Jürgen Ruszkowski

Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute


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- das war ich - festgemacht werden. Also rauf, sich mit Füßen und Beinen festhaltend, mit den Händen arbeiten. Es ist gar nicht so leicht, wie es aussieht, denn bei Sturm liegt ein Schiff wahrlich nicht ruhig in der See, und oben spürt man die Schwingungen bedeutend stärker als unten. Die Reise ging so weiter, bis wir den NO Passatwind 35°Nord antrafen. Der Wind blies dort mit einer Stärke von Beaufort 8. Man kann ihn gut ausnutzen, da er bei SSW-Kurs von achtern kommt.

      Nach 30 Tagen wurde der Äquator passiert, natürlich kam dort auch Neptun an Bord, um die übliche Taufe vorzunehmen. Wer noch keinen Taufschein hatte, wurde erst einmal ordentlich eingeseift, mit einem großen Holzmesser rasiert und dann "sanft" unter Wasser gedrückt. Damit war die Taufe vollzogen, und Neptun überreichte den Taufschein. Für mich war es mit meinen eben 14 Jahren ein Erlebnis.

      Ende September 1894 kamen wir nach einer 35tägigen Reise in Pernambuco (das heutige Recife) an. Die Freude war sehr groß, denn nun gab es endlich wieder frisches Fleisch, Gemüse usw., denn das ewige Salzfleisch, Salzspeck und der Klippfisch hingen uns schon zum Halse heraus. Nach den üblichen Formalitäten durften wir an Land. Es war angenehm, mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

      Leider währte der Urlaub nicht lange, denn die Ladung musste gelöscht werden. Dies bedeutete damals eine echte Schinderei, denn alles musste mit Handwinden rausgedreht werden. Früh um sechs hieß es "Alle Mann an Deck!" und bei 30° C im Schatten war dann die Arbeit eine Qual. Wenn um 12 Uhr Mittagspause war, haute man sich irgendwo in eine schattige Ecke, um etwas auszuruhen. An Essen dachte niemand, man hätte doch keinen Bissen heruntergekriegt. Um ein Uhr ging es dann weiter bis abends um sieben. Anschließend musste dann noch das ganze Schiff geschrubbt werden. Das Schiffsdeck wurde außerdem ständig nass gehalten, um ein Austrocknen der Planken zu verhindern. Den Achtstundentag gab es damals noch nicht. Kam man aber endlich todmüde in die Koje, ließen einem die Moskitos keine Ruhe, von den Ratten ganz zu schweigen. Drei Wochen hatten wir im Hafen zu tun, nur der Sonntag gehörte uns. Dass wir uns die ganze Woche darauf freuten, kann man wohl verstehen.

      Am 1. Oktober war das Schiff leer. Es wurde mit Sandballast aufgefüllt, und weiter ging es zum nächsten Ziel Macao, etwa 1.000 Seemeilen von Pernambuco entfernt. Acht Tage dauerte die Fahrt. Macao war damals ein kleiner Hafen mit 500 Einwohnern, samt und sonders Eingeborene außer einem 70jährigen Hamburger, der dort eine kleine Bierwirtschaft betrieb. Da Macao keine Kaianlagen hatte, mussten wir auf Reede bleiben. Genau an meinem 15. Geburtstag wurde mit Laden begonnen. Es sollten 100 Tonnen Salz und 1000 Ballen Baumwolle übernommen werden. Zwei Tage brauchten wir erst einmal, um den Sandballast loszuwerden. Der Einfachheit halber wurde er einfach über Bord geschaufelt. Insgesamt 10 Tage brauchten wir also, um die Ladung aufzunehmen. Abends war die Luft dick von den Moskitoschwärmen, so dass man nicht atmen konnte, ohne diese Insekten zu schlucken. Diese Plage war manchmal nahezu unerträglich, aber man war ja jung, da nahm man das alles ohne viele Worte als Tatsache eben hin.

       Schiffbruch vor Brasilien

      Am 27. Oktober lichteten wir frühmorgens die Anker, setzten die Segel, und bei einer frischen Brise kamen wir gut vorwärts. Nach 12 Seemeilen hatten wir offenes Wasser erreicht, aber vor dem tiefen Wasser war noch eine Barre (Sandbank) zu passieren. In deren Höhe stieß das Schiff durch die Dünung durch und sprang infolge der starken Stöße auf die Sandbank und schlug leck. Wir gaben Notsignale, d.h. wir schossen einige Raketen ab, die gottlob an Land gesehen wurden. Nach einiger Zeit kam ein kleiner aus Holz gebauter Schlepper, der uns - nachdem wir ein Teil der Ladung über Bord geworfen hatten - nach Macao zurückbrachte. Der Rest der Ladung ging an den Ablader zurück. Die anschließende Besichtigung des Schadens ergab, dass das Schiff nicht mehr reparaturfähig war. AXEL sollte nun verschrottet werden, und wir saßen in Macao, auf Nachricht wartend, was weiter geschehen sollte. Im November wurde die gesamte Besatzung bis auf den Kapitän, dessen Familie, den Koch und mich als Schiffsjunge abgemustert und über Pernambuco nach Hause geschickt.

      Für uns Zurückgebliebene fing nun eine langweilige Zeit an. Es wurde gefischt, gefischt und nochmals gefischt. Ein Tag verging wie der andere. Ging das Geld aus, wurde etwas vom Inventar verkauft, ansonsten warteten wir auf ein Wunder, das uns in die Heimat zurückbringen würde. Weihnachten verlief ruhig und still, in der Sehnsucht in der Heimat zu sein.

      Im Januar 1895 stellte sich an Bord ein erzählenswerter Zwischenfall ein. Der Kapitän war gerade an Land gegangen, als wir - der Koch und ich - aus der Kajüte des Kapitäns lautes Schreien hörten. Wir rannten hin und sahen die Frau des Kapitäns sich vor Schmerzen windend. Sie hatte eine Fehlgeburt, und da an Bord keine andere Hilfe war, mussten wir Hebammendienste leisten. Der Koch eilte los, um den Kapitän zu suchen und einen Arzt zu finden. In dieser merkwürdigen Situation musste ich 15jähriger Bengel der Frau behilflich sein. Ich hätte nie gedacht, dass zu einer Seemannsausbildung auch Wöchnerinnenhilfe gehört. Erst nach zwei bangen Stunden kam der Kapitän und brachte einen Arzt mit. Alles war aber inzwischen gut abgelaufen, und zu meiner Erleichterung wurde ich von meinem Posten abgelöst. Die Frau des Kapitäns erholte sich bald wieder, und alle waren heilfroh, dass sie wieder wohlauf war. Immer noch waren wir in Macao, und niemand wusste, wie lange wir dort noch aushalten mussten.

      Da traf uns im Juli ein schwerer Schicksalsschlag. Unser Kapitän erlag einem Herzschlag. Es war gegen Abend, als er starb. Wegen der großen Hitze konnte die Beerdigung nicht lange hinausgeschoben werden, d. h. es musste schnell gehen. Der Arzt kam an Bord und stellte die Sterbeurkunde aus. Holz für einen Sarg gab es in dem Nest nicht, also mussten wir an Land aus Kisten, in denen Streichhölzer verladen wurden, einen Sarg zimmern. Damit er nicht gar so armselig aussah, nagelten wir schwarzen Stoff auf das Holz.

      Es war fast Mitternacht, als wir mit einem Kanu zum Schiff zurückruderten. Als wir den Sarg per Flaschenzug fast an Bord gehievt hatten, fiel uns der Deckel runter, und da er aus sehr dünnem Holz war, zersplitterte der Deckel in tausend Stücke. Abermals fuhren wir los und besorgten uns das Material, um einen neuen Deckel zu zimmern. Nachdem uns das gelungen war, betteten wir unseren toten Kapitän in diesen primitiven Sarg. Uns war recht schwer ums Herz, denn wir mochten ihn gern. Seine Familie tat uns so leid, weil sie ihren lieben Toten in fremder Erde lassen musste.

      Um sechs Uhr morgens ruderten wir dann mit einem kleinen Boot und unserer traurigen Last in die Nähe des Friedhofes, eine Strecke von gut 10 Kilometer. Wir mussten mit dem Sarg dann noch zwei Kilometer durch Wüstensand. Weil wir immer wieder einsackten, verfielen wir dauernd in Trab. Es waren jeweils sechs Träger, und wir mussten uns wegen der großen Anstrengung oft abwechseln. Auf dem Friedhof mussten wir feststellen, dass die von uns mühsam ausgeschaufelte Grabstätte wieder eingefallen war. So musste bei 40° C die Arbeit nochmals getan werden. Drei weitere Boote mit "Leidtragenden" kamen noch, sicherlich weitgehende Neugierige, denn so viele Leute kannten wir in dem fremden Land gar nicht. Einen Pastor gab es natürlich nicht, so musste ich zur Abwechslung mal den Pastor ersetzen, die Trauerrede halten und das Vaterunser sprechen. Nach der Zeremonie meinte der Koch, dass unser guter Kapitän auch ein Kreuz auf sein Grab bekommen sollte. Wir hatten denn auch bald ein paar Balken aufgetrieben und zimmerten ein Kreuz. Wir hatten gut drei Wochen mit dem Einschnitzen der Inschrift zu tun. Sie lautete:

      Hier ruht in Gott, fern von der Heimat

      Kapitän Heinrich Lünstedt aus Bützfeld

      geboren am 12. März 1859 - gestorben am 15. Juli 1895

      Dieses Kreuz brachten wir dann eines Tages zum Friedhof und waren froh, dass unser "Alter" wenigstens ein Grabmal hatte, wenn auch nur in Form eines einfachen Holzkreuzes, das wir mit umso mehr Liebe gezimmert und geschnitzt hatten. Frau Lünstedt quartierte sich an Land ein, von wo sie mit ihren Kleinen am 20. Juli via Pernambuco nach Hamburg zurückkehrte. Nun waren der Koch und ich alleine an Bord zurückgeblieben. Im Laufe der Zeit lernten wir allerlei Menschen kennen. Wir wurden auch oft von dem Ablader eingeladen, einem Kaufmann, der mit meinem Vater in Geschäftsbeziehungen stand und nebenbei Plantagen und Salinen besaß. Er hatte einen Sohn von 10 Jahren und eine Tochter von 14 Jahren. Hier geschah es, dass ich zum ersten Mal mein Herz verlor.

       Die erste Liebe

      Eines Tages hatte ich einen kleinen Unfall und wurde bei der Familie Herculanum sechs Wochen lang aufgenommen, gepflegt und verwöhnt.