Gerdt von Bassewitz

Peterchens Mondfahrt


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nach dem anderen zur Erinnerung an seine Frau – obwohl sie damit ganz gewiß nicht einverstanden gewesen wäre –, und in sehr angeregter Stimmung summte er in Zickzacklinien durch die Gärten. Er störte die Mücken bei ihrem Abendtanz und die Leuchtkäfer beim Versteckspielen. Er rempelte die Apfelblüten an, daß die kleinen Marienkäferkinderchen herauspurzelten, die da eben einschlafen wollten. Er zerriß der schieläugigen Spinne die Fangnetze und rannte ... bums! ... gegen alle Fenster, weil er nicht mehr genau unterscheiden konnte, ob ein Fenster offen oder geschlossen war. Es tat ihm aber nichts, denn er hatte einen sehr harten Schädel. »Hoppla!« sagte er meistens nur und flog weiter, von gewaltigem Tatendurst getrieben. ›Ein Ritter bin ich‹, so dachte er, ›und der letzte Sumsemann!‹

      In der Kinderstube

      So war der letzte Sumsemann denn auch eines schönen Abends in das Schlafzimmer von Peterchen und Anneliese geraten, als die Kinder gerade von der dicken Minna zu Bett gebracht wurden.

      Peterchen hatte natürlich sein Gebrumm gehört und wollte ihn greifen. Gut war nur, daß Minna die Jagd nicht erlaubte, denn sonst wäre Sumsemann vielleicht in eine schlimme Lage geraten. Sie war wahrscheinlich schwerhörig, denn sie hatte gar nichts gehört und glaubte, daß Peterchen ihr nur etwas vormachen wolle, um im Hemdchen noch so »ein bissel« im Zimmer herumzuturnen.

      Der Schreck war dem edlen Sumsemann aber doch scheußlich in die Glieder gefahren, und, trotzdem er gerade heute besonders viele Vergißmeinnichtschnäpschen getrunken hatte, war all sein Mut fort. Er lag oben auf der Gardinenstange und stellte sich tot. Dies ist ein altes und bewährtes Mittel bei den Maikäfern, in großen Gefahren. Derweil aber paßte er genau auf, was im Zimmer geschah. Die Minna ging fort, als sie die Kinder ins Bettchen gepackt hatte, und Peterchen unterhielt sich mit Anneliese natürlich gleich über den Maikäfer. Jetzt wurde es wieder gefährlich!

      Der Sumsemann bekam oben auf der Gardinenstange kolossales Herzklopfen, als Peterchen plötzlich leise aufstand, um ihn zu suchen, weil Anneliese ein bissel Angst hatte.

      ›Wer weiß, es hätte ihm doch ans Leben gehen können; obwohl die Kinder ja sonst gut waren. Aber man darf sich auf die Gutmütigkeit der Menschen nicht verlassen.‹ Dies wußte er aus seiner Familiengeschichte.

      Das Geschick war ihm aber günstig; denn, gerade als Peterchen an der Gardine war und die Gefahr am höchsten stieg, kam die Mutter herein. Husch! wurde der kleine Junge wieder ins Bettchen gesteckt; beide Kinder mußten die Hände falten und das Nachtgebet sprechen. Dann sang die Mutter ihnen noch ein Schlaflied. Und sie sang die berühmte Maikäferballade. Hier ist sie:

      »War einst ein kleines Käferlein,

      Summ – Summ – Summ – Hatte zwei braune Flügelein,

      Summ – Summ – Summ – Und sechs Beinchen hatte es auch

      Unter seinem schwarz-weißen Bauch,

      Summ – Summ – Summ.

      Saß auf einem grünen Baum,

      Summ – Summ – Summ – Träumte einen schönen Traum,

      Summ – Summ – Summ – Träumte von Sonne, Mond und Sternen

      Und von fremden Länderfernen,

      Summ – Summ – Summ.

      Als der dunkle Abend kam,

      Summ – Summ – Summ – Käferlein sein Ränzel nahm,

      Summ – Summ – Summ – Wollt' auf die große Reise gehn

      Und die weite Welt besehn,

      Summ – Summ – Summ.

      Flog über einen breiten Bach,

      Summ – Summ – Summ – Verlor ein kleines Beinchen, ach!

      Summ – Summ – Summ – Reiste nur noch mit fünf Beinen,

      Tat so bitterlich drum weinen,

      Summ – Summ – Summ.

      Flog es nach dem Mond geschwind,

      Summ – Summ – Summ – Kam ein großer Wirbelwind,

      Summ – Summ – Summ – Brach ein Flügelchen entzwei;

      Ach, das gab ein groß' Geschrei!

      Summ – Summ – Summ.

      Fiel in einen tiefen Wald,

      Summ – Summ – Summ – Starb an seinem Kummer bald,

      Summ – Summ – Summ – Mußt' die Reis' ein Ende haben;

      Sandmännchen hat es eingegraben,

      Summ – Summ – Summ.«

      ›Seltsam!‹ Herr Sumsemann oben auf der Gardinenstange wunderte sich, daß die Menschen dies Lied auch kannten. Es war ihm aber ein neuer Beweis für die Berühmtheit der Maikäfer auf der weiten Welt, und dies beruhigte ihn sehr. Als die Kinder nun eingeschlafen waren und die Mutter aus dem Zimmer ging, fasste er neuen Mut. Ganz leise rappelte er sich auf und spazierte in der Stube herum.

      Er besah und beschnüffelte alles. Eine Puppenstube, ein Schaukelpferdchen, ein Lämmchen, Soldaten und Bilderbücher waren da. Lauter langweilige Sachen!

      In der Puppenstube war allerdings etwas Zucker; aber Zucker? Puh, den mochte er nicht! Er verstand gar nicht, wie man so was essen könnte. Dann waren noch zwei Körbchen mit Äpfel da. Die Mutter hatte sie den Kindern für morgen hingestellt, wenn sie recht brav ausgeschlafen hätten. Er schüttelte den Kopf. ›Wie konnte man nur Äpfel essen?!‹ Unbegreiflich war ihm das. Greuliche Bauchschmerzen hätte er bekommen. Er aß nur Salat; das war vornehm. ›Komisch, was den Menschen alles gut schmeckt!‹ dachte er, und dabei mußte er laut lachen. Da er aber so viel Vergißmeinnichtschnäpse getrunken hatte, geriet er plötzlich aus dem Gleichgewicht und purzelte auf den Rücken. Au!... das war eine außerordentlich fatale und unangenehme Lage für den dicken Sumsemann, denn jeder weiß, daß es für Maikäfer sehr schlimm ist, auf den Rücken zu fallen, weil sie sich dann gar nicht mehr recht aufrappeln können. Er angelte also mit seinen fünf Beinchen in der Luft herum und dachte: ›Ja, ja, das kommt von den Schnäpschen, die man zum Andenken an die tote Ehefrau trinkt!‹

      Lebte sie noch, sie hätte ihm sicher eins ausgewischt für die vielen Schnäpschen. Er wiegte sich nach rechts und links wie ein kleines Boot, kreiselte herum wie eine Karussell und quälte sich sehr. Endlich geriet er in die Nähe eines Tischbeins, und daran konnte er sich stützen, so daß er wieder hochkam. Ganz schmutzig war sein schöner, brauner Rock geworden. Alle Knöpfe waren abgeplatzt, und eine lange Naht war aufgerissen. Gut, daß ihn seine Frau nicht mehr sehen konnte. Nun saß der Sumsemann eine Weile am Tisch und dachte nach, womit er sich die Zeit vertreiben könnte. Da er aber weiter nichts anzufangen wußte und über die traurige Stimmung hinwegkommen wollte, nahm er seine kleine Geige und spielte sich ein lustiges Maikäfertänzchen; dazu sang er:

      »Eins, zwei, drei – eins, zwei, drei,

      Fiel eine Biene in den Brei;

      Plumsdibums,

      Dideldumdei!

      Alle Käfer sitzen drum herum,

      Lachen sich schief,

      Lachen sich krumm,

      Brumm, brumm!

      Vier, fünf, sechs – vier, fünf, sechs,

      Macht eine Fliege einen Klecks;

      Putschpitschpatsch,

      Klickklackklecks!

      Pfui, ruft jeder rechte Käfermann,

      Seht sie an,

      Was sie kann,

      Heran, heran!

      Sieben, acht, neun – sieben, acht, neun,

      Tanzen alle kleinen Käferlein;

      Ringelreih,