J. S. Fletcher

Mord in Middle Temple


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andere Schrift ist.“

      „Sie haben recht“, antwortete der Rechtsanwalt, der die beiden Schriften ebenfalls interessiert verglichen hatte.

      „Haben Sie diese Handschrift schon einmal gesehen?“

      „Nein ... und doch kommt sie mir irgendwie bekannt vor.“

      „Nun ja, wir wollen nun aber noch etwas mehr über Mr. Marburys Aufenthalt hier hören. Sagen Sie mir bitte alles, was Sie über ihn wissen“, bat er Mr. Walters.

      „Meine Frau weiß mehr als ich. Ich habe ihn kaum gesehen, kann mich auch nicht erinnern, dass ich viel mit ihm gesprochen hätte.“

      „Das stimmt“, pflichtete ihm seine Frau bei. „Ich habe ihm sein Zimmer gezeigt und er unterhielt sich ein wenig mit mir. Er erzählte, dass er gerade in Southampton mit dem Dampfer von Melbourne gelandet wäre.“

      „Hat er zufällig den Namen des Schiffes erwähnt?“, fragte Rathbury. „Aber wenn er das nicht getan hat, ist es ja sehr leicht festzustellen.“

      „Ich glaube, die Gepäckzettel des Dampfers sind noch auf seinen Sachen. Er bestellte ein Hammelkotelett, das ihm auch gleich serviert wurde. Dann ging er gegen ein Uhr aus und sagte mir noch, dass er sich wohl in den Straßen nicht mehr zurechtfinden würde. Er ging Richtung Blackfriars. Am Nachmittag wurde dann die Reisemütze für ihn abgegeben. Aus der Adresse der Firma schloss ich, dass er nach Piccadilly gegangen war. Er selbst kam erst um zehn Uhr in Begleitung eines anderen Herrn zurück.“

      „Das ist wichtig! Haben Sie den anderen Herrn gesehen?“

      „Nur einen kurzen Augenblick. Sie gingen zusammen auf Nummer zwanzig und ich sah ihn nur, als sie die Treppe hinaufstiegen. Er war groß und stattlich, hatte einen grauen Bart, war sehr gut gekleidet und trug einen Zylinder.“

      „Und was wissen Sie noch?“

      „Mr. Marbury klingelte und bestellte Whisky und Sodawasser“, fuhr Mrs. Walters fort. „Dann hörte ich nichts mehr von ihnen bis gegen Mitternacht. Später erzählte mir der Nachtportier, dass der Herr von Nummer zwanzig ausgegangen wäre und ihn gefragt hätte, ob er die ganze Nacht Dienst hätte. Er ging um halb zwölf fort.“

      „Und der andere Herr?“

      „Der ging mit ihm. Der Portier sagte, dass sie sich Richtung Bahnhof gewandt hätten. Seitdem hat ihn hier niemand mehr gesehen.“

      „Nun wäre es ganz gut, wenn wir uns einmal das Zimmer ansehen würden, vor allem das Gepäck“, meinte Rathbury nach einer kleinen Pause.

      „Es liegt alles noch so dort, wie er es verlassen hat.“

      Mr. Marbury hatte nur wenig Gepäck gehabt. Auf dem Tisch lagen einige einfache Toilettenartikel. Am Garderobenständer hing ein Mantel. Rathbury durchsuchte die Taschen und wandte sich dann den Gepäckstücken zu. Sowohl der Koffer als auch die Reisetasche waren unverschlossen. Der Detective legte alle Gegenstände nacheinander auf das Bett und prüfte sie genau und sorgfältig. Aber er fand nicht das Geringste, das irgendeinen Aufschluss über die Identität des Eigentümers gegeben hätte.

      „Das wäre also alles“, sagte er, als er mit der Durchsuchung fertig war. „Wir sind keinen Schritt weitergekommen. Es sind keinerlei Papiere oder Schriftstücke vorhanden. Es ist doch ungewöhnlich, dass ein Mann ohne Personalausweis und ohne Papiere reist. Ich habe nur feststellen können, dass verschiedene Wäschestücke in Melbourne gekauft worden sind. Aber er hatte doch sicher auch Dokumente und Geld bei sich. Haben Sie nichts davon bemerkt, Mrs. Walters?“, wandte er sich an die Wirtin. „Hat er in Ihrer Gegenwart nicht einmal seine Brieftasche gezogen?“

      „Doch! Nachdem er kurze Zeit auf seinem Zimmer gewesen war, kam er herunter und verlangte ein Glas Whisky. Er bezahlte, und ich sah viele Scheine in seiner Brieftasche.“

      „Und als wir ihn fanden, hatte er keinen roten Heller bei sich!“

      „Er trug auch eine gute goldene Uhr mit Kette und hatte an der linken Hand einen großen Diamantring.“

      „Ja, die Spuren konnte man am linken Ringfinger deutlich erkennen“, bestätigte Rathbury.

      „Nun habe ich nur noch eine Frage. Hat das Zimmermädchen vielleicht zerrissene Schriftstücke gesehen oder Papiere im Papierkorb gefunden?“

      Das Zimmermädchen wurde sofort gerufen, hatte aber nichts derartiges bemerkt. Im Gegenteil, der Herr von Nummer zwanzig hatte das Zimmer vollständig aufgeräumt verlassen. Es lag nichts herum.

      Darauf verabschiedeten sich Rathbury und seine Begleiter von Mr. Walters und seiner Frau.

      „Was könnten wir nun tun?“, fragte Spargo, als sie wieder auf der Straße standen.

      „Wir müssen jetzt den Mann ausfindig machen, mit dem Marbury gestern Abend das Hotel verließ.“

      „Wie wollen Sie denn das herausfinden?“

      „Das weiß ich im Augenblick auch noch nicht.“

      Rathbury nickte den beiden kurz zu und ging fort. Offenbar wollte er allein sein.

      Breton und Spargo sahen einander verdutzt an, als sie so plötzlich allein gelassen wurden. Dann lachte Breton.

      „Viel haben wir ja gerade nicht in Erfahrung bringen können ... ich habe jedenfalls nicht viel Neues gehört. Ich bin so klug wie zuvor.“

      „Doch, wir wissen jetzt schon mehr. Der Tote hieß John Marbury, er kam aus Australien, landete erst gestern früh in Southampton und verließ gestern Abend spät in Begleitung eines Gentlemans sein Hotel. Wir haben sogar die Beschreibung dieses Mannes.“

      Breton zuckte die Schultern. „Aber die Beschreibung ist doch so unbestimmt, dass sie auf Tausende von Leuten in London passt.“

      „Sicher, aber wir haben doch immerhin einige Anhaltspunkte. Wir müssen nun eben diesen Einen ausfindig machen.“

      „Sie glauben, dass das möglich ist?“

      „Ich werde wenigstens den Versuch machen, ihn zu finden.“

      „Sie können doch nicht jeden Mann, auf den die Beschreibung passt, ansprechen und ihn fragen: ‚Sir, haben Sie gestern Abend John Marbury im Anglo-Orient-Hotel besucht?‘“

      Spargo unterbrach ihn plötzlich. „Sagten Sie nicht vorhin, dass Sie einen Herrn kennen, der in dem Haus gewohnt hat und zwar im selben Aufgang, in dem Marbury gefunden wurde?“

      „Nein, das war ich nicht, das verwechseln Sie. Mr. Elphick sagte das. Aber trotzdem weiß ich, wen er meinte. Es ist Mr. Cardlestone, ebenfalls ein Anwalt. Er ist mit Mr. Elphick eng befreundet. Sie sind beide begeisterte Briefmarkensammler. Ich kann Ihnen sogar verraten, dass Mr. Elphick gestern Abend seinen Freund besuchte, um einige seltene Marken zu besichtigen, die Cardlestone erhalten hatte. Aber warum fragen Sie?“

      „Ich möchte eigentlich gern dem Herrn einige Fragen stellen. Wenn Sie so liebenswürdig sein würden ...“

      „Aber natürlich. Ich bin ja ebenso an diesem Fall interessiert wie Sie. Auch ich möchte gern wissen, wer dieser Mr. Marbury ist und vor allem, wie er zu meiner Adresse kam. Wenn ich ein alter, bekannter Anwalt wäre, wäre es nicht sonderbar, aber Sie wissen ja ...“

      „Ja, ja, das könnte viel erklären“, entgegnete Spargo als sie in ein Taxi stiegen. „Es scheint mir, dass uns der kleine Papierfetzen eher zum Ziel führen kann als Rathburys Nachforschungen.“

      Breton sah ihn erstaunt an.

      „O doch, Rathbury will ausfindig machen, mit wem Marbury das Anglo-Orient-Hotel gestern Nacht verließ.“

      „Und was wollen Sie tun?“

      „Ich will herausfinden, welche Bedeutung dieses Stückchen Papier hat und wer diesen Zettel geschrieben hat. Und ich möchte auch wissen, warum Mr. Marbury Sie aufsuchen wollte, als er ermordet wurde.“

      Breton