’nen Schleudertraum«, kicherte Schlonzo und kurbelte das Rad in Position. »Komm’se näher, die erste Fahrt gibt’s gratis!«
Als Shirah bemerkte, wie sich Pennyflax vom Acker machen wollte, verdrehte sie die Augen und schob ihren widerspenstigen Freund auf die Zentrifuge zu. »Jetzt … stell dich nicht so an!«, ächzte sie und bugsierte ihn mit Schlonzos Hilfe auf einen der Sitze hinauf. Geschwind hatte sie ihn festgeschnallt und hockte sich neben ihn.
Dann konnte das Training beginnen.
Unter dem Jubel sämtlicher Garstinger begann Schlonzo, an der Kurbel seiner Konstruktion zu drehen. Behäbig setzte sich das große Rad in Gang, und zunächst wunderte sich Pennyflax über das angenehme Kitzeln in der Magengegend. Macht auf alle Fälle Spaß!, dachte er sich und fing an zu grinsen. Doch als sich das Rad immer schneller drehte und sein Körper in die Rückenlehne des Sitzes gequetscht wurde, fühlte er sich wie eine alte Socke in der Waschmaschine. Vor seinen Augen verwischte die Welt zu Schlieren, weshalb er nach der zwanzigsten Umdrehung äußerst dankbar war, noch nichts gegessen zu haben.
»Ver…zwurbeldingst!«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Wo…zu soll … die Übung ei…gentlich gut sein?«
Shirah, die sich am Sitz festkrallte und ein grünliches Gesicht bekam, krächzte: »Soll uns … auf die … Beschleunigung und Fliehkraft vorbereiten, die man beim … Flug eines Raum…schiffs spürt …«
Vergeblich versuchte Pennyflax, seinen Schlapphut festzuhalten. »Flieh…kraft?«, würgte er und sah den Hut davonwirbeln. »Ist ja klar … warum die Kraft bei dem Blödsinn fliehen will …«
Die Garstinger, die die Zentrifuge umringten, applaudierten begeistert, weil den beiden Testpiloten nun auch noch ihre Schuhe wegflogen. Was sie zum Glück nicht mitbekamen war, wie Shirahs geharzte Zöpfe an Pennyflax’ Backe kleben blieben.
»Heiliger Mac Gyver!«, staunte Schlonzo und kurbelte noch schneller. »Hätte nie gedacht, dass meine Salatschleuder so gut funktioniert. Bin ein Genie!«
***
Am späten Nachmittag, als der Sonnenuntergang den Himmel rot färbte, erreichten Pennyflax und Shirah erschöpft aber zufrieden ihr Zuhause. Sie hatten sich trotz der körperlichen Strapazen tapfer durch das Trainingsprogramm gekämpft. Vor allem Pennyflax, der anfänglich dagegen gewettert hatte, war vom Ehrgeiz gepackt worden. Bei der letzten Übung, dem Unterwasserhüpfen, das die Bewegung in der Schwerelosigkeit des Weltalls schulen sollte, hatte er sich selbst übertroffen: Am Grunde des Dorfteichs war er die von Luno vorbereitete Strecke in Rekordzeit gelaufen – natürlich mit Schilf-Strohhalm zwecks Luftholen und unter Aufsicht, damit nichts passierte. Und auch seine Freundin hatte sich gut geschlagen, obwohl sich ständig Seerosen in ihren Zöpfen verfangen hatten.
Die beiden öffneten das Gartentor zu Shirahs Grundstück. Da sie erst seit kurzem zusammen wohnten, hatten sie vereinbart, abwechselnd ihre beiden Häuser zu nutzen. Deshalb war heute das Heim der Koboldin an der Reihe, ein Baumwurzelhaus, das dreieckige Fenster besaß. Sie durchquerten den Garten, in dem Shirah allerlei Unkraut angepflanzt hatte, stiefelten ohne Umweg in die Küche und griffen sich so viele Leckereien aus dem Vorratsschrank, wie sie tragen konnten. Mit Bergen von schimmligem Brot, Kompostsalat, Regenwurmpastete, Moderbeeren und einer großen Flasche Madensaft setzten sie sich auf die Veranda und holten sämtliche Mahlzeiten des Tages auf einmal nach.
Eine Stunde später lehnten sie sich gesättigt und zufrieden in ihren Stühlen zurück und besprachen bei Kerzenschein sowie einer Tasse Blödwurztee noch einmal ihr Trainingsprogramm, um Fehler darin zu entdecken. Schließlich wankten sie hundemüde nach drinnen. Sie hatten nicht einmal mehr die Kraft, das Geschirr zu spülen, weshalb sie es in der Küche stapelten, so wie sich das für anständige Kobolde im Alter von 145 und 122 Jahren gehörte. Danach fielen sie in die Betten.
Obwohl Pennyflax die Erschöpfung in allen Gliedern steckte, konnte er nicht einschlafen. Seine Gedanken kreisten um das Schleudertraining, aber nicht wegen der Übelkeit, die es dabei zu bezwingen galt, sondern aus einem anderen Grund. Er wälzte sich hin und her, bis Shirah schließlich wieder aufwachte und sich zu ihm umdrehte.
Sie blinzelte verschlafen, legte ihm den Arm auf die Schulter und flüsterte: »Was ist denn los? Bist du vom Tauchen noch seekrank? Oder aufgeregt wegen morgen?«
»Nee«, flüsterte er zurück. »Ist wegen Schlonzos Zentrifuge. Die hat mich an meine Kindheit erinnert … an die Zeit mit meinen Eltern. Mein Vater hat mich auch öfter an den Armen festgehalten und im Kreis rumgewirbelt. Dann haben wir gelacht … und …« Der Kobold schluckte. Er stellte fest, dass er lange nicht mehr an seinen Vater und seine Mutter gedacht hatte. Und wie sehr er sie noch immer vermisste.
Shirah setzte sich auf. »Du hast mir nie von deinen Eltern erzählt. Sind sie gestorben? Vielleicht wie meine Eltern an einer Krankheit?«
Pennyflax schüttelte den Kopf und setzte sich ebenso auf. »Ich hab ehrlich gesagt keinen Schimmer. Als ich noch ein Knirps war, bin ich eines Tages heimgekommen und sie waren weg. Ich weiß nur noch, wie ich heulend auf der Leiter unseres Baumhauses saß und irgendwann Meister Snagglemint vorbeikam. Weil ich ihm leid tat, durfte ich an dem Abend bei ihm bleiben, und wir machten uns am nächsten Tag auf die Socken, um nach meinen Eltern zu suchen. Doch wir fanden nicht die geringste Spur. Auch nicht die folgenden Tage. Niemand hatte sie gesehen. Später ging das Gerücht, sie wären einer gefräßigen Hydra-Schlange zum Opfer gefallen.« Er schluckte abermals den Kloß in seinem Hals runter und fuhr fort: »Tja, das ist jetzt fast hundertdreißig Jahre her. Meister Snagglemint hatte sich damals um mich gekümmert, bis ich allein klarkam. Wie ein Vater eben. Deshalb mache ich mir ja auch solche Sorgen um unseren alten Magiker. Wenn ihm die Finsterlinge etwas angetan haben, hätte ich auch ihn verloren, verstehst du?«
»Krass wie Brunnenkresse«, hauchte Shirah und machte Augen. »Hatte ja keine Ahnung, wie nah ihr euch steht! Aber wir finden ihn bestimmt. Und das mit deinen Eltern tut mir echt leid … kann’s gut nachvollziehen, wie das ist, plötzlich allein zu sein. Allerdings war ich schon größer, als meine Eltern an einem schlimmen Fieber starben. Deswegen bin ich ja Heilerin geworden. Doch wie du fand ich Freunde, die mich in der schwierigen Zeit getröstet haben.«
Pennyflax seufzte und fasste wieder Mut. Er blickte seiner Freundin in die grün-braunen Augen, umarmte sie und murmelte: »Gut, dass wir uns gefunden haben. Wir bleiben für immer zusammen, abgemacht? Und morgen wird schon alles schiefgehen … zumindest, wenn wir uns richtig in die Sache reinhängen.«
Zur Bestätigung gab ihm Shirah einen Kuss auf die Wange und strich ihm über die Wuselhaare. Dann schauten sie durchs Fenster und betrachteten den Mond, der am Himmel stand und zu dem sie ihre große Reise antreten würden. Ihre Amulette, die im Mondlicht auf dem Nachttisch lagen und leise klangen, hörten sie bereits nach kurzer Zeit nicht mehr, da sie eingeschlafen waren.
***
Am nächsten Morgen sprangen die beiden aus ihren Strohbetten, bevor die Sonne aufging, was im Herbst nicht allzu früh geschah. Dennoch schlangen sie gegen sieben Uhr ein Frühstück hinunter, packten ihre Sachen und liefen in die Kühle des vorletzten Oktobertags hinaus. Shirah warf noch einen Blick auf ihre Unkrautbeete und kontrollierte ihren Salben- und Kräuterbeutel, während Pennyflax einige Mühe hatte, seinen Schlapphut über seine besonders abstehenden Haare zu stülpen. Nachdem er endlich die kleine Flasche Holundersaft in der Hutkrempe verstaut hatte, die auf Abenteuerfahrten zu seiner Grundausstattung gehörte, traten sie durch das Gartentor auf den Weg hinaus.
Die zwei Kobolde staunten, wie viele Garstinger schon auf den Beinen waren. Vor allem über die ganze Gruppe ihrer Landsleute, die aus dem Dorf in Richtung Startplatz marschierte, um die Sternreisenden zu verabschieden. Da Shirahs Haus am Ortseingang lag, brauchten sie und Pennyflax lediglich den anderen zu folgen, überquerten die Rauschebachbrücke und erreichten kurz darauf die Stelle, an der Luno vorgestern mit seinem Raumschiff gelandet war.
Der Mondmann wartete schon auf der taufeuchten Wiese neben seinem Fluggerät und überprüfte die drei Landekufen. Das Schiff ähnelte einem riesigen Saphir, also einem blauen Edelstein, der die Form eines Tropfens besaß und dessen spitzes Ende