Ben Bennett

Sünde


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am Flughafen abholen und dann wird sich alles klären.“

      Hannah entschied sich dafür, draußen auf der Bank auf den Wagen zu warten, der nach den Worten der Sekretärin nicht lange auf sich würde warten lassen, in Sandalen, Kleid und einer hastig aus dem Koffer gefischten Lederjacke der klirrenden Winterluft trotzend – um nicht auch noch das zu vermasseln und im Flughafengebäude verloren zu gehen, unauffindbar für ihre Gastgeber.

      Irgendwie musste sie dort eingenickt sein, übermüdet vom Flug und der Zeitverschiebung, denn als sie erwachte, stand ein eleganter, grau melierter Herr vor ihr. Auf den ersten Blick schätzte sie ihn auf Anfang sechzig. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd, ergänzt um eine seidig glänzende tiefrote Krawatte; dazu schwarze Budapester. Im Hintergrund auf dem Seitenstreifen parkte eine schwarze, lang gestreckte Limousine – ein Mercedes. Die hintere Tür stand offen. Das also war er.

      „Señorita Goldlaub?“, vernahm sie die Stimme des Mannes gedämpft, noch halb im Schlaf. Seine rechte Hand berührte sanft ihre Schulter, so als hätte er bereits versucht, sie wachzurütteln.

      Während sie die Augen aufschlug, konnte sie seinen Atem in der Luft sehen.

      „Gott sei Dank, ich dachte schon, Sie wären erfroren“, stieß er erleichtert aus.

      Er schien sich wirklich Sorgen um sie gemacht zu haben. „Wien ist nicht Buenos Aires, Sie können hier nicht mitten im Winter draußen auf einer Bank sitzen, nur in einem dünnen Kleidchen!“, tadelte er sie in väterlicher Manier.

      „Herr … Schön?“, stammelte sie.

      „Nein!“, lachte er für einen Moment auf. „Ich bin Ludwig Leonhard, wir haben am Telefon gesprochen“, erklärte er. „Herr Schön wird später zu uns stoßen. Oder besser gesagt: Wir zu ihm. Und nun kommen Sie bitte, im Auto ist es warm.“

      Er reichte ihr die Hand.

      Hannah ergriff sie, ohne weiter nachzudenken. Sie fühlte sich warm an. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie selbst nahezu steif gefroren war. Sie konnte von Glück sagen, dass er sie rechtzeitig gefunden hatte.

      Der Anwalt winkte dem Fahrer der Limousine, der nun ausstieg und ihr verbliebenes Gepäck im Kofferraum verstaute.

      Minuten später waren sie auf der Autobahn. Ludwig Leonhard saß neben ihr im Fond des Wagens, und Hannah hatte sich tief in die von einer auf Hochtouren laufenden Sitzheizung gewärmten weichen Lederpolster fallen lassen.

      Ihr Verhalten war unentschuldbar. Sie hatte keine Ahnung, warum sie so neben sich stand – erst verlor sie die Tasche mit all ihren Unterlagen und dann fand ihr Gastgeber sie halberfroren auf wie eine Obdachlose. Die ganze Sache war ihr unendlich peinlich.

      „Sie müssen wissen, normalerweise bin ich nicht so …“, versuchte sie dem Anwalt neben sich zu erklären, dass sie auch über ein paar gute Seiten verfügte, eingeschüchtert wie ein kleines Mädchen, das in einem Supermarkt beim Stehlen erwischt worden war. Genauso fühlte sie sich. Obwohl sie keine Gesetze übertreten hatte – außer dem Gesetz, dass eine in Siebenmeilenstiefeln auf die vierzig zugehende Frau langsam in der Lage sein sollte, sich wie eine Erwachsene zu benehmen.

      „Sie müssen sich nicht entschuldigen“, beruhigte Ludwig Leonhard sie mit fester Stimme und lächelte sie milde an. „Das hätte mir auch passieren können.“

      Im Rückspiegel sah sie, dass der Fahrer ein Lachen kaum unterdrücken konnte. Er musste die Lippen wirklich ganz fest zusammenpressen.

      Das war ein Scherz.

      Erst jetzt erfasste sie es. Die heitere, gelassene Stimmung, die sich im selben Moment im Innern der Limousine ausbreitete, ließ Hannah augenblicklich auftauen – im wahrsten Sinne des Wortes.

      „Sie Witzbold“, lachte sie kopfschüttelnd, zum ersten Mal befreit seit ihrer Ankunft in Österreich, und Ludwig Leonhard und der Fahrer stimmten fröhlich mit ein. Draußen vor dem Fenster flog die Winterlandschaft vorbei. Sie hätte ewig so weiterfahren können, so behaglich war es, in dem luxuriösen Wagen zu reisen. Vor allem, als sie schließlich die Stadt erreichten und durch das verschneite Wien fuhren. Es war eine Kulisse, wie Hannah sie nur aus Märchen kannte.

      „Ich werde versuchen, die dreitausend Euro zurückzuzahlen“, bot sie an. „In Raten.“

      Der Anwalt schüttelte den Kopf.

      „Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen“, erwiderte er. „Das Problem sind eher die Papiere. Sie werden ein Weilchen hier bleiben müssen, bis wir Ihnen neue besorgt haben. Gleich morgen klären wir das mit der argentinischen Botschaft.“

      „Das würden Sie tun?“

      „Selbstverständlich, Frau Goldlaub, Sie sind unser Gast.“

      Wenn das die Gastfreundschaft der Österreicher war, dann liebte Hannah dieses Land und seine Menschen jetzt schon!

      „Und Herr Schön, er wird … mir nicht böse sein wegen des verlorenen Geldes “…?, fragte sie.

      Ihr eigentlicher Gastgeber war ja entgegen der Ankündigung der Sekretärin noch nicht erschienen. Möglicherweise hatte sie ihn verstimmt mit ihrem wirklich absolut unentschuldbar dummen Verhalten, das einem tapsigen Teenager zu Gesicht stehen würde, nicht aber einer erwachsenen Frau.

      Der Anwalt indes schien sich auch darüber nicht die leisesten Sorgen zu machen.

      „Das würde mich sehr wundern“, versicherte er ihr mit einem freundschaftlichen Lächeln. Er klang so überzeugt, dass sie es nur zu gern glauben wollte. Auch wenn sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie jemand nicht böse sein konnte auf einen Volltrottel wie sie, der mal eben dreitausend Euro verloren hatte.

      „Dann muss er wohl ein sehr wohlhabender Mann sein …“, stellte sie fest.

      Ludwig Leonhard nickte.

      „Das ist er“, erwiderte er lächelnd. „Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Er wäre es auch, wenn sein Kontostand bei null wäre.“

      Langsam wurde Hannah wirklich nervös.

      „Wenn Sie nichts dagegen haben, fahren wir Sie jetzt erst einmal zum Hotel“, holte der Anwalt sie zurück in die Wirklichkeit. „Dort können Sie ein heißes Bad nehmen und sich ein wenig ausruhen. Danach wird Herr Schön Sie dann persönlich empfangen …“

      Er betonte das letzte Wort auf geheimnisvolle Weise und zwinkerte ihr verschwörerisch zu – fast so als handele es sich dabei um eine Audienz beim Papst.

      Für eine Sekunde fragte sich Hannah, ob sie all das nur träumte.

      „Haben Sie denn etwas Warmes zum Anziehen dabei?“, fragte Ludwig Leonhard, sie hatten ihr Ziel offenbar fast erreicht.

      Hannah schüttelte den Kopf, erneut bis auf die Knochen blamiert.

      „Ich habe in der Aufregung nicht daran gedacht, dass hier Winter ist …“, gab sie offen zu.

      „Das macht nichts, Verehrteste. Frau Wendler, meine Sekretärin, wird Ihnen in der Zwischenzeit ein paar Sachen vorbei bringen lassen. Größe 36?“

      Hannah nickte sprachlos. Es war fast zu schön, um wahr zu sein.

      Einen Moment später fuhren sie auch schon vor dem Hotel vor. Einem futuristischen Glaspalast an der Donau, mit Blick auf die Altstadt. Von außen wurde die Wagentür geöffnet und ein Hotelangestellter in eleganter Uniform half ihr galant aus dem Wagen.

      „Ich checke Sie noch schnell ein und hole Sie dann später ab für das Treffen mit Max Schön“, erklärte Ludwig Leonhard ihr den weiteren Ablauf.

      Als wenig später die Zimmertür hinter ihr ins Schloss fiel, in ihrer Studio-Suite hoch über den Dächern Wiens, glaubte Hannah, die noch eine Stunde zuvor so unsanft aus allen Wolken gefallen war, im Paradies gelandet zu sein.

      7

      Alles war schneeweiß. Nicht nur draußen vor der sich weit aufspannenden