Jan Nadelbaum

Bös- und Gutmenschen


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die Anwohner und lassen sich von nichts und niemandem beirren. Selbstverständlich gibt es auch gegenteilige Beispiele, wenn ich da an Faruk und Nahom denke – zwei ganz nette Kerle, die sich richtig ins Gemeindeleben einbringen und in ihrer Freizeit meinen Gemeindearbeitern bei den Grünflächen und bei vielem anderen zur Hand gehen.“

      „Syrer und Eritreer, hab ich das richtig im Kopf“, vergewisserte sich Plauda.

      „Nein, Nahom ist Somalier“, verbesserte Karl. „Die kann man wirklich gebrauchen, sprechen recht gut Deutsch und tragen ganz sicher zum positiven Bild der sogenannten Flüchtlinge bei, die Safićs sind jedoch eine einzige Katastrophe! Eventuell sollte man überlegen, ob man die nicht trennt – für den dörflichen Frieden halte ich das für äußerst angebracht…“

      „Wir können nicht noch im Nachhinein wieder alles umschmeißen“, meldete sich nun Wortreich, der dem Gespräch bis dahin größtenteils passiv beigewohnt hatte. „Verteilt ist verteilt. Das bringt sonst zu viel Durcheinander.“

      „Ich sprach vorerst nur vom Überlegen, nicht vom Tun“, wurde Karl lauter und entschiedener im Tonfall. „In solchen Fällen bringt das Nichttrennen mehr Chaos als eine Trennung. Ist halt nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen!“

      „Das hat auch niemand behauptet. Wir sind alle recht angespannt und stehen der Sache genauso unvorbereitet und in Teilen hilflos gegenüber“, gestand Plauda, während sie an ihrem Gebäckstück knabberte.

      „Du sagst es. Ich hab nächste Woche Urlaub und noch ‘nen ganzen Stapel Arbeit aufm Bürgermeisteramt liegen – kannst dir also denken, wofür der Urlaub drauf geht… Nun, denn, ich kümmere mich um den Gemeinderatsbeschluss und gebe euch anschließend grünes Licht, hoffe ich zumindest.“

      „Alles klar“, stimmte Michaela zu und legte den angebissenen Keks auf ihre Untertasse. „Sag mal, Klaus, wie alt sind die Dinger eigentlich?“

      „Ganz frisch. Die hat meine Sekretärin gebacken…“

      „Das erklärt einiges“, verzog sie die Mundwinkel.

      Karl begnügte sich mit seinem Kaffee und verließ die beiden nach einigen Minuten. Er freute sich auf das Wochenende.

      1.4

      Familie Bolz saß am sonntäglichen Frühstückstisch, genauer: Ein Teil der Familie Bolz, denn Sabine fehlte, was nicht weiter unüblich war, schlief sie doch meistens etwas länger. Mit einem gezielten Hieb köpfte Ernst sein Ei. Tochter Regina schmierte schlaftrunken Himbergelee auf ihre untere Brötchenhälfte; Ehefrau Brigitte verrührte den Tropfen Kondensmilch in ihrem Kaffee, während Ernst das Ei salzte.

      „Hast du Sabine heute Nacht heimkommen gehört“, fragte Brigitte. Sie leckte an ihrem Löffel und legte ihn ab.

      „Ich“, fragte Ernst entgeistert und senkte die Hände auf die Tischplatte.

      „Ja.“

      „Nee. Hab geschlafen.“

      „Sag bloß! Und das nachts!“

      „Veräppeln kann ich mich auch allein“, schnauzte Ernst und knallte das Ei auf den Teller. Dann schoss er mit seinem Stuhl zurück. „Ich geh‘ mal nachschauen.“

      Er stapfte aus dem Raum, irgendetwas vor sich her grummelnd. Brigitte und Regina starrten sich amüsiert an. Die Holzstufen der Treppe knarrten, Ernst stieg hinauf. Plötzlich hörten sie ihn toben, jemand stolperte die Stiegen hinab, die Haustür rumste. Ernst jagte hinterher, riss die Türe auf und brüllte nach draußen: „Und dass ich dich ja nicht mehr hier sehe, haben wir uns verstanden?!“

      Daraufhin wetzte er wiederum die Stufen hinauf. Brigitte und Regina hörten Sabine schreien. Gepolter auf der Treppe. Er schleuderte Sabine ins Esszimmer, nur im Nachthemd.

      „Ernst“, kreischte Brigitte.

      „Sei still! Und du setz dich auf deinen Platz“, er drückte sie grob nieder.

      „Lass mich los“, bat Sabine.

      „Ich habe dir schon zigmal gesagt: Lass die Finger von dem! Ich will den hier nicht in meinem Haus haben! Hast du das endlich kapiert?! Diese Elster!“

      „War der Mojo bei ihr“, richtete Brigitte sich an ihren Mann.

      „Ja, war er! Die ganze Nacht war dieser Kerl bei meiner Tochter!“

      „Papa, ich bin achtzehn“, schrie Sabine ihn an.

      „Dann zieh aus! Solange wie du deine Beine unter meinen Tisch streckst, schleppst du mir nicht solche Typen ins Haus! Ist das angekommen?!“

      „Du kennst ihn doch gar nicht. Er ist total nett“, blickte sie – ohne aufzuschauen – auf den für sie bereitgestellten Teller.

      „Das brauch ich nicht! Der setzt sich hier nicht ins gemachte Nest! Jedes Mal lässt er etwas mitgehen! Bin gespannt, was jetzt wieder fehlt!“

      Regina schwieg, ebenso wie ihre große Schwester.

      „Der klaut bestimmt nix, Ernst“, verteidigte ihn Brigitte.

      „Nun musst ausgerechnet du zu ihm halten?! Ich fasse es nicht“, er wandte sich zurück zu Sabine: „Hier in meinem Haus herrschen Zucht und Ordnung und wenn ich den noch mal hier sehe, fliegst du raus, begriffen?!“

      „Ja“, nuschelte Sabine.

      „Was?! Geht das nicht was lauter?!“

      „Ernst“, bat Brigitte mit strengem Unterton.

      „Halt dich raus“, keifte er mit hochrotem Kopf. „Wie war das?!“

      „Ja“, sprach Sabine laut und deutlich.

      „Geht doch“, schnaufte Ernst Platz nehmend.

      „Frühstücken“, befahl er und beschäftigte sich erneut mit seinem Ei. „Und sowas auf Sonntag“, entfuhr es ihm.

      Brigitte hob pikiert die Augenbrauen. Sie zwinkerte Sabine gütig zu und kippte sich noch ein wenig Kondensmilch in ihren Kaffee. Ernsts Temperament war einerseits das, wofür sie ihn liebte, andererseits das, wovor sie sich bisweilen ängstigte.

      1.5

      Für abends hatten sich Ernst, Karl und Jörg verabredet. Beide hatten Karl bereits am Freitag angerufen, um zu erfahren, was bei dem Gespräch mit Wortreich und Plauda herausgekommen war, doch hatte es Karl verstanden, ihnen die Neuigkeiten bis Sonntagabend vorzuenthalten. Sie hatten sich eine Bank mit Blick auf Quelmbach gesucht, ringsherum sattgrüne Weiden. Es roch nach Rind oder vielmehr nach dem, was Rinder hinterlassen, man könnte genauso sagen: Es roch nach Land. Karl hatte seinen Freunden gerade erklärt, dass etwa dreißig Asylbewerber unterzubringen seien und dass man als Unterkunft das alte Schulhaus ins Auge gefasst habe.

      „Das ist viel zu klein! Und dann diese Menge! Dreißig Stück“, regte sich Ernst auf.

      „Ich finde überhaupt nicht, dass das viel ist“, hielt Jörg dagegen. „Es ist doch schon ein recht großes Gebäude. Zwar wird nicht jeder sein eigenes Zimmer haben, aber ich find’s gut. Liegt sogar mitten im Ort, was besser für die Integration ist als weit außerhalb.“

      „Integration! Die sollen wieder zurück, wenn es da, wo sie herkommen, halbwegs läuft, und das möglichst zügig“, beugte sich Ernst nach vorne.

      Karl hatte erneut den undankbaren Platz in der Mitte zwischen beiden, sodass das sich entspinnende Gespräch an ihm vorbei lief.

      „Du weiß ja nicht, wie lange es dauert, bis in ihrer Heimat Frieden herrscht. Irgendwas musst du mit ihnen in der Zeit machen“, gab Jörg zu bedenken.

      „In der Heimat vieler herrscht Frieden“, zürnte Ernst. Selbst ein Rind auf der Weide unter ihnen drehte sich nun zu ihm um.

      „Scheuch die Kühe nicht auf“, mahnte Karl.