Peter Schmidt

GEN CRASH


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gehörte zu jenen, die das Ansinnen, legale Mittel anzuwenden, so lange ablehnten, wie Geheimdienste selber existierten – so lange, wie die Lüge, die sie ermöglichte, nicht aus der Welt geschafft war. Er nahm sie als bequeme Rechtfertigung seiner eigenen überdrehten Manöver, und ich hatte immer danach getrachtet, ihm dabei nicht in die Quere zu kommen.

      Er würde ohne weiteres zugeben wollen, dass unser Verwaltungsapparat oder die Bürokratie genauso korrekt arbeitete wie alle übrigen Beamten. Aber an der Front galten andere Regeln. Die Front war eine Grauzone, die es offiziell gar nicht gab. Wenn sie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geriet, dann nur durch einen Betriebsunfall. Es gab Aktionen draußen, nicht mehr.

      Ich folgte Forum ins Haus.

      Drinnen schob ich mich grüßend durch Gruppen blass aussehender Jüngelchen mit Sektgläsern in der Hand, die eben vor dem Toilettenspiegel ihre Mitesser ausgedrückt haben mussten, so fleckig waren ihre Gesichter. Kaum zu überhören, dass sie Quands Rausschmiss als großes Geheimnis betrachteten, als eine Art Welträtsel, das über sie und ihren Herrn und Meister gekommen war wie der Urknall über den leeren Raum.

      Dann sah ich ihn am Ende des Zimmers stehen, seine bleiche, hohe Gestalt mit der Mathematikerstirn – trotz des konzilianten Lächelns immer noch der unnachgiebige Agentenhäuptling einer Schar devoter, um Aufmerksamkeiten und Zuneigung bemühter Krieger, und selbst Forum nahm sich gegen ihn merkwürdig blass und nichtssagend aus.

      Quand gab mir die Hand und sagte: "Schön, dass wenigstens Sie aus dem Sperrbezirk zu uns herübergekommen sind, Adrian. Das Beerdigungskomitee lässt grüßen, oder?"

      Er nickte dankbar, als man ihm ein Glas Sekt reichte, und stieß mit mir an. Er hatte sechs Kisten vom teuersten Morfoll aus den Pyrenäen kommen lassen, angeblich, weil er im Aroma gleichwertig sei und weniger nach faulen Eiern roch als Chardonnay.

      Ich sagte: "Ihre Tochter soll mit Slava einen Boxkurs belegt haben? Die Mädchen jagen ihre Sparringspartner durch den Ring, dass es eine wahre Freude ist."

      "Ein Schlag aufs Nasenbein hat noch keinem geschadet", erklärte er mit undurchsichtiger Miene.

      Er blickte an Forum vorbei zum Fenster. Irgend etwas am Fensterrahmen oder hinter der Scheibe schien seine Aufmerksamkeit zu erregen.

      Forum war Luft für ihn. Er würdigte ihn keines Blickes und wandte ihm immer die Seite zu, bei der er nicht Gefahr lief, ihm zur Begrüßung die Hand geben zu müssen. Er trug eine Armprothese, aber gewöhnlich verstand er es meisterhaft, einen seine Behinderung vergessen zu lassen. Diesmal, im Kreise seiner engsten Getreuen, hatte er den matt glänzenden schwarzen Bakelitarm neben sich auf dem Tisch abgelegt und seine Ärmel hochgekrempelt, wie um allen zu signalisieren, nun würden nicht einmal mehr die Krüppel verschont.

      Ich ging hinüber und konzentrierte mich auf das Büfett. Es gab Lachs, mit Käse überbackene Riesengarnelen in Sahne und zum Nachtisch kleine adlerähnliche Marzipanvögel mit purpur- und goldfarbenem Gefieder, die – ihre Schwingen ausbreitend – auf Aschehaufen standen. Eine Brüsseler Spezialität mit Krokant- und Mandelfüllung. Ich verbiss mir jeden Kommentar zur Symbolik des Bildes.

      Forum schob einen nach dem anderen in den Mund, vielleicht, weil sie ihn an seine süßen Damenliköre erinnerten, und seine Kiefer mahlten gedankenverloren.

      Er hatte Quand in einem unbeobachteten Moment beiseite genommen, aber seine Reaktion auf das, was er ihm mit beschwörenden Gebärden zuflüsterte, schien so untauglich zu sein wie das Gestammel des Mörders nach der Tat. Quand hatte nur undurchsichtig lächelnd die Achseln gezuckt und auf den Teller mit den Marzipanvögeln gedeutet. Danach waren sie sich aus dem Weg gegangen.

      Irgendwann, ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt – der Sektkonsum hatte das Stadium erreicht, bei dem nur noch aus der Flasche getrunken wird –, hörte man den Aufschrei seiner Jünger, und Quand schleuderte seinen Bakelitarm klirrend durch die große Fensterscheibe

      Die Blicke seiner Getreuen wanderten ratlos zwischen den Splittern der zerschmetterten Scheibe und der Stelle auf dem Tisch hin und her, wo seine Prothese gelegen hatte. Quands Miene war völlig unbewegt – das Gesicht eines Künstlers in der Arena, der den Applaus des Publikums erwartete. Dann klatschte jemand in der hintersten Reihe wie ein Claqueur Beifall, und der Rest der Indianertruppe brach in Hochrufe aus.

      "Auf Rausschmiss reagiert man nicht, Adrian", murmelte Forum, als wir mit den anderen auf den brüchigen Balkon an der Rückseite des Hauses hinaustraten und unsere Blicke über die Höfe und Ziegelmauern streifen ließen, um das Corpus delicti von oben im hohen Gras auszumachen. "Schon gar nicht wie eine beleidigte Jungfer. Den steckt man weg wie Clay seine Kopftreffer, als er noch der Größte war."

      Als wir gingen, hatte ich den schalen Geschmack im Mund, den eine Niederlage hinterlässt, die nachträglich zum Sieg umgemünzt werden soll.

      Quands missglückter Versuch, als Phönix aus der Asche aufzusteigen, ließ vor mir das Bild jener Einarmigen mit Fliegen in den Augenhöhlen wiedererstehen, die ich in den Elendsquartieren am Stadtrand von Mombasa gesehen hatte.

      Wenn man sich ihnen näherte, winkten sie einem voller Heiterkeit mit ihren Armstümpfen zu, als sei ihre Verkrüppelung nur vorübergehend, und der nächste Regenguss werde das Bild des Elends wegwischen wie Kreide vom Asphalt.

      5

      Von der fahrenden Tram aus sah ich plötzlich Slava in der Menschenmenge. Sie war so unaufdringlich hübsch wie immer, vielleicht lag es daran, dass sie ihr Aussehen als etwas ganz Natürliches betrachtete – nichts, dessen man sich rühmen konnte.

      Ich versuchte ihr zuzuwinken. Aber sie trug eines jener großen, in geblümtes Geschenkpapier eingewickelten Pakete, die für den samstäglichen Wohltätigkeitsball bestimmt waren. Es versperrte ihr fast die Sicht, und das Gedränge brachte sie dazu, vor der Kreuzung in eine ruhigere Seitenstraße abzubiegen.

      Das Schütteln der Bahn, die Wärme aus den Heizlüftern, der Gestank des Elektromotors, dem durch die undichten Bodenplatten Schmieröldämpfe entwichen – das alles brachte mich dazu, an der nächsten Haltestelle auszusteigen. Ich hatte das Bedürfnis, mich abzulenken. Die Begegnung mit Quand war mir auf den Magen geschlagen.

      Im Metropol lief ein uralter Fernandel-Film. Ein starkes Gebiss und dazu das passende Grinsen waren genau die Ablenkung, die mir fehlte. Aber eine dumpfe Ahnung sagte mir, dass Sehlen uns noch an diesem Samstagabend heimsuchen würde. Er hatte von einem der kommenden Wochenenden gesprochen. Eine vorsichtige Umschreibung dafür, dass es bei nächster Gelegenheit passieren würde.

      Er wusste, dass ich mein Familienleben nicht mit meiner Arbeit belasten wollte. Aber durch Quands Pensionierung würde er genügend Anlas haben, meine Angelegenheiten in Margrits Augen zu seinen eigenen zu machen.

      Er würde über Beförderungen reden. Wer dafür in Frage kam und wer als nächster seinen Hut nehmen musste. Dann – taktisch geschickt – über den eisernen Besen, der durch die Organisation fegte. Über die politischen Hintergründe, ihr Für und Wider. Und er würde das alles an irgendwelchen Gesinnungen festmachen, an ideologischen Überzeugungen. Mit dem Instinkt des geborenen Psychologen (oder Jägers? – falls Psychologe und Jäger dabei nicht aufs gleiche herauskam) ahnte er, dass ich bisher nie mehr als meine Arbeit getan hatte.

      Er nahm an, dass ich ein verirrter Waggon war, ein Wagen, der irgendwann an einem abgelegenen Güterbahnhof aufs Abstellgleis geraten sein musste, und er wusste, dass ich mich in meiner Rolle wohl fühlte. Der Gedanke, den Rest meiner Tage in Ruhe gelassen zu werden und vor mich hin zu rosten, hatte nichts Beängstigendes für mich.

      Ich brauchte keine Selbstbestätigung. Erst recht keine, die nur durch eine Arbeit am falschen Platz zu erlangen war.

      Sehlen würde Margrit willig darin zustimmen, dass über zwanzig Jahre "Versteinerung" (ihr Lieblingsausdruck) eines Mannes mit meinen Fähigkeiten unwürdig waren. Damit meinte sie: bis zur Pensionierung, falls es mich nicht wie Quand schon früher erwischte. Aber um nicht sein Leben lang Schimären nachzujagen, musste man wie ich den Wechsel in den