erkannte Brian etwas, das ihm in der Dunkelheit bisher entgangen war.
»Hugo!« rief er, »am Fuße des Kreuzes liegt einer und schläft, oder es ist vielleicht ein Toter. Gib ihm einen Stoß mit der Lanze!«
Als dies geschehen war, erhob sich die Gestalt und rief auf gut französisch: »Wer du auch sein magst, es ist unhöflich, mich in meinen Gedanken zu stören.«
»Wir wollen von dir nur wissen, wo es nach Rotherwood geht, zu Cedric dem Sachsen.«
»Da will ich selber hin,« antwortete der Fremde, »und wenn ich ein Pferd hätte, so wollte ich Euch schon führen, der Weg ist schwer zu finden, aber ich kenne ihn genau.«
»Lohn und Dank harren dein, mein Freund, wenn du uns sicher zu Cedric bringst,« sagte der Prior.
Er rief seinen Diener und bestieg sein eigenes Roß, das bisher geführt worden war, während er seinen Maulesel dem Fremden überließ.
Ihr Führer schlug einen anderen Weg ein als Wamba ihnen genannt hatte, der sie ja nur hatte irre führen wollen. Der Pfad führte tiefer in den Wald hinein und über manchen Bach, der, von Sumpf umgeben, schwer zu passieren war, aber der Fremde fand stets die sichersten Stellen und hatte die anderen binnen kurzem auf eine breite Allee gebracht. Auf ein großes niedriges und unregelmäßiges Gebäude zeigend, rief er: »Dies ist Rotherwood, das Haus Cedrics des Sachsen!«
Der Prior Aymer, den dieser Ruf aus Angst und Unruhe befreite, wandte sich jetzt zum ersten Mal an den Wegweiser mit der Frage, wer und woher er sei.
»Ein Pilgrim, der eben aus dem heiligen Lande zurückgekehrt ist,« war die Antwort.
»Ihr hättet dort bleiben sollen und um das heilige Grab kämpfen,« sagte der Templer.
»Freilich, hochwürdiger Herr,« entgegnete der Pilger, dem der Anblick eines Tempelherrn nichts Neues zu sein schien, »wenn aber Männer, die durch Eid verpflichtet sind, die heilige Stadt zu erobern, so fern vom Schauplatz ihrer Pflichten herumreisen, wie kann es Euch da Wunder nehmen, daß ein so friedlicher Landmann wie ich nicht seinem Vorsatz treu geblieben ist?«
Der Templer wollte eine zornige Antwort geben, der Prior aber unterbrach ihn, indem er sein Erstaunen äußerte, daß sich der Führer nach so langer Abwesenheit noch so gut im Walde zurecht fände.
»Ich bin in dieser Gegend geboren,« antwortete der Pilger.
Jetzt standen sie vor Cedrics Hause, einem niedrigen, unregelmäßigen Bau, der, mehrere Umzäunungen und Abteilungen eingerechnet, einen ziemlich großen Raum bedeckte. Obwohl man an der Form erkennen konnte, daß es einem reichen Manne gehörte, so war es doch grundverschieden von jenen hohen, vieltürmigen, schloßartigen Gebäuden, deren Stil in ganz England der herrschende geworden ist. Rotherwood war nicht ohne Befestigung, die in dieser unruhigen Zeit kein Gebäude entbehren konnte, wenn es nicht Gefahr laufen wollte, über Nacht in Brand gesetzt oder geplündert zu werden. Das ganze Haus umschloß ein tiefer Graben, der sein Wasser aus dem nächsten Strome erhielt. Er war durch doppelte Pallisaden verstärkt, deren Pfahlwerk der angrenzende Wald geliefert hatte. Vom Westen her führte eine Zugbrücke herein, deren Zugang noch besonders durch vorspringende Wälle gesichert war. Vor diesem Eingang stieß jetzt der Templer laut ins Horn, denn der Regen, der längst loszubrechen gedroht hatte, fiel nun endlich in Strömen.
3
In einer Halle, deren geringe Höhe mit ihrer Länge und Breite gar kein rechtes Verhältnis hatte, stand ein langer, eichener Tisch, der aus roh behauenen Planken des nahen Waldes gefertigt und kaum ein wenig abgehobelt worden war. Auf dieser Tafel wurde bei Cedric dem Sachsen das Abendessen aufgetragen. Das Dach der Halle bestand aus Bohlen und Strohbelag. An jedem Ende war eine große Feuerstätte, da die Kamine aber sehr primitiv waren, so ging fast ebenso viel Rauch in das Gemach wie zum Schornstein hinaus. Von dem fortwährenden Qualm waren die Balken der Decke mit einem schwarzen Firnis von Ruß bedeckt. Die Wände waren mit Waffen und Jagdgerät behängt, und an jeder Ecke führten Flügeltüren in andere Teile dieses umfangreichen Gebäudes. Was sonst im Hause zu sehen war, entsprach gleichfalls der rohen Einfachheit der Sachsenzeit, an der Cedric festzuhalten entschlossen war. Der Vorsaal war aus Erde und Lehm, die miteinander vermengt und festgestampft waren nach Art von Scheunentennen. Etwa ein Viertel des Gemaches lag um eine Stufe höher, und dieser Teil, der sogenannte Baldachin, war für die Mitglieder der Familie und für vornehme Gäste bestimmt.
Quer über diesen Raum hinweg stand ein Tisch mit einer scharlachenen Decke; von seiner Mitte ging der längere und niedrigere Tisch aus, an dem in der Tiefe der Halle die Dienerschaft und die anderen geringeren Leute speisten. Auf der erhöhten Fläche standen massige Stühle von geschnitztem Eichenholz, und über Stühle und Tafel hin war ein Thronhimmel von Linnen gespannt, der die Plätze der Vornehmen ein wenig vor Wetter und Regen schützte, die oft durch das schadhafte Dach drangen. Und soweit der Thronhimmel reichte, waren die Wände dieses höher gelegenen Teiles der Halle mit Tapeten und Vorhängen bekleidet, und die Diele bedeckte ein Teppich. Plumpe Versuche der Web- und Stickkunst, in grellen, fast schreienden Farben ausgeführt, bildeten ihren Zierrat. Über der niederen Tafel lag die kahle Decke, die mit Gips beworfenen Wände waren nackt, und der raue Boden hatte keinen Teppich. Auch war keine Decke über den Tisch gebreitet, und an Stelle der Stühle standen lange Bänke. Die beiden Mittelsitze der oberen Tafel waren ein wenig höher als die übrigen. Das waren die Plätze des Herrn und der Frau vom Hause, und neben beiden Sesseln stand auch zum äußeren Zeichen ihrer höheren Würde eine Fußbank von seltsamer, mit Elfenbein ausgelegter Schnitzerei.
Auf dem einen dieser Sessel saß jetzt Cedric der Sachse. Aus seinen Zügen sprach große Biederkeit, aber auch eine heftige, zornige Gemütsart. Er war nicht über Mittelgröße, aber breit in den Schultern und langarmig und stark gebaut, und man sah es ihm an, daß er an die Strapazen von Krieg und Jagd gewöhnt war. Er hatte ein breites Gesicht, große, blaue Augen, einen offenen, geradsinnigen Ausdruck, prächtige Zähne und einen hübsch geformten Schädel und war von jener Art froher Laune, die man oft im Verein mit einem vorschnellen, jähzornigen Gemüt antrifft. Sein Auge blitzte Stolz und Eifersucht, denn bisher war seines ganzen Lebens Arbeit darauf gerichtet gewesen, seine Rechte gegen beständige Angriffe zu verteidigen. Sein langes, gelbes Haar war in der Mitte gescheitelt und von jeder Seite auf die Schulter herabgekämmt; es war noch kaum merklich mit Grau vermischt, obgleich Cedric der Sachse schon nahe den Sechzigern war. Er trug einen grasgrünen Leibrock, der an Hals und Ärmelaufschlägen mit Pelzwerk besetzt war. Dieser Kittel hing offen über einem engeren Rock von scharlachener Farbe, der den Leib fest umschloß. Beinkleider von derselben Farbe reichten nur bis an die Knie herab, die sie ganz frei ließen. An den Füßen trug er Sandalen, die vorn goldene Hefteln hatten. Seinen Leib umschlang ein mit Knöpfen reich besetzter Gürtel, in dem ein kurzes, nicht gebogenes, zweischneidiges Schwert fast senkrecht steckte. An Schmucksachen trug er ein goldenes Halsband und goldene Armbänder. Ein scharlachroter Mantel mit Pelzbesatz hing hinter seinem Sessel, und wenn er ausging, vervollständigte eine reich gestickte Mütze aus dem gleichen Stoff den Anzug des reichen Grundbesitzers. An der Lehne seines Stuhles stand ein Wurfspieß mit scharfer stählerner Spitze, den er je nach Bedarf als Spazierstock oder als Waffe gebrauchte. Mehrere Diener, in deren Tracht manche Abstufung von der reichen Kleidung ihres Herrn bis zur einfachen Gewandung Gurths des Schweinehirten zu erkennen war, standen seiner Befehle gewärtig. Ferner waren ein paar große, gefleckte Windspiele da, wie man sie zur Hatz auf Hirsch und Wolf braucht, dann ein paar Hunde von plumper, knochiger Art mit dickem Nacken und langen Ohren, und endlich noch ein paar kleine Dachshunde.
Cedric war eben nicht in gemütlicher Stimmung. Lady Rowena, die grade von einer Abendmesse zurückkam, wechselte ihre durchnäßten Kleider. Noch war keine Nachricht gebracht worden, ob Gurth und seine Herde gut heimgekommen seien, und doch hätten sie schon längst da sein müssen. So wenig sicher war alle Habe, daß ihr Ausbleiben auf den Überfall einer Räuberbande, von denen es im Walde wimmelte, oder auf eine Gewalttat eines benachbarten Barons zurückgeführt werden konnte, der im Bewußtsein seiner Übermacht fremdes Eigentum nicht achtete. Hierin lag Grund genug zu ernster Besorgnis, außerdem aber verlangte es den sächsischen Thane nach seinem Liebling