Anton Weiß

Angst bewältigen - aus spiritueller Sicht


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schnürte mich in der Körpermitte dermaßen ab, dass ich glaubte, auseinanderbrechen zu müssen. Wie wenn eine übergroße Faust mich in der Mitte fest umklammert hielt. Angst hängt ja mit eng zusammen. Diese Umklammerung erfuhr ich als Verengung, die mich vom Strom des Lebens abgeschnürte. Die Lebensenergie konnte durch diese Verengung nicht mehr zu mir durchkommen. Meine intensive Beschäftigung mit dem Werk von C. G. Jung machte mir allmählich klar, dass ich mich durch mein einseitiges Stehen im Ich-Bewusstsein von der unbewussten Energie abschottete.

      Und dann die Erkenntnis: Das, was mich abschnürt, bin ich selbst. Ich bin es, der mich mit eiserner Faust vom Strom des Lebens abschnürt, und zwar in einer Tiefe, in die ich überhaupt nicht vordringen kann. Das zu erleben, treibt einen in die absolute Panik, in die Angst hoch 1000. Das führte mich ja zu der Erkenntnis, dass ich mich selbst gar nicht aus mir befreien kann, dass ich dieser Abschnürung nicht beikommen und rückgängig machen kann. Aber wenn ich es bin und ich es doch nicht kann, wer kann es dann, wer kann in diese Tiefe vordringen? Wenn es eine Möglichkeit gibt, dann muss es so sein, dass ich in meinem Menschsein mehr bin als in meinem Ich-Sein, dass mein Menschsein fähig ist, mein Ich-Sein zu transzendieren. Ich bin es selbst, aber in einer Tiefe, die mehr ist als ich, die die Tiefe meines Ichs noch übersteigt und dahinter liegt. Diesen Glauben muss man haben. Ob es ein religiöser Glaube sein muss oder ein Glaube an den Sinn des Menschseins, an den Sinn des Lebens, der Natur oder wie auch immer, vermag ich nicht zu sagen. Bei mir war es der religiöse Glaube, der Glaube, dass diese andere Seite meines Menschseins Gott ist. Es gibt im indischen Denken Formulierungen wie: Ich bin er, was ausdrückt, dass ich und Gott identisch sind. Als Christ braucht man da sehr lange, bis man das verstehen kann, weil wir Gott so weit von uns wegschieben, dass es ganz ungeheuerlich erscheint, sich mit Gott zu identifizieren. Aber es gibt auch im jüdischen Denken diese Auffassung: Ani hu, was nichts anderes bedeutet, als: Ich bin er.

      Ich hatte als junger Mensch einen Traum: Ich sah aus einem See ein Ungeheuer aufsteigen, genau so wie man sich die Nessie von Loch Ness vorstellt. Der riesige Drache kam auf mich zu und in meiner großen Angst flüchtete ich mich auf einen Baum. Dort saß ich nun und starrte gebannt auf das Näherkommen des Ungeheuers; ich stand der unausweichlichen Tatsache gegenüber, dass es mich verschlingen wird. Es kam näher und näher, und indem ich es voller Angst – aber dennoch – anblickte, wurde es plötzlich ganz klein und ich gewann es lieb und ich vereinigte mich mit ihm in der Astgabel des Baumes, in der ich saß. Mir war damals schon klar, dass dies ein wegweisender Traum war. Er machte mir viele Dinge klar, u. a. dass man sich der Bedrohung stellen muss. Man muss sich der Angst und dem, was sie auslöst, stellen. Davonlaufen verstärkt nur die Angst und hält einen gebannt. Nur eine intensive Auseinandersetzung mit ihr kann einen aus der Angst herausführen.

      Ich habe immer gespürt, dass sich der Mensch in seiner Tiefe weigert ins Leben einzutreten und habe alles versucht, ihn sozusagen zu gewinnen – vergeblich. Es ist mir mit meinem kleinen Verstand und Willen nicht möglich gewesen, diesen mächtigen inneren Widerstand zu besiegen oder zu gewinnen; ich würde deshalb von einem kleinen Ich und einem großen Ich reden. M. Wais bezeichnet es als das Alltags-Ich und den Hüter der Schwelle. Das große Ich – der Hüter der Schwelle, der ich aber auch bin, - weigert sich, ins Leben einzutreten, und genau das muss geschehen. Es bin ich, und dennoch habe ich keinen Ansatzpunkt, dieses große Ich aus den Angeln zu heben, und alles Bemühen und alle Versuche meines kleinen Ichs aus Verstand und Wille sind zum Scheitern verurteilt. Die Verweigerung dieses tief inneren Ichs – ich vermeide es, es als den inneren Menschen zu bezeichnen, denn der wird immer als wünschenswert angesehen – bedeutet eine Abschnürung gegenüber dem Leben, den Lebenskräften, letztlich gegen das Unbewusste. Und Abschnürung hat immer mit Angst - Enge - zu tun. Und diese Enge kann so eng werden, dass kaum noch Lebensenergie hindurchkommt, und dann befindet man sich in der Depression, die eine unerhörte Kraftlosigkeit, ein Fehlen jeglicher Energie darstellt. Man hat sich so sehr von der aus der Tiefe strömenden Lebenskraft abgeschnürt, dass man nun keine mehr zur Verfügung hat. Ich kenne niemand weit und breit, der das so sehen kann, außer C. G. Jung. Für mich ist das, was ich sage, eine existentielle Erfahrung, mit Hilfe von C. G. Jung habe ich sie verstehen gelernt und versuche es, anderen zu vermitteln.

      II. Allgemeines

      Eigentlich ist es verwunderlich, dass der moderne Mensch von so vielen Ängsten geplagt ist. Denn er hat geglaubt, die Ängste durch die Naturwissenschaft gebannt zu haben. Die Erklärungen der Naturwissenschaft haben dem Menschen die Ängste früherer Generationen genommen: Die Angst vor Blitz, Donner und Dämonen. Bis vor kurzem haben die meisten geglaubt, dass die Naturwissenschaft uns auch die Angst vor den Naturgewalten genommen hat, vor dem Meer durch den Bau gewaltiger Schiffe und hoher Deiche und vor Erdbeben und Stürmen durch sichere Häuser. Mir scheint, die Tsunami-Katastrophe, bei der 230 000 Menschen ums Leben gekommen sind, hat bei vielen Menschen diesen Glauben erschüttert. Die Wissenschaft galt als die Heilbringerin des rationalen Menschen, der nicht mehr an Gott glaubte. Nimmt der Gläubige vor seinen Ängsten bei Gott seine Zuflucht, so tut es der moderne atheistisch geprägte Mensch bei der Naturwissenschaft. Viele neue Bedrohungen und Ängste sind aber erst durch die Naturwissenschaft entstanden: die Bedrohung durch die Atombombe, die Bedrohung durch Gen-Manipulationen, durch die Klimaveränderung etc.

      Eigentlich sollte durch die Naturwissenschaft die große Befreiung über den Menschen kommen, dabei ist er in neue Abhängigkeiten geraten. Man wagt es nicht mehr, Entscheidungen zu treffen, ohne dass sie wissenschaftlich abgesichert sind. Es muss erst eindeutig der wissenschaftliche Beweis erbracht sein – was viele Jahre dauern kann –, bevor man es wagt, eine Entscheidung zu treffen.

      Wir sind abhängig geworden von Experten: Eltern, die ihre Kinder richtig erziehen wollen, wagen dies nicht, ohne sich Rat von Experten zu holen, sie haben Angst, ohne diesem Fachwissen falsch zu handeln. Wer sich richtig ernähren will, wer richtig Sport oder Fitness betreiben will, zieht Experten zu Rate; wir wagen es nicht mehr, uns auf unseren gesunden Menschenverstand zu verlassen. Die Angst und das Misstrauen sind so groß, dass wir nur, wenn es wissenschaftlich abgesichert ist, eine Entscheidung zu treffen wagen. Lange Zeit war ungewiss, ob gewaltverherrlichende Videospiele dem jungen Menschen wirklich psychischen Schaden zufügen können und dementsprechend war auch das Verhalten von Eltern und Erziehern unsicher; sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Jetzt haben Studien eindeutig den Zusammenhang belegt. Wir haben grundsätzlich Angst vor Entscheidungen, aus Furcht, die falsche zu treffen. Wir haben kein Vertrauen in uns selbst, weil wir den Bezug zu uns selbst verloren haben, wir erwarten von außen, dass uns jemand sagt, wie wir uns verhalten sollen. Im Grunde haben wir Angst vor dem Leben, Angst davor, Entscheidungen zu treffen. Denn Entscheidungen können immer auch falsch sein, und davor haben wir Angst. Dass es nicht weniger falsch ist, sich der Entscheidungen zu enthalten - denn keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung -, ist uns dabei kaum bewusst.

      Die Unterscheidung zwischen Angst und Furcht ist sinnvoll, wenn man Angst als irrationale Größe ansieht und bei Furcht einen konkreten Grund angeben kann. Der Mensch versucht Angst in Furcht umzuwandeln, da er dann besser damit umgehen kann. Angst wird rationalisiert: So ist es leichter, mit der Angst vor einer Prüfung umzugehen als mit der Angst zu versagen. Mir scheint aber, dass die konkreten Anlässe für Ängste nur die Auslöser für viel tiefere Ängste sind. Am deutlichsten wurde mir das bei der Angst vor BSE. Die tatsächliche Gefährdung für den einzelnen stand in keinem Verhältnis zu den fast panischen Ängsten, durch den Verzehr von Rindfleisch zu erkranken. Ich kann es nicht anders sehen denn als Ausdruck einer ständig im Hintergrund lauernden Angst, die nur einen geringen Anlass braucht, um zu Tage zu treten.

      Ängste sind so lange mächtig, solange ich mich ihnen nicht stelle. Ich muss fragen: Wovor habe ich eigentlich angst, wenn ich z. B. einen Vortrag halten oder Klavier vorspielen soll? Gut, ich habe Angst davor, dass ich beim Vortrag oder Klavierspiel stecken bleibe, nicht mehr weiterweiß, dass alles wie weggewischt ist, mein Geist leer ist. Welche Folgen habe ich zu fürchten? Ich fühle mich blamiert, weil ich das nicht leisten konnte, was man von mir erwartet hat. Ich wollte also die Erwartung der anderen zufrieden stellen. Warum? Weil ich glänzen wollte, weil ich zeigen wollte, wie gut ich etwas