setzte er hinzu, sich noch einmal umwendend, »wagt Euch nicht zu weit ins Gewühl – nicht etwa weil Ihr die Rüstung und das Pferd nicht beschädigen sollt – sondern aus Rücksicht auf Euer eigen Leben und auf Eure gesunden Glieder.«
»Dank der Fürsorge!« sagte lächelnd der Wallfahrer. »Ich nehme Eure Freundlichkeit an.«
Damit trennten sie sich und schlugen verschiedene Wege nach Sheffield ein.
6
Das englische Volk befand sich damals in recht jammervoller Lage. König Richard war fern und in Gefangenschaft des grausamen und treulosen Herzogs von Österreich. Prinz Johann machte im Bunde mit Philipp von Frankreich all seinen Einfluß auf den Österreicher geltend, um seines Bruders Gefangenschaft zu verlängern und die Thronfolge, indem er seine Partei im Königreiche in der Zwischenzeit nach Kräften verstärke, dem rechtmäßigen Erben, seinem älteren Bruder, dem Herzog Arthur von Britannien, zu entreißen – was ihm dann ja auch gelungen ist. Johann war ein treuloser, lasterhafter Charakter und wußte leicht all die um sich zu scharen, die ihrer Taten wegen die Rückkehr Richards aus dem Morgenlande zu fürchten hatten, und all jene, die von den Kreuzzügen heimgekommen waren, behaftet mit den Lastern des Orients und in ihrer Armut und Hoffnungslosigkeit beseelt von dem Triebe, im Bürgerkriege neue Schätze zu ernten. Hierzu kam noch, daß es infolge der Bedrückungen des Lehnsadels von Geächteten im Lande wimmelte, die sich zu Banden zusammengetan hatten und in den Wäldern und Wildnissen ihr Wesen trieben, allen Gesetzen und der Obrigkeit Hohn sprechend. Die Adligen selbst machten sich auf ihren Schlössern zu Häuptern von Banden, die es nicht besser trieben als die erklärten Banditen. Unter all diesen Beschwerden litt das Volk in der Gegenwart und fürchtete mehr noch für die Zukunft. Aber bei all dem Elend nahm der Arme wie der Reiche, der Vornehme wie der Geringe an einem Schauspiel teil, das damals die größte Sehenswürdigkeit war. Das Turnier, wie man diese kriegerischen Veranstaltungen nannte, fand zu Ashby statt, in der Grafschaft Leicester. Streiter von hohem Namen sollten sich vor dem Prinzen Johann in eigener Person messen, der selber in die Schranken zu treten beabsichtigte.
Der Platz war herrlich gelegen. Mitten in einem Walde, der bis auf eine Meile an die Stadt Ashby herantrat, lag eine Wiese, die mit ihrem glatten Boden wie geschaffen für das kriegerische Spiel erschien. Der Raum maß etwa eine englische Meile in der Länge und eine halbe in der Breite und hatte die Form eines Vierecks, dessen Ecken zur besseren Bequemlichkeit der Zuschauer abgerundet waren. Am Süd- und Nordende lagen die Zugänge für die Kämpfer, starke, hölzerne Tore, die so breit waren, daß zwei Reiter nebeneinander hindurchkonnten. An jedem Tore stand ein Herold mit sechs Trompetern und einer kleinen Abteilung bewaffneter Mannschaft. Außerhalb des Kampfplatzes waren vorm Südende auf einer kleinen Erhöhung fünf prachtvolle Zelte aufgeschlagen, die schwarz und golden geschmückt waren, Das waren die Farben der fünf Ritter, die die Herausforderungen zum Turnier erlassen hatten. Vor jedem Zelte hing der Schild des Ritters, und ein Knappe in zierlicher Tracht, je nach dem Geschmack seines Herrn als Wilder, als Waldbewohner oder in sonst einem phantastischen Kostüm gekleidet, stand davor. Den Ehrenplatz unter den Zelten hatte Brian de Bois-Guilbert inne, dessen Herausforderung dank seinem Ruhm in allen ritterlichen Übungen von den ruhmreichsten Streitern angenommen worden war. Neben seinem stand das Zelt des Reginald Front-de-Boeuf und Philipps von Malvoisin. An der andern Seite lag der edle Baron Hug von Grant-Mesnil, und das fünfte Zelt gehörte einem Ritter vom Johanniter-Orden, Ralph de Vipont. Der Zugang vom Norden her war ein ebensolcher Einlaß, an dessen äußerem Ende sich ein breiter umfriedeter Raum für die zum Turnier gemeldeten Gegner öffnete. Tribünen, die mit Teppichen und Polstern belegt waren, bildeten die Plätze für die Damen; die Freisassen und alle, die nicht zum gemeinen Volk gehörten, hatten einen Raum zwischen den Tribünen und den Schranken inne, ähnlich dem Parkett eines modernen Theaters. Die große Masse fand auf Rasenbänken Platz. Auch auf den Bäumen ringsum hockten eine Menge Zuschauer.
An der Ostseite der Tribünen, gerade gegenüber dem Punkte, wo die Streiter aufeinander treffen mußten, war eine Art Baldachin mit den königlichen Insignien angebracht. Um diesen für den Prinzen bestimmten Platz stand eine Schar reichgekleideter Edelherren, Pagen und Freisassen. Diesem Ehrenplatz gegenüber, also an der Westseite, fiel ein ähnlicher Sondersitz ins Auge, der nur nicht ganz so prächtig geschmückt war. Um diesen grün und rot ausgelegten Platz stand eine Schar von grün und rot gekleideten Pagen und Mädchen, und zwischen Wimpeln und Bannern, die mit Köchern, Bogen und Pfeilen und blutenden Herzen und allen möglichen Sinnbildern der Triumphe Amors bemalt waren, prangte eine Inschrift, aus der hervorging, daß dieser Platz für die Königin der Liebe und der Schönheit bestimmt sei. Wer aber diese Auserkorene sein würde, war jetzt noch nicht zu sagen. Die Plätze der Zuschauer füllten sich indessen allmählich und auf den Tribünen wurde die Zahl der Edeldamen und Herren immer stattlicher, und der Raum unter ihnen war gleichfalls schon dicht gefüllt von Bürgern und handfestem Landvolk, zwischen denen es öfter zu Streitigkeiten kam.
Reich gekleidet und in einen mit Spitzen besetzten und mit Pelz gefütterten Mantel gehüllt, suchte Isaak von York für sich und seine Tochter Rebekka einen guten Platz zu finden. Sie war in Ashby mit ihm zusammengetroffen. Und während sich beide noch durch die Menge wanden, erregte die Ankunft des Prinzen Johann die allgemeine Aufmerksamkeit. Er ritt mit einem zahlreichen Gefolge herein, in dem sich auch der Prior von Jorlvaux in so prächtiger Kleidung befand, wie es seine kirchliche Würde nur irgend zuließ. Herrlich zu Roß und prunkend gekleidet, einen Falken auf der Hand, auf dem Kopfe ein Pelzbarett und einen Kranz von Edelsteinen, das lange Haar in Locken um die Schultern, so sprengte Prinz Johann in die Schranken. Er unterhielt sich laut und lachend mit seinem Gefolge und musterte mit der Kühnheit eines königlichen Beurteilers die Schönheiten auf den Tribünen. Wohl trugen die Züge des Prinzen das Gepräge der Ausschweifung, der rücksichtslosen Selbstsucht und des Hochmutes, aber doch fehlte es ihnen nicht an einer gewissen Anmut, wie sie eine offene, wohlgeformte und künstliche zu äußerlicher Höflichkeit gewöhnte Miene immer aufweist. Leicht wird wohl ein solches Wesen als Edelsinn, Offenheit und männlicher Freimut angesprechen, und doch steckt nichts weiter dahinter als selbstsüchtige Gleichgültigkeit, Lust zu Ausschweifungen und Dünkel auf Rang und Reichtum. Für die, die nicht in die Tiefe schürften, und ihre Zahl verhielt sich wie eins zu hundert, waren die prunkende Erscheinung des Prinzen, sein Zobelmantel, seine Maroquinstiefel und seine goldenen Sporen Grund genug, ihn mit lautem Beifallsjubel zu empfangen.
Das Auge des Prinzen fiel bei seinem Umritt sogleich auf den Juden und seine Tochter, die vergebens Platz zu finden suchten und mit harten Worten allerorten zurückgewiesen wurden. Und selbst dem scharfen Kennerblick des Prinzen Johann erschien die Gestalt der Rebekka den stolzesten Schönheiten Englands ebenbürtig. Ihr regelmäßiger Wuchs kam durch ihre orientalische Kleidung noch mehr zur Geltung. Zu ihren dunkeln Augen stand der gelbseidene Anzug wundervoll. Herrliche Brauen wölbten sich unter der weißen Stirn, die Zähne waren wie Perlen, und das reiche schwarze Haar fiel zu einzelnen Locken gewunden auf den schneeweißen Hals und Busen hinab, die von einem persischen Seidenschal zum Teil bedeckt waren. Um den Hals trug sie ein Brillantenkollier, das von unschätzbarem Wert sein mußte.
»Bei dem kahlen Schädel Abrahams,« sagte Prinz Johann, »die Jüdin ist ein Prachtexemplar. Was sagt Ihr, Prior Aymer? Fürwahr, sie ist die Braut des Hohen Liedes selber.«
»Eine Rose Sarons und eine Lilie im Tal!« antwortete der Geistliche in singendem Tone. »Aber Euer Hoheit müssen bedenken, es ist nur eine Jüdin.«
»Sieh! da ist ja auch ihr Vater,« sagte der Prinz, ohne auf seine Worte zu hören, »der Baron von Byzanz, der Marquis von Mammon. Beim heiligen Markus, der Wucherfürst soll mit seiner Tochter einen Platz auf der Tribüne bekommen. He, Isaak! wer ist die morgenländische Houri, die du am Arme führst, dein Weib oder deine Tochter?«
»Meine Tochter Rebekka, zu Euer Hoheit Befehl,« antwortete Isaak mit einem tiefen Bückling. Die Ansprache des Prinzen setzte ihn nicht in Verlegenheit, denn zur Zeit gerade stand der Prinz mit den Juden von York in Unterhandlung wegen einer Anleihe, und bei diesem Geschäft war Isaak in hervorragender Weise beteiligt.
»Ob Tochter oder Weib,« erwiderte der Prinz, »sie soll einen Platz haben, wie er ihrer Schönheit und deinen Verdiensten gebührt. Wer sitzt dort