Simone Lilly

Für immer Shane ~1~


Скачать книгу

er sich umdrehen, wollte seinen Freunden zum Rest der Klasse folgen, als er sie sah. Sie war anscheinend gerade erst gekommen, andernfalls hätte er sie zuvor schon gesehen. Sein Atem stockte und er blieb wie angewurzelt stehen. Ging sogar zurück, damit er sie besser sehen konnte. Sie hatte langes gelocktes blondes Haar. Locker fiel es ihr um den Körper und wehte ihm Wind hin und her. Die Sonnenstrahlen brachen vom offenen Meer her in ihr Gesicht hinein und verliehen ihm einen schimmernden Glanz, so als würde sie von einem großen Scheinwerfer eigens für sie beleuchtet werden. Ihr Gesicht war schmal, mit Sommersprossen besprenkelt, ihre Lippen rot und ihre Augen … wie waren ihre Augen? Shanes Herz begann zu rebellieren. Es war als wollte es ihn daran erinnern, dass es weiterschlagen wollte, so als wollte es ihm sagen: lass mich bei dir, verlier mich bloß nicht!„Das wars für heute. Ich wünsche euch noch einen schönen Tag, wir sehen uns in einer Woche.“Die Worte seiner Lehrerin gingen beinahe ungehört an ihm vorüber. Das Mädchen lächelte, wunderschön, sie fuhr sich durch die Haare, machte Fotos. Beugte sich über die Klippe. Über den Teil, an dem sich ein schützendes Geländer befand. „Kommst du mit uns zu Rileys?“ „Hä?“ Lie schüttelte ungläubig den Kopf. „Mann, haben wir doch gesagt!“, übermütig sprang er ihn von hinten an und rüttelte ihn an seinen Schultern. „Party! Party! Die Schule ist aus! Für immer!“ Er konnte es nicht, er konnte sie nicht gehen lassen, geschweige denn seinen Blick von ihr abwenden. Was bedeutete es schon sich zu betrinken? „ … ähm, Leute. Ich komme nach, ok? Ich muss noch kurz was erledigen.“ „Klar man. Bis dann.“ Überraschend einfach ließen sie sich abwimmeln, machten kehrt und gingen hinter den anderen hinterher, überquerten eine matschige Pfütze auf dem Boden und waren schon bald außer Sichtweite.

      Britney

      Wunderschön. Fasziniert legte sie ihre Digitalkamera an ihre Augen und drückte den Auslöser. Schon an ihrem ersten Tag in Wicklow konnte sich Britney kaum einen schöneren Ort auf der Welt vorstellen. Unter ihr tosten die wilden Wellen des Meeres gegen den starken Fels auf dem sie stand, was einen wunderschönen weißen, schaumigen Teppich bildete. So als hätte es frisch geschneit. Die Sonne stand noch nicht tief am Himmel, dennoch konnte man erkennen, dass es früher Nachmittag sein musste. Warmer Wind wehte ihr durch die Haare, lockerte sie und verschaffte ihr das Gefühl vollkommen frei zu sein. Sie stammte aus einem großen Land, mit großen Persönlichkeiten, mit einer großen Wirtschaft, großen Gebäuden, einfach alles war rießig, doch hatte sie noch nichts dermaßen mitgerissen. Nichts als die unberührte Natur in der sie sich befand. Unbeholfen senkte sie die Kamera und schielte zaghaft hinter sich. Der Junge beobachtete sie noch immer. Es war schon fast ein Starren. Was wollte er? Starrte er auf sie? Neugierig versuchte Britney mehr zu erkennen und drehte leicht den Kopf. Er war ungefähr in ihrem Alter. Einen Kopf größer als sie, etwas rundlich, und braunhaarig. Er hatte einen flotten Kurzhaarschnitt und trug lockere Jeans und ein schlichtes, weißes T – Shirt. Man konnte nicht sagen, dass er dick war, aber auch nicht, dass er dünn war. Er war etwas in der Mitte. Ja er starrt mich an. Ihr Kopf wurde warm. Es schmeichelte ihr. Überlegend blickte sie sich um. Ihre Familie war weit von ihr entfernt, beinahe noch auf dem entlegenen Parkplatz. Ein Grinsen umspielte ihre Lippen und sie biss sich auf die Lippe. Es reitzte sie sehr. Sollte sie mit ihm flirten? Ohne weiter zu überlegen, ob es gut oder schlecht war, drehte sie sich ganz zu ihm. Aus dieser neuen Perspektive sah er sogar noch besser aus als zuvor. Der Junge schien erschrocken zu sein. Fand er sie schön, oder hässlich? War er enttäuscht, ihr Gesicht zu sehen? Hatte er mehr erwartet? Provozierend sah sie ihm direkt in die Augen, blinzelte ein - , zwei mal, so verführerisch wie sie konnte, senkte den Blick und kehrte ihm den Rücken. Was passierte nun? Kam er zu ihr oder hielt er sie für verrückt? Für eine verrückte Amerikanerin? Tatsächlich fiel von hinten ein langer Schatten auf sie. Britney hielt die Luft an. War er das? Schritte näherten sich, sie waren unmittelbar hinter ihr. Sollte sie sich umdrehen? Würde er ihr etwas antun? Jetzt war er da. Sie konnte seinen Atem hören. „Hi“, sagte er unbefangen und schaffte es, dass sie sich zu ihm drehte. „Mein Name ist Shane.“, förmlich gab er ihr die Hand. Sie war weich und warm. Der Händedruck sanft und zurückhaltend. „Ich bin Britney.“, antwortete sie unbeholfen und musste ein Lachen unterdrücken. Shane schien ihr verzogenes Gesicht zu bemerken. „Was ist los?“ Verlegen zeigte sie ihre Zähne. „I … ich finde nur deinen Akzent lustig.“ Zum Glück lachte auch Shane. Es war ein erfrischendes und dunkles Lachen. So wie seine Stimme. „Nun ja, ich finde deinen auch lustig. Du kommst aus Amerika, richtig?“ Sie nickte. „Wie alt bist du?“ „Sechzehn, und du?“ „Ich bin siebzehn.“ Die Schlinge durch die sie ihre Hand geschlungen hatte, um den Fotoapparat zu halten, löste sich und die teure Kamera fiel dumpf auf die feuchte Wiese. „Oh, verdammt!“ Rasch bückte sie sich, um sie aufzuheben. Sie war sehr teuer gewesen, ihr Vater würde ausrasten, wenn er das sehen würde. „Wie lange seid ihr hier?“, fragte Shane und kümmerte sich nicht weiter um die Kamera. Seine Augen waren blau, eisblau, ein solches Blau hatte sie noch nie gesehen. Es passte beinahe nicht zu ihm. „Zwei Wochen.“ „Und warum seid ihr hier, gibt es einen besonderen Grund?“ „Mein Vater hasst Iren.“, platzte es aus ihr heraus und Britney hätte sich am liebsten für diesen Satz geohrfeigt. Shane verzog dennoch keine Miene. „Warum?“ Er trat auf der Stelle, scharrte mit einem Fuß in der Erde. Aus Wut oder aus Langeweile? Britney wusste es nicht. Hoffentlich keines von beidem. „Meine Mom wurde vor fünf Jahren von einem Iren überfahren.“ „Oh, tut mir leid.“ „Du kannst nichts dafür.“ „Ich weiß, aber es tut mir trotzdem leid.“ „Danke.“ „… Und seitdem hasst er alle Iren?“ Sie nickte kurz. „Ja, genau.“ Shane lachte vorsichtig. „Aber ihr seid hier in Irland. Hier ist die Wahrscheinlichkeit einem Iren zu begegnen ziemlich groß.“ Jetzt musste auch sie amüsiert Schmunzeln. „Mein Vater hat eine Reise hierher gewonnen, für die ganze Familie. Er wäre lieber gestorben als diesen Gewinn nicht zu nutzen.“ „Britney! Kommst du?“ Aprubt fuhr er herum. So überrascht, dass er Britney fast Mitleid mit ihm bekam. „Oh, wenn man vom Teufel spricht.“ Sofort hob er beschwichtigend die Hände. „I … ich meine, … weil wir ja gerade von ihm gesprochen haben.“ „Ja.“ Eine Weile sagten sie nichts, sahen sich beschämt in die Augen, auf das Meer und zum Himmel. „Britney!“ „Ich muss jetzt los.“ Er nickte. „Ja.“ „Also.“, ebenso förmlich verabschiedete sie sich von ihm, doch als sie gehen wollte, hielt er ihre Hand fest in seiner umklammert. „Hey, wie wäre es , wenn ich dir die Gegend zeige? Ich kenn‘ mich hier aus. Was von Vorteil ist … für jemanden der hier lebt.“ Wieder musste sie lachen. War er immer so lustig? Eigentlich sollte sie das nicht tun, eigentlich sollte sie sein Angebot nicht annehmen, noch nicht einmal darüber nachdenken. Doch sie wollte ihn wieder sehen, obwohl sie ihn nicht kannte. Nicht mehr von ihm wusste, als seinen Namen. „Ja, gerne. Das wäre toll.“ Seine Augen leuchteten. „Na gut. Treffen wir uns morgen? Wo ist dein Hotel?“ Überrumpelt wich sie ihm aus. Ihr Hotel? Das ging ihr viel zu schnell. Nicht, dass ihr Vater ihn abpasste. „Wir treffen uns morgen einfach … hier.“ „Gut. Bis dann …“, freundlich ließ er ihre Hand los. „Bis um zwölf. Britney.“

      Morgen

      Immer wieder musste sie lächeln. Angefangen hatte es bei ihrer Fahrt nachhause, beim gemeinsamen Abendessen, dem abendlichen Zusammensitzen, als sie schließlich in ihre Zimmer gegangen waren, als sie sich geduscht hatte, sich schlafen legte und selbst jetzt, als sie sich aus ihrem Bett schälte, konnte Britney nichts anderes tun. Irgendetwas hatte Shane in ihr ausgelöst. Aber was? Unsicher zog sie sich eine kurze Jeans und ein ärmelloses, gelbes Top an. Als sie in ihre abgelaufenen Flip Flops stieg, kämmte sie sich schnell die Haare. Es war Viertel nach zehn. Wenn sie den Platz von gestern wiederfinden wollte und davor noch mit ihren Eltern frühstücken wollte, musste sie sich beeilen. Schminken? Ratlos runzelte sie die Stirn und betrachtete sich eine Weile lang im Spiegel. Legte Shane wert darauf? War es ihm wichtig? Konnte sie ihm so begegnen? Schlecht sah sie nicht aus. Ein wenig verschlafen, aber durchaus in Ordnung. Kurzerhand beschloss sie, gar nichts zu tun. Schließlich traf sie sich mit ihm für eine Stadtführung, nicht um ihn zu heiraten.

      „Wie wäre es, wenn wir uns heute einmal sämtliche Kirchen anschauen würden? Ich habe gehört hier soll es tolle alte Bauwerke geben.“

      Britney