „Ich komme vom Ministerium für Sicherheit, mir liegt eine Anzeige vor.“

      Anita klang verwundert. „Gegen mich?“

      Er nickt. „Ja.“

      „Warum?“ Was hatte sie angestellt?

      „Sie waren am dreiundzwanzigsten November ohne Genehmigung im Park und haben sich dort siebenundzwanzig Minuten aufgehalten, haben Sie eine Erklärung dafür?“ Er sah sie prüfend an.

      Ach das. „Äh, mir war nicht bewusst, dass ich das nicht darf. Entschuldigung. Ich erinnere mich natürlich. Auf dem Nachhauseweg hatte ich Lust auf einen kleinen Abstecher in den Rosengarten. Das habe ich schon öfter gemacht, nie hat es jemanden gestört.“ Sie sah bekümmert aus.

      Der Mann vom Ministerium schüttelte den Kopf. „Das hätte es diesmal wahrscheinlich auch nicht, aber es war bereits dunkel. Ab 18.00 h ist das Betreten des Parks ohne Genehmigung verboten.“

      Sie schien in sich zusammen zu fallen. „Oh, das tut mir leid, ich wusste das nicht.“

      Er hob den Zeigefinger. „Es steht aber auf dem Schild am Eingang, Sie hätten es sehen müssen!“

      Anita schaute zerknirscht zu dem Beamten hinüber. „Dann habe ich wohl eine Strafe verdient, ich war so in Gedanken, auf das Schild habe ich gar nicht geachtet. Es tut mir wirklich leid.“

      Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Beamten. „Nun, Sie sind geständig und einsichtig. Ich denke, Sie bereuen ihre Tat. Es war ja auch das erste Mal. Diesmal belassen wir es bei einer Verwarnung. Aber denken Sie daran, die Schilder stehen nicht zum Spaß herum, Sie müssen sie auch lesen!“

      Sie lächelte dankbar. „Ja, es tut mir leid. Ich werde das nächste Mal daran denken.“ Anita fiel ein riesiger Stein vom Herzen, natürlich wusste sie um die Vorschriften, sie befolgte sie immer. Aber vor lauter Neugier hatte sie diesmal nicht daran gedacht, sie musste vorsichtiger sein, in Zukunft.

       *

      Anita hat gelogen, so gut kenne ich sie inzwischen, ich habe ja nichts anderes zu tun, als sie zu beobachten.

      Aber es hat geklappt, der Beamte ist, ohne eine Strafe zu verhängen, wieder abgezogen. Was hat sie im Park gemacht? Warum war sie da? Hat sie jemanden getroffen, der mir helfen kann? Schon wieder Fragen, die ich nicht stellen kann, es macht mich verrückt.

      Sie kommt zu mir herüber und bittet mich, ihr meinen Nacken zu zeigen. Als ich es tue, verspüre ich einen kleinen Piks, ich habe gar keine Spritze in ihrer Hand gesehen. „Alles in Ordnung mit dem Implantat, Du kannst Dich wieder umdrehen.“ Fragend schaue ich sie an, aber Anita gibt keine Erklärung ab. Sie geht zurück zu ihrem Schreibtisch und trägt etwas in eine Liste ein.

      Ich habe das Gefühl, sie beobachtet mich, immer wieder wirft sie einen Blick in meine Richtung. Will sie mir etwas sagen?

      Zwei Stunden später bekomme ich Kopfschmerzen, ich kneife die Augen zusammen, das Licht schmerzt zu sehr. Meine Ohren klingeln, ich möchte schreien, dann wird alles schwarz.

       *

      „Notruf, ich muss operieren, bitte OP 2 fertigmachen.“ Anita verständigte die Zentrale.

      „Art des medizinischen Notfalls?“ Tönte es aus dem Lautsprecher.

      „Impantatüberladung, schnell sonst stirbt der Proband.“ Die Tür öffnete sich zischend, zwei Sanitäter mit einer Trage kamen herein. Sie waren sehr schnell hier gewesen. Sie legten Nummer Acht darauf und verschwanden wieder. Anita rannte hinterher. Im OP 2 entfernte sie das Implantat und reinigte die Wunde, bevor sie sie mit zwei Stichen wieder verschloss. Anna wurde zurück in den Käfig gebracht. Noch schlief sie, aber in einer Stunde spätestens würde sie wieder erwachen.

      Anita setzte sich hin, um ihren Bericht zu schreiben, jedes Wort wollte reiflich überlegt sein.

       *

      Mit Löschen war er jetzt schnell bei der Hand, allerdings nur die sehr privaten Dinge. Es ging den Staat einfach nichts an, wenn man mit seiner Frau Sex hatte oder vor Schmerzen weinte. Man hatte sowieso nur sehr wenig Privatsphäre. Auch wenn er jetzt hier saß und andere beobachten musste, es gefiel ihm nicht. Aber der Staat hatte ihn hier her gesetzt. Ihm verdankte er alles. Seine Gefühle waren zwiespältig, einerseits war er dankbar, dass sich jemand um ihn gekümmert hatte, als damals seine Eltern bei einem Unfall starben. Er war erst Neun zu diesem Zeitpunkt. Andererseits fand er es furchtbar,