Rainar Nitzsche

Wüsten-Berges-Himmels-Weiten


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schwebt Manfred dahin, folgt so noch immer seinem Lebensweg, der einst mit seiner Geburt in der Stadt mit Namen Kaiserslautern begann. Hoch liegt die Wüste, an deren Rand er gelangte. Mongolen leben heute hier, die Jurten bauen, während ihre Yaks und Pferde grasen. Andere Wesen lebten einst hier. Und dort wo vor Äonen Dinosaurier und Säuger starben, schenkt die Wüste heute der Menschheit deren Knochen. Diese kalte Wüste Gobi lässt das Wasser in Manfreds Säule gefrieren. So setzt sie ihn frei. Sie muss er durchqueren, um zu den höchsten Bergen zu gelangen.

      Moyo, die als Nairra in der WALD-Welt starb und als Massaimädchen Moyo wiedergeboren wurde, dort, wo die Menschheit einst begann, dort, wo ER vor langer Zeit so manches tat, das niemand niederschrieb, denn damals gab es weder Menschenschrift noch -sprache noch Menschen unserer Art, sie hat es fast geschafft, ist nicht mehr allzuweit vom Ziel ihrer langen Reise im Norden Afrikas entfernt. Nun ist sie weder nackt noch befellt, sondern in Tuch gehüllt in einer kleinen Karawane unterwegs. Imuhar nennen sich die, deren Männer Schleier tragen. Blau gefärbt sind ihre Gesichter von der Farbe des Tuches. Die Wüste aber, die sie durchschreiten, die nördlichste des alten Kontinents, ist nicht nur die größte, sondern zugleich auch die jüngste unter den Wüsten der Erde. Viele Namen trägt sie. Einer lautet Sahara - das heißt „gelber Sand“. Zu den Großen Pyramiden Ägyptens ist Moyo unterwegs, wo uralte Dinge ihrer harren.

       Auch ER weilte einst an den Orten, wo Moyo nun geht und Manfred sich bewegt – an diesem, an jenem, an so vielen, so vielen. Alle Wüsten dieser Erde durchquerte ER im Laufe der Jahrmillionen, war dort, wohin Manfred und Moyo niemals gelangen werden, da sie abseits ihrer Pfade liegen, da es sie so, wie es sie damals gab, schon lange nicht mehr gibt, denn so viel Zeit ist seitdem verflossen. Vieles weiß ER von den Menschen und den giftigen Tieren Australiens. 60 000 Erdenjahre mögen seitdem vergangen sein, als ER die Gibson Wüste das letzte Mal betrat? Wie schnell die Zeit auf Erden doch vergeht, auch für die, die unsterblich sind! Nur wenige Menschen lebten damals hier. Dunkelhäutige Zugewanderte waren es. „’Aborigines’ werden sie heute meist von den zugereisten Sträflingsnachkommen, Aussiedlern und anderen hellhäutigen Menschen, aber auch Menschen aus Ostasien genannt werden.“, denkt Er Dort Oben so für sich, doch niemals IHM Dort Unten zu.

      Ach, Namen sind ja nur Schall und Rauch. Wie viele Namen trug ER schon, den wir einst Drefman nannten, der viel mehr ist als nur Manfreds Spiegelbild, Gegenspieler und dunkler Bruder? Wie viele Körper welcher Wesen – Bakterien, Pilze, Pflanzen, Tiere und Menschen - bewohnte ER im Laufe von Jahrmillionen? Wie viel Zeit mag IHM noch gegeben sein, der sich einst vom Ganzen am Grunde des Meeres trennte, der sich wieder mit diesem vereinte, um weiter über die Erdoberfläche zu schreiten, durch die Wasser zu schwimmen und durch die Lüfte zu gleiten? Millionen Jahre sind eine Ewigkeit für einen Menschen. Zeit hatte ER zur Genüge, um alle Lebensräume dieser einen Erde zu erkunden. Und doch, niemals kann ER alles wahrnehmen, was da ist und lebt und stirbt zu SEINER Zeit. Denn niemals kann ER über alle Sinne aller Wesen an allen Orten zu allen Zeiten verfügen. Und so ist auch ER wie die beiden anderen nicht mehr als nur ein Wanderer, der SEINEN Lebensweg von Geburt bis zur Vereinigung geht. Chaos ist einer SEINER Namen, chaotisch sind SEINE Wege durch die Welten dieses Planeten mit Namen Erde. Und doch liebt ER die Macht, also die Ordnung. Und wo ER weilt, dort hält Gevatter Tod reiche Ernte. Denn wer sich IHM entgegenstellt, wer IHN erzürnt, der muss sterben. SEINER Macht kann niemand widerstehen, keine Pflanze, kein Tier, kein Mensch.

       Und doch ist ER nur ein Teil von ES, das am Grunde des Ozeans ruht und träumt. Und ES ist nur ein Teil von T-her. Und T-her ist nur ein schwarzer Flecken, ein Makel im WEISS.

       Du aber denkst, während du all dies liest, wie schön es doch wäre, wenn ER in einem glorreichen letzten Kampf mit Manfred unterginge. Oder - wenn ER denn nicht sterben kann, so sollte ER doch zumindest - von wem und wie auch immer - von dieser Welt, „unserer“ Erde, vertrieben werden. Denn ER wurde hier zwar geboren, doch aus IHM, das in den Tiefen liegt und träumt und von außerhalb kommt, also ein Alien ist, das hier nichts zu suchen hat. Denn die Gerechtigkeit muss siegen „Und die Rache ist mein“, sprach der Herr, spricht der Mensch. Dann würden sich die Liebenden wiederfinden - und alles wäre gut. „Happyend“ heißt das im Film, doch ist es ja niemals das Ende, auch nicht in Hollywood. So sollte es sein, meinst du, haben Manfred und Moyo doch eine zweite Chance durch Moyos Wiedergeburt erhalten. Wer von uns bekommt die schon? Oder bekommen wir sie immer wieder im Kreislauf der Wiedergeburten? Das alles denkst du.

       Wie aber sollen sie je zueinander finden, wenn sich Manfred immer weiter in den fernsten Osten Eurasiens und Moyo in den Norden Afrikas fortbewegt?

       Und was wird ER tun, der Manfreds Tod prophezeite? Wie wird es sein, wenn die beiden sich zum letzten Kampf treffen? Wer weiß das schon!? Vielleicht weiß es ja auch Er Dort Oben nicht? Oder hat Er schon längst den Schluss geschrieben, alles vor Jahren schon gesehen und gibt jetzt nur dem Ganzen noch den letzten Schliff, liest alles vielleicht noch ein einziges Mal durch und muss doch schon wieder weinen, weil alles so traurig ist und weil die von ihm geschaffene Welt nur ein Spiegel seiner eigenen ist?

      Manfred verbrennt

       Wüstennamen, die alle ohne Bedeutung sind für den, der fern von ihnen weilt, und für den, der mitten drin ist. Eine Wüste, die nur hier existiert – zu dieser Zeit an diesem Ort. Keine von diesen, etwas von allen, die es Dort Oben gibt und deren Namen die Stimme Manfred einflüstert: „Gobi, Tharr und Takla Makan“.

       Wüstensand, Dünen, so weit das Auge reicht, für den, der fliegt. Gobi heißt Stein. Diese Wüste ist die Heimat brausender Stürme, ist Hitze bei Tag und Kälte bei Nacht. Sturm aber bedeutet: Die Sicht ist gleich Null. Und dann ist da noch der aus unterirdischen Quellen gespeiste wandernde See inmitten der Dünen. Wilde zweihöckrige Kamele schlank an Gestalt mit kurzem, braunen Haar leben hier in kleinen Gruppen von ein oder zwei Männern und drei bis fünf Frauen.

       Voll scheint die Mondin über der Tharr . Eine Karawane von Kamelen zieht still dahin, so winzig in der Weite der Nacht. Jetzt sind es Dromedare. Einst aber, zur Zeit der Pharaonen, waren es noch Esel.

       Takla Makan . Das heißt: „Geh hinein, und du kommst nie mehr heraus!“ Takla Makan, das ist der See des Todes. Längst im Sand versunken schlafen in ihr noch immer Steine und Mauern einer einst großen Menschenstadt. Zeichnungen von Tieren, die es in der Wüste nicht gibt: Es sind die Bilder von Wölfen. Einst führten hier die Wege der Seidenstraße von Ost nach West und West nach Ost - im Norden und im Süden an ihr vorbei, doch niemals mitten hindurch. Niemand wusste damals von dem Reichtum, der hier seit Äonen ruht und erst in ferner Zeit durch die Arbeit von Hunderttausenden von Menschen und gewaltigen Maschinen geborgen werden würde, niemand erahnte damals das Schwarze Gold mit Namen „Öl“.

      LICHT! So grell, so hell!

       Schon werden Manfreds Pupillen winzig klein, schließen sich die Lider von allein. Nichts ist starr. Alles ist Bewegung. So passt sich das Leben an. Also wächst auch dem Magier eine dunkle Haut, die einer Sonnenbrille gleich über seinen Augen liegt. Die Netzhaut bleibt geschützt, jetzt, wo sich seine Lider wieder öffnen.

      Dunkel ist die Welt geworden – für einen Augenblick. Dann sehe ich wieder die Wüste ringsum und entdecke - keine Spur von Leben um diese Zeit an diesem Ort. Nichts als Steine und Sand. Sollte mich vergraben, denn unter der Erde ist es kühl, wie auch hoch oben in den Lüften. Auf der Oberfläche aber wird es hier und jetzt im Sommer von Minute zu Minute immer heißer. Sollte unter die Erde gehen oder mir Flügel wachsen lassen, als Geier aufsteigen und über der Wärme kreisen.

       Kaum gedacht, geschieht es schon: Nein, nicht der Magier verwandelt sich, sondern die Temperatur steigt gewaltig an. Gnadenlos brennt der Sonn herab.

       Schwarz wird Manfreds Haut.

       Und dann? Ist er nun der Schwarze Mann? Schau, wie er wankt. Ob er wohl