Anni Leineweber

Trau Dich! Rekorde sind nicht alles.


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und ich soll nicht in der Lage sein, das auch zu schaffen? Also ein neuer Versuch. Vielleicht eine Minute bringe ich noch zustande und gebe auf. Für heute werfe ich das Handtuch und gehe ziemlich mies gelaunt nach Hause. Kaum zu glauben, aber ich spüre sogar meine Beine, als hätte ich den Mount Everest bezwungen. Unglaublich!

      Wieder einmal ziehe ich das Internet zu Rate. Aha, Anfängerfehler, lese ich zu meinem Erstaunen. Zu schnell angelaufen ist des Rätsels Lösung. Zu schnell, na ja. Eine Schnecke, wenn ich denn eine gesehen hätte, hätte ich sicher so gerade noch hinter mir zurückgelassen. Aber gut, kein Problem, das lässt sich regeln. Langsamer geht immer. Zumal es mir eh nicht um Geschwindigkeit geht. Der Weg ist das Ziel und, nicht vergessen, „lächelnd“ durchs Ziel soll es irgendwann einmal gehen.

      Ich brauche noch einige Versuche, die mich nicht gerade als Laufgenie ausweisen, aber es wird jedes Mal ein ganz, ganz, ganz klein bisschen besser. Es gibt Tage, da denke ich, alles kein Problem, es läuft im wahrsten Sinne des Wortes, und an anderen Tagen fühle ich mich so was von untalentiert, dass ich denke, ich sollte mich besser nach einer anderen Sportart umsehen.

      Aber nein, ich habe mir etwas vorgenommen, und ich WILL es schaffen. Egal, wie lange es dauert. Alles ist möglich, nur eines gibt es nicht: AUFGEBEN!

      Ich fasse den Entschluss, mir eine Pulsuhr mit GPS zu kaufen. Sie soll mir helfen, in einem gleichmäßigeren Rhythmus zu laufen, und zeigt mir ebenfalls, wie lange und wie weit ich gelaufen bin. Das macht Laune, weil ich auf diese Weise selbst die kleinsten Fortschritte sehe.

      Und das klappt. Ich sehe, wie hoch mein Puls ist, und finde mit der Zeit heraus, bei welchem Pulsschlag ich mich wohlfühle und länger laufen kann, ohne mich total platt zu fühlen. Es gefällt mir, wie ich von Woche zu Woche ein bisschen besser werde.

      Nun laufe ich seit etwa drei Monaten, manchmal zweimal die Woche, manchmal dreimal oder auch nur einmal die Woche. Je nachdem, wie es hinkommt, mal morgens, mal abends. Ich schaffe schon Läufe von 30 bis 45 Minuten Dauer. Manchmal gönne ich mir eine kleine Gehpause, um dann wieder locker weiterzulaufen. Na ja, nur die Länge der Strecke ist noch stark ausbaufähig. Wie heißt es so schön: „Was lange währt, wird endlich gut“. Und ganz wichtig, ich habe zwar ein Ziel, aber absolut keinen Zeitdruck.

      Gemeinsam wird man stark.

      Gemeinsam wird man stark.

      Nachdem ich nun schon geraume Zeit meine Runden alleine drehe und überwiegend Läuferinnen oder Läufer sehe, die alleine laufen, wünsche ich mir eigentlich jemanden, mit dem ich zusammen laufen könnte. Klar ist es eine Umstellung. Wenn man alleine läuft, kann man loslaufen, wann immer man gerade Lust und Zeit hat. Wenn man mit jemandem zusammen läuft, muss man sich absprechen und Kompromisse machen. Egal, ich verspreche mir viel davon, wenn ich nicht immer alleine laufe.

      In meinem direkten Umfeld wüsste ich niemanden, der auch läuft oder wie ich Anfänger ist und den ich fragen könnte.

      Schnell finden sich aber, wieder einmal im Internet, Hinweise auf sogenannte Lauftreffs. Dort finden sich Menschen zusammen und teilen ihre Freude am Laufen. Rund um meinen Wohnort gibt es vier Gruppen, die zu den unterschiedlichsten Zeiten trainieren. Das möchte ich ausprobieren. Sicher sind dort auch erfahrene Läuferinnen und Läufer, die mir bestimmt auch den einen oder anderen Tipp geben können.

      Also starte ich den Versuch und fahre zum Treffpunkt.

      Natürlich bin ich angespannt. Erstens weiß ich nicht, was mich für Menschen erwarten, und zweitens ist offen, ob meine Laufleistung schon für eine solche Gruppe reicht.

      Zuerst fällt mir die große Anzahl an Teilnehmer auf. Ein bunt gemischtes Menschenknäuel. Große und kleine, dünne und dicke, junge und ältere. Ebenfalls nehme ich die fröhliche, lockere Stimmung zur Kenntnis. Ich bewege mich auf die Menge zu und bringe ein zaghaftes „Guten Abend“ über die Lippen. Die Resonanz ist minimal. Klar, alle sind irgendwie im Gespräch und achten nicht auf einen Neuling wie mich. Ich fasse meinen Mut zusammen und spreche zwei junge Frauen an, die zusammenstehen, und frage, ob es so etwas wie einen Leiter gibt. „Ja, gibt es, der Herr in dem blauen Trainingsanzug, den kannst du ansprechen.“

      Aha, man duzt sich, schließe ich aus der Antwort. Ich steuere auf den Herrn zu und warte brav neben ihm stehend, bis er mich bemerkt und sein Gespräch mit einem anderen Herrn unterbricht. „Guten Abend, mein Name ist Anni, ich bin neu hier und wollte fragen, ob ich hier mitlaufen kann und was die Voraussetzungen sind.“ Er streckt mir mit den Worten „Ich bin der Heinz“ die Hand entgegen, lächelt mich an und heißt mich herzlich willkommen. Seine erste Frage: „Bist du schon mal gelaufen?“ Kurz fasse ich meine bisherigen Aktivitäten zusammen. „Na, das ist doch schon mal was, dann schlage ich vor, du läufst bei der Gabi in der Gruppe mit.“ „Gabiiiii, kommst du mal“, ruft er mit der Hand winkend in Richtung einer etwa Mittdreißigerin.

      Gabi kommt umgehend und erfährt, dass ich neu bin und bei ihr mitlaufen soll. „Hallo, ich bin die Gabi.“ „Wie lange läufst du schon, und bist du schon mal eine Stunde am Stück gelaufen?“ Oha, erwischt. Eine Stunde bin ich noch nie am Stück gelaufen. Ehrlich antworte ich, worauf umgehend die Frage nach der längsten Strecke kommt. „So ungefähr fünf Kilometer waren das Längste.“ „Tja, dann müssen wir mal sehen“, erklärt Gabi mir. „Alle Gruppen laufen immer eine Stunde, jede Gruppe in einer anderen Geschwindigkeit, und daraus ergibt sich die Streckenlänge.“ „Meine Gruppe ist die langsamste mit der kürzesten Strecke, wir laufen normalerweise sechseinhalb Kilometer, traust du dir das zu?“ Noch ehe ich antworten kann, ermutigt mich Gabi, es einfach zu probieren. „Aber was ist, wenn ich nicht mitkomme“, frage ich zögerlich. „Ach, wir versuchen es, wenn du willst, und wenn es nicht läuft, sagst du mir Bescheid, und dann sehen wir mal.“ „Okay“, reagiere ich kurz und knapp.

      Aus der Ferne kommt der Aufruf zum Sammeln. Alle gehen näher zusammen, und Heinz begrüßt alle zum Trainingsabend. Es folgen ein paar Informationen zu Terminen und die Einteilung in die Gruppen. Dann ergreift eine andere Sportlerin das Wort und fordert die Teilnehmer auf, sich etwas zu verteilen, damit vor Beginn der Läufe ein paar Dehnübungen gemacht werden können. Insgesamt gefällt mir das alles schon sehr gut, aber ich bin gespannt, wie ich gleich durch die Stunde komme.

      Gabi gibt das Zeichen zum Start.12 Läuferinnen und Läufer zählen zu „meiner“ Gruppe. Ich bin also die dreizehnte, sicher ein gutes Zeichen. Aber was mir gleich auffällt, ich bin mit Abstand die Älteste in dieser Gruppe. Ob mir das zum Verhängnis wird? Langsam setzen sich nach und nach die einzelnen Gruppen in Bewegung. Die Schnelleren sausen an uns vorbei. Wir „traben“ ganz gemütlich an. Es bilden sich kleine Grüppchen, und es wird gequatscht, nur ich bin mit mir beschäftigt und ganz still. Die Gruppe zieht sich in die Länge, ich befinde mich eher in der Mitte.

      Gabi hat die Gruppe im Auge und läuft hinten. Plötzlich ist sie neben mir und erkundigt sich nach meinem Befinden. „Erstaunlich gut“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Lauf immer ganz ruhig und gleichmäßig weiter, dann klappt es schon“, gibt sie mir mit auf den weiteren Weg. Dann sagt sie zu zwei Läuferinnen, die in etwa auf meiner Höhe laufen: „Nehmt doch bitte Anni mal in eure Mitte, sie läuft noch nicht so lange und kann ein bisschen Unterhaltung gebrauchen.“ „Klar, warum nicht?“ kommt prompt die Antwort und schon bin ich „eingekreist“. „Hallo, ich bin die Bea und ich die Margret“, stellen sie sich kurz vor. „Klappt doch ganz gut“, bauen sie mich gleich noch auf. „Danke, ich gebe mein Bestes“, antworte ich erstaunlich locker.

      Es beginnt eine lose Unterhaltung, und wir tauschen uns über Lauferfahrung, Ziele, Erfolge und Niederlagen aus.

      Ein Blick auf meine Uhr zeigt mir, dass wir schon etwas über drei Kilometer und knapp eine halbe Stunde unterwegs sind. Ich erwarte so langsam die ersten Anzeichen von „Ich kann nicht mehr“, aber sie bleiben aus. Die Unterhaltung lenkt mich so sehr ab, dass ich gar nicht merke, dass ich laufe und laufe und laufe, wie ein VW. Jedenfalls stelle ich für mich fest, dass mit anderen zu laufen entspannender ist. Wenn ich alleine laufe, denke ich fast über jeden Schritt nach und spüre die Anstrengung. Jetzt ist von all den Gedanken keiner da. Es macht richtig Laune.

      Plötzlich,