er sich sofort hingezogen fühlte. Umgekehrt ging es dem Komma genauso. Gemeinsam gingen sie eine Zeitlang als Semikolon durchs Leben. Aber der springende Punkt konnte auf die Dauer keine feste Verbindung eingehen. Und das Komma sehnte sich nach einem Fixpunkt, der auf immer und ewig bei ihm blieb und mit dem es im Satzbau leben konnte. Das Komma trennte sich mit den Worten von ihm: „Dein wunder Punkt ist, dass Du ein springender Punkt bist.“ Der Punkt sprang weiter zum Strich, mit dem er sich zeitweilig zum Ausrufezeichen verband, dann zum Fragezeichen, aber nirgends hielt er es lange aus. Bis er eines Tages in eine Talkshow geriet. Dort sagte gerade jemand mit Nachdruck: „Das ist der springende Punkt!“ Und just in dem Moment sprang er in die Runde. Da fing das Publikum an, frenetisch zu klatschen. In dem Moment wusste er: Hier ist er richtig, hier wird er gebraucht!
So kam es, dass der springende Punkt ein fester Bestandteil in allen Talkshows, Gesprächsrunden, Diskussionsforen und so weiter und so fort wurde. Er sprang munter von einem Teilnehmer zum anderen und jeder hatte ihn gerne. Um es auf den Punkt zu bringen: Er hatte endlich seinen Platz gefunden, wenn auch nicht im Satzbau, so doch wenigstens in aller Munde!
Der Tortenclub oder die Schlacht am Tortenturm
In einem Land, fernab der weiten Welt, gibt es einen kleinen, aber feinen Tortenclub. Der Club war eigens zu dem Zwecke des Vergnügens und Genießens von süßen Sachen gegründet worden. Wer saure Gurken den zuckersüßen Leckereien vorzog, der war im Tortenclub fehl am Platze.
Er tagt in einem eigens dafür errichteten Tortenturm, der aussieht wie der schiefe Turm von Pisa, nur gerade. Die Wände des Tortenturms bestehen aus massivem, sehr stabilem Krokant. Gedämmt ist er von außen mit feinstem Marzipan aus Marzipanien und innen ausgelegt mit einem luftigen, samtweichen Biskuitboden. Die Tortenclubmitglieder müssen ihre Schuhe und Strümpfe ausziehen, damit sie den exquisiten Biskuitboden unter ihren nackten Füßen spüren können. Man geht, ach was, man schwebt geradezu auf diesem Boden wie im siebten Himmel. Sessel und Sofas sind aus köstlicher Schaumcreme in diversen Farben und Geschmacksrichtungen: vanillegelb, schokobraun, erdbeerrot, kiwigrün, blaubeerblau. Wenn man sich setzt, sinkt man tief in die Polster ein. Es ist geradezu so als tauche man in die fluffige und duftige Schaumcreme ein. Tische und Stühle sind aus zweifach gehärteter dunkler Schokolade mit 70 % Kakaoanteil, die Stühle mit einem zarten, weichen Schmelzüberzug gepolstert. Im Volksmund hat der Tortenturm den Spitznamen „Kalorienkolonie“.
Aufgenommen in den Tortenclub wird nur, wer ein außergewöhnliches Tortenrezept hat und dieses auch als gebackene Torte mitbringt. Ein Gremium kostet die Torte und entscheidet dann, ob der Kandidat aufgenommen wird. Natürlich will jeder in diesem Gremium sein, um in den Genuss des Tortenkostens zu kommen. Die Torten werden von Jahr zu Jahr ausgefallener. Es werden die verrücktesten Figuren aus Zuckerguss gedrechselt; die Füllungen reichen von opulenter Buttercreme über moussierende Schokocreme, diversen Käsecremes bis zu dickflüssigem Eierlikör. Einer versucht den anderen zu übertrumpfen. Oftmals fallen dem Gremium die Entscheidungen sehr, sehr schwer.
Die Tortenrezepte werden in einem speziellen Tresor aufbewahrt, einer Ausfertigung aus extra gehärtetem Krokant, der härter als Stahl ist. Diverse Diebe hatten bereits versucht, an die Rezepte zu kommen, indem sie Löcher in den Krokant lutschen wollten, aber sie hatten sich dabei nur ihre Zungen wund gelutscht. Und selbst wenn es einem gelungen wäre, hätte er sicher Jahre gebraucht, um sich durch dieses Krokantmassiv zu lutschen.
Der Höhepunkt des Tortenclublebens ist die jährliche Tortenschlacht am Tag der Torte. Für die Tortenschlacht werden die Torten genommen, die es nicht in die engere Wahl geschafft haben.
Die Tortenschlacht tobte gerade rund um den Tortenturm. Ausgelassen bewarfen die Mitglieder des Tortenclubs sich gegenseitig mit Torten. Auf einmal rief jemand: „Die Marzipanier kommen!“
Die Marzipanier, Bewohner des Kontinents Marzipanien, ernähren sich von Marzipan; es ist ihr Grundnahrungsmittel. Auf verschlungenen Umwegen hatten sie erfahren, dass für die Dämmung des Tortenturms Marzipan verwendet worden war. Und so fragten sie sich: „Wie kommt unser Marzipan ohne unser Wissen als Dämmung an den Tortenturm? Wir haben das Marzipanmonopol und führen kein Marzipan aus; wir essen alles selber.“
Sie hatten einen Späher ausgeschickt, um die Angelegenheit zu überprüfen, ihn mit genügend Marzipanbroten als Wegzehrung versorgt. Der war mit der Kunde zurückgekommen: „Es stimmt. Der Tortenturm ist mit Marzipan gedämmt. Am Tag der Torte findet das traditionelle Tortenschlachtfest statt. Dann sollten wir angreifen.“
So kommt es, dass die Marzipanier auf dem Tortenschlachtfest mit dem Schlachtruf: „Wir wollen unser Marzipan zurück! Runter mit der Dämmung!“ einrücken. Herrn Torteletti, oberster Clubvorsteher des Tortenclubs, schwant nichts Gutes, war die Dämmung aus Marzipan für den Tortenturm doch auf nicht legalen Wegen zu ihm gelangt.
Eilig verteilt er Muffins als Wurfgeschosse. Die Marzipanier dagegen haben nur Marzipankugeln als Munition.
Torten, Muffins und Marzipankugeln fliegen hin und her und kreuz und quer. Sahne und Cremes verkleistern die Gesichter. Es ist weder Freund noch Feind auszumachen. Da lässt Herr Torteletti vom Tortenclub auch noch die Puderzuckerkanone einsetzen. Der weiße feine Puderzucker vernebelt vollends die Sicht. Er setzt sich wie ein feiner Staubregen in alle Ritzen und Körperöffnungen: in die Nasenlöcher, in die Ohren, in die Augen. Bald sehen alle an der Schlacht Beteiligten aus wie Schneemänner. Die Marzipanier verlieren komplett die Orientierung. Ihnen erscheint die Situation ausweglos.
Dies ist der Zeitpunkt für Herrn Torteletti, den Marzipaniern Verhandlungen anzubieten. Inmitten des Getümmels schwenkt er einen gigantischen Tortenheber zum Zeichen der Waffenruhe und gibt die Parole aus: „Friede, Freude, Eierkuchen!“
Herr Torteletti ist nicht nur der Clubvorsteher des Tortenclubs, sondern auch ein gewiefter Geschäftsmann und guter Redner. Er war es gewesen, der die Dämmung aus Marzipan auf dunklen Kanälen zum Tortenturm transportiert hatte. Jetzt, da die Marzipanier offensichtlich dahinter gekommen waren, war sein Bestreben, sie dazu zu bewegen, ihr Monopol auf das Marzipan aufzugeben, es praktisch für den Markt frei verfügbar zu machen. Er machte ihnen also die Idee, ihr Marzipan auszuführen, schmackhaft. Sie würden eine Exportnation werden, Weltmeister im Ausführen von Marzipan! Insgeheim strebte er aber die Übernahme des Monopols an, was er natürlich nicht so sagte. Ihm schwebte ein Imperium von Tortenclubs auf der ganzen Welt vor und alle Tortentürme werden mit Marzipan aus Marzipanien gedämmt.
Beseelt von der Idee der freien Marzipanausfuhr gingen die Kämpfer Marzipaniens nach Hause, um ihrem König in den höchsten Tönen von dieser glorreichen Perspektive zu berichten. Sie hatten zwar am Tag der Torte die Schlacht am Tortenturm mehr oder weniger verloren, aber dafür würden sie Exportweltmeister werden. Der König war schwer beeindruckt. Und so kam es, dass sich von da an das Marzipan über die ganze Welt ausbreitete und Herr Torteletti vom Tortenclub das weltweite Monopol auf den Marzipanvertrieb bekam.
Der verlorene Brief
Ein Brief wurde auf die Reise geschickt, schön verpackt in einem fein duftenden Kuvert. Die erste Station seiner Reise war ein Briefkasten. Von da an verzögerte sich die Weiterreise, denn der Briefverkehr stand still. Die Briefträger streikten. Deswegen musste er einige Zeit in dem dunklen und feuchten Kasten zubringen. Aufgrund dieser klimatischen Unwegsamkeiten löste sich jeden Tag die Gummierung des Kuverts ein bisschen mehr bis sie gar nicht mehr klebte. Daraufhin trennten sich Brief und Kuvert einvernehmlich.
Als der Streik nach Tagen endlich beendet war, hatte es der zuständige Briefträger sehr eilig, die gesammelte Post aus dem Kasten zu holen und somit mangelte es ihm an gebührender Aufmerksamkeit für die ihm anvertrauten Sendungen. Jedenfalls landete nur das Kuvert in seiner Tasche, der Brief aber fiel auf den Boden, was dem Briefträger aber nicht auffiel. Es dauerte nicht lange und eine Brieftaube kam vorbeigeflogen. „Oh, der ist für mich“, dachte sie, als sie den Brief sah. Sie klemmte ihn sich in den Schnabel und flatterte mit ihm davon.
Zu Hause angekommen, ging sie schnurstracks